Die Sehnsucht nach Frieden *UPDATE
Brückenbauer zwischen Israelis und Palästinensern haben es nach dem Hamas-Terror schwer; aber einige sehen darin auch eine Chance
Quelle
Wenn jüdisches Leben gefährdet ist, ist die Demokratie in Gefahr | Die Tagespost (die-tagespost.de)
Newe Shalom / Wahat al Salam: Eine Kultur des Lernens und des Friedens – ecomedia.info
*Mein Abschied vom Himmel – Aus dem Leben eines Muslims in Deutschland (416)
17.11.2023
Es war der Jom Kippur Krieg vom Oktober 1973, der in Israel erstmals so etwas wie eine organisierte Friedensbewegung entstehen ließ. Einzelne Friedensbewegte, wie der erste Wehrdienstverweigerer Israels, der legendäre aus Niederösterreich stammende Joseph Abileah (1915-1994), gab es seit der Gründung des Staates Israel 1948 schon. Der Jom Kippur Krieg, der Israel erstmals an den Rand einer militärischen Niederlage mit seinen arabischen Nachbarn führte, bestärkte in Israel bei vielen Leuten die Suche nach einer friedlichen Lösung des Palästinaproblems. Nach dem Besuch von Präsident Sadat 1977 in Jerusalem erlebte die Friedensbewegung eine Hochphase, Dutzende von Auszeichnungen für Dialog und Frieden wurden ihr verliehen, seit Rabin, Peres und Arafat 1994 den Friedensnobelpreis entgegennahmen. Seit 20 Jahren ist die Friedensbegeisterung jedoch in der Folge zweier Intifadas einem weitgehenden Stillstand gewichen.
170 israelische, palästinensische, christliche oder bi-nationale Organisationen und Initiativen treten in Israel für Dialog, Gleichberechtigung, Koexistenz, Menschenrechte, Frieden oder Versöhnung ein; ständig entstehen neue. Sie heißen “Schalom Achschaw” (Frieden jetzt), “A Land for All”, “Hands of Peace”, “Samen des Friedens”, “Kids4Peace”. Manche sind bekannt, manche weniger oder gar nicht; einige haben eine dreistellige Zahl an Aktivisten, andere nur ein Dutzend. Auch christliche Gruppen sind darunter, wie die “Friedensoase New Schalom”, die von dem Dominikaner Bruno Hussar gegründet wurde, oder das “House of Hope” in Shefar´am von Elias Jabbour.
Zwei-Staaten-Modell
Der 1923 in Beckum (NRW) geborene Knesset-Abgeordnete Uri Avnery war 1973 einer der Gründer der Friedensbewegung in Israel. Ex-General Matityahu “Matti” Peled und Lyova Eliav, der frühere Generalsekretär der Arbeitspartei Avoda, gehörten zu seinen ersten Mitstreitern. Auf palästinensischer Seite knüpften die Birzeit-Universitätsdozenten Issam Sartawi und Said Hamami Kontakte zu ihnen, beide wurden kurz darauf von der palästinensischen Abu-Nidal-Gruppe ermordet. Die Besatzung zu beenden und einen palästinensischen Staat neben Israel zu errichten, das waren und sind die Forderungen der Friedensbewegten in Israel.
Awad Darawshe, ein junger israelisch arabischer Sanitäter, verblutete bei dem Versuch, Israelis zu retten, unter der Bühne des Supernova-Musikfestivals in Re‘im, das die bewaffneten Hamas-Männer am 7. Oktober in ein Schlachtfeld verwandelt hatten. Er starb wie 260 andere zumeist jüdische Teilnehmer des Friedensfests des “Tribe of Nova”, das Werte wie “freie Liebe, freier Geist, Erhaltung der Umwelt, Wertschätzung der natürlichen Werte” propagiert hatte und am jüdischen Feiertag Simchat Tora, dem Fest der Torafreude am Ende des Laubhüttenfests stattfand. Der Tod von Awad Darawshe, der aus dem arabischen Dorf Iksal bei Nazareth stammte, sich für den Frieden engagierte und von islamistischen Hamas-Terroristen in der jüdischen Heimat getötet wurde, mag als ein treffendes Symbol für die völlige Niederlage der Brückenbauer erscheinen, die sich noch immer für eine friedliche Beilegung des israelisch-palästinensischen Konflikts einsetzen. Doch einige dieser hartnäckigen Verfechter des Friedens sehen nun in den Folgen des Massakers der Hamas an mehr als 1 400 Israelis auch eine Chance, auch wenn sie noch so gering ist. Die Friedensstifter sind angesichts des Rufes nach Rache und Sicherheit in der Minderheit.
Mohammad Darawshe, ein Cousin des getöteten israelischen Sanitäters, ist der Strategiechef des “Givat Haviva Center for Shared Society”, das den jüdisch-arabischen Dialog fördert. Dieses Zentrum beweist, dass es auch auf palästinensischer Seite in Israel noch eine Friedensbewegung gibt. Der israelische Premierminister Yitzhak Rabin, die große Hoffnung der Friedensbewegung, wurde 1995 von einem israelischen religiösen Fanatiker ermordet. Präsident Netanjahu, der Israel insgesamt mehr als 16 Jahre lang regiert, hat die Idee eines israelischen und eines palästinensischen Staates, die Seite an Seite in Frieden und Sicherheit leben, zu Grabe getragen. Unter ihm wurden die Siedlungen in den besetzten Gebieten massiv ausgebaut. Friedensaktivisten wurden zu Verrätern, Antizionisten oder gar Anti-Israelis abgestempelt. Sie wurden zu den Naiven, die das Spiel nicht verstanden haben. Aber aus dem Lager der Friedensaktivisten kamen immer wieder Warnungen, dass es falsch war, die Hamas zu stärken, wie es Netanjahu tat, um die Palästinensische Autonomiebehörde zu schwächen. Mit dieser Strategie sollte die Vorstellung gestärkt werden, dass es keinen brauchbaren palästinensischen Partner für den Frieden gibt.
Noch drei Tage vor den Hamas-Anschlägen versammelten sich Aktivisten lokaler und ausländischer Nichtregierungsorganisationen um das Toleranz-Denkmal in einem Park in Jerusalem und forderten ein Ende des Blutvergießens und eine Lösung des palästinensisch-israelischen Konflikts. Jetzt, nach dem von der Hamas ausgeführten Massaker, hat auch viele Friedensaktivisten in Israel ein Gefühl der Niedergeschlagenheit erfasst.
Unter den mehr als 200 Geiseln, die vermutlich im Gazastreifen festgehalten werden, ist auch Vivian Silver, 74, eine bekannte kanadisch-israelische Friedensaktivistin, die Gründungsmitglied der 2014 gegründeten israelisch-palästinensischen Bewegung “Women Wage Peace” war. Sie lebte im Kibbuz Be´eri, einem der schlimmsten von der Hamas zerstörten Orte in der Region. Der Kibbuz Be´eri war bekannt für seine Funktion des Brückenbauens zwischen Israelis und Palästinensern, auch die deutsche Aktion Friedenszeichen, die sich seit Beginn ihrer Arbeit in Israel auch für die Friedensbewegung einsetzt, hatte dort in den 1980er Jahren ihre Freiwilligengruppen zur Ausbildung hingeschickt. Vivian Silver hatte immer wieder den wachsenden Würgegriff der Siedler auf die Politik kritisiert. Yonatan Ziegen, der Sohn von Vivian Silver, erklärte nach ihrer Entführung öffentlich, dass “mehr tote Babys” nicht die Antwort seien; Frieden sei notwendig.
Krieg und Frieden
Für die Brückenbauer haben die schlimmsten Rückschläge immer auch ein Versprechen auf Veränderung in sich getragen, das bereits im Schmerz verborgen war. Wenn der Frieden heute unmöglich erscheint, so schien er auch 1973 in weiter Ferne zu liegen, als ein ähnlich unbekümmertes und abgelenktes Israel im Jom-Kippur-Krieg überrascