Auf Schatzsuche mit Benedikt XVI.
Eine Fachtagung an der Kölner Hochschule für Katholische Theologie beleuchtete das sozialethische Erbe Papst Benedikts XVI.
Quelle
Gänswein: Nachwelt wird von “Benedikt dem Großen” sprechen | Die Tagespost (die-tagespost.de)
Rede von Papst Benedikt XVI. im Deutschen Bundestag (youtube.com)
25.01.2024
Bevor man Schätze heben kann, muss man sie suchen. An Schatzsuchern, die das monumentale Œuvre Joseph Ratzingers / Benedikts XVI. nach geistigen und geistlichen Edelsteinen durchforsten, herrscht kein Mangel. Nicht nur, weil viele der Schüler des einstigen Theologieprofessors sich der Pflege des Erbes ihres akademischen Lehrers verpflichtet fühlen, sondern auch, weil die Werke des “Mozarts der Theologie”, wie der 2017 verstorbene Joachim Kardinal Meisner Joseph Ratzinger einmal nannte, beinah jeden in den Bann zu ziehen vermögen, der sich selbst nicht als “religiös unmusikalisch” (Jürgen Habermas) versteht.
Rund 200 Angehörige aus beiden Kreisen fanden sich am Montag und Dienstag dieser Woche in der “Kölner Hochschule für Katholische Theologie” (KHKT) ein. Unter der Überschrift “Das sozialethische Erbe von Joseph Ratzinger / Benedikt XVI.” begaben sie sich eineinhalb Tage lang auf Schatzsuche auf einem Themenfeld, das, wie es der Rektor der Hochschule, Christoph Ohly, in seiner Begrüßung formulierte, “vielleicht auf den ersten Blick nicht sofort” mit dem “Jahrhunderttheologen” in Verbindung gebracht werde. Mit der Tagung wolle sich die KHKT “diesem bisher eher unerforschten Themenfeld” stellen, “das dabei bestehende Forschungsdesiderat aufnehmen und auf den Weg zu einer ‘Sozialethik der Zukunft’ bringen”. “Theologisch fundiert, relevant und sprachfähig im gesellschaftlichen Dialog”, eben so, wie sich auch “die KHKT in ihrem inneren und äußeren Profil” verstehe und präsentiere, so Ohly, der tags zuvor im hohen Dom zu Köln als neuer residierender Domkapitular eingeführt worden war.
Einen Ausweis “für die Weite” der Anlage der Tagung erblickte der Kirchenrechtler sowohl in dem “interdisziplinären Charakter”, den man der Tagung habe geben können, als auch “in der Tatsache, dass wir die Tagung nicht alleine in der Verantwortung als Hochschule veranstalten, sondern sie in einer in den vergangenen Monaten sehr fruchtbaren Kooperation mit dem Institut für ökonomische Bildung der Universität Münster und der Joseph Höffner Gesellschaft für christliche Soziallehre angelegt haben und durchführen”. Und in der Tat: Was die Kooperationspartner gemeinsam auf die Beine gestellt hatten, konnte sich sehen lassen.
Der größte Theologe auf dem Stuhl Petri
Zur Einstimmung hatten die Kooperationspartner niemand Geringeren als den Journalisten Peter Seewald gewinnen können. Seewald, der Joseph Ratzinger / Papst Benedikt XVI. mehr als 25 Jahre lang als Journalist und Buchautor begleitet und für seine 1.184 Seiten starke, unübertreffbare Biografie “Benedikt XVI. – Ein Leben” rund 100 weitere Zeitzeugen befragt hatte, verfügt wie kein anderer über ein Insiderwissen, das sichere Urteile erlaubt.
Geist- und pointenreich von seinem bayerischen Landsmann Manuel Schlögl, der an der KHKT den Lehrstuhl für “Dogmatik und Ökumenischen Dialog” bekleidet, vorgestellt, zeichnete Seewald in seinem Vortrag, den er unter den Titel “Benedikts Erbe” gestellt hatte, das facettenreiche Bild eines Mannes, “der die Geister schied”: Als “prägende Gestalt des II. Vatikanischen Konzils”, als “Erneuerer der Theologie”, als “einer der führenden Denker unserer Zeit” und als Präfekt der römischen Glaubenskongregation, “der über ein Vierteljahrhundert lang dafür sorgte, dass der Fels, auf dem Johannes Paul II. stand, den Stürmen der Zeit standhalten konnte”. Auch die “unaufhörlichen Attacken” gegen ihn hätten nicht verhindern können, “dass er mit den millionenfachen Auflagen seiner Bücher zu den mit Abstand meistgelesenen Theologen der Neuzeit aufstieg”.
Viele sähen in Joseph Ratzinger nicht nur den “leidenschaftlich kämpfenden Hirten”, sondern auch, wie der tschechische Religionsphilosoph und Templeton-Preisträger Tomas Halik einmal unterstrichen habe, den “größten Theologen, der jemals auf dem Stuhl Petri saß”. Ratzinger sei auch ein Visionär gewesen, so Seewald. Bereits als Professor in Regensburg habe er vorausgesehen, dass eine neue Epoche der Kirchengeschichte bevorstehe. Eine Epoche, in der das Christentum eher wieder im Zeichen des Senfkorns sichtbar werde, “in scheinbar bedeutungslosen, geringen Gruppen, die aber doch intensiv gegen das Böse anleben und das Gute in die Welt hereintragen; die Gott hereinlassen”, zitierte Seewald Ratzinger.
Wäre die katholische Kirche in Deutschland Ratzingers Linie gefolgt statt sich in ihren Lebenslügen einzuspinnen, stünde sie heute vielleicht nicht mitgliederstärker, aber gewiss profilierter, glaubensstärker und überzeugender da, so Seewald. Ratzinger sei überzeugt gewesen, dass man Kirche und Glaube nicht selber machen könne und alles Selbstgemachte “im Selbst steckenbleibe”. Als Pontifex habe er die Gläubigen aufgerufen: “Haben wir den Mut, den Glauben zu leben. Lassen wir uns nicht einreden, dies sei veraltet oder überholt! Überholt und gescheitert sind die materialistischen Lebensmodelle, alle Versuche, ein Lebensprojekt ohne Gott aufzubauen. Christus aber ist nicht nur gestern und heute, er ist auch morgen, weil ihm die Ewigkeit gehört.” “Der Preis” für eine solche “Souveränität” Ratzingers sei der “Verzicht auf öffentliche Anerkennung” gewesen, so Seewald.
Die Qual der Wahl bei den Panels
Am nächsten Morgen hatten die Teilnehmer der Tagung dann die Qual der Wahl. Den Auftakt machte ein Panel, in dem drei Referenten zeitgleich in unterschiedlichen Räumlichkeiten der KHKT “Grundsatzthemen” behandelten. Der Paderborner Moraltheologe Peter Schallenberg sprach “Zur Wiederentdeckung des augustinischen Naturrechts bei Joseph Ratzinger”, der Rotterdamer Sozialethiker Paul van Geest über “Die ‘unsichtbare Hand’ bei Joseph Ratzinger und die Auswirkungen seines Vortrags von 1985 über Markt, Wirtschaft und Ethik”, die Erlangener Religionsphilosophin Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz “Zur Ökologie des Menschen. Gender und Leiblichkeit im Blick Joseph Ratzingers”. Gerl-Falkovitz analysierte dabei vor allem das “Schreiben an die Bischöfe der Katholischen Kirche über die Zusammenarbeit von Mann und Frau in der Kirche und in der Welt”, das Ratzinger 2004 als Präfekt der Glaubenskongregation verfasst sowie die Rede, die er als Benedikt XVI. am 22. September 2011 im Deutschen Bundestag gehalten hatte.
Dass die Qual der Wahl im Panel “Anwendungsbereiche” den Tagungsteilnehmern erspart blieb, lag an der krankheitsbedingten, kurzfristigen Absage zweier Referenten und einer Umstellung des Programms, wodurch die verbleibenden Vorträge von allen gehört werden konnten. Den Anfang machte der Osnabrücker Sozialethiker Manfred Spieker. Unter der Überschrift “Der Schein. Joseph Ratzinger und Schwangerschaftskonfliktberatung in Deutschland” beleuchtete Spieker Ratzingers Rolle in einem der traurigsten Kapitel der bisherigen deutschen Kirchengeschichte. Im Anschluss referierte der Zisterzienserpater Justinus Pech über die “Entweltlichung und katholische Soziallehre” bei Joseph Ratzinger / Benedikt XVI.
Im dritten Panel “Konsequenzen und Ausblicke” sprach der Eichstätter Ökonom Jörg Althammer über “die Katholische Soziallehre im Zeitalter globaler Krisen” und beleuchtete dabei insbesondere die dritte Enzyklika Benedikt XVI. “Caritas in veritate” aus ökonomischer Perspektive. Während zeitgleich der Steyler Missionar Pater Martin Üffing den “Missio-Dei-Gedanken” bei Joseph Ratzinger entfaltete und die Limburger Historikerin Theresia Theuke den “Menschenwürdebegriff des Grundgesetzes im Sog des Relativismus” unter die Lupe nahm.
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Unsere Zeit missionarisch mitgestalten
Bei der von Manuel Schlögl moderierten abschließenden Podiumsdiskussion wurden die einzelnen Fäden von Paul van Geest und Peter Schallenberg wieder zusammengeführt. Dabei wurde bald deutlich, dass auch der Prorektor der KHKT und Leiter der Tagung, der Sozialethiker Elmar Nass, tags zuvor keineswegs zu viel versprochen hatte, als er klarstellte, hier gehe es nicht darum, Wissenschaft “im Elfenbeinturm” zu betreiben, sondern darum, “unsere Zeit missionarisch mitzugestalten”. Van Geest etwa zeichnete ein schonungsloses Bild der “implodierten Kirche” in den Niederlanden. Die Zahl der Priester sei dort von ehemals 800 auf heute 20 gesunken. “Ist das hoffnungslos? Ja. Bin ich unglücklich? Nein.” Der Niedergang mache einen “neuen Anfang” möglich. Der “Homo oeconomicus” sei kein realistisches Menschenbild, ein solches fände sich hingegen bei Augustinus. Auch handele es sich bei der Kirche “nicht um unsere Kirche, sondern um die Kirche Jesu Christi”. Und die sei eben “spe salvi”, “auf Hoffnung hin gerettet”, wie auch die gleichnamige Enzyklika Benedikt XVI., ein Zitat des heiligen Paulus an den Anfang stellend, deutlich mache.
Peter Schallenberg verwies auf das Opus magnum des kanadischen Philosophen Charles Taylor (“Ein säkulares Zeitalter”) und erinnerte daran, dass der christliche Glaube nie beansprucht habe, “Staatsreligion” zu sein. Und Augustinus (Sermon 80) zitierend, hob er die Verantwortung des Einzelnen in den Blick: “Es ist seltsam: Die Menschen klagen darüber, dass die Zeiten böse sind. Hört auf mit dem Klagen. Bessert euch selbst. Denn nicht die Zeiten sind böse, sondern unser Tun. Und wir sind die Zeit.” Wie hatte Nass es doch formuliert? Gut begründete Prinzipien allein reichten nicht. Es brauche auch “tugendhafte Menschen”, die sie lebten.
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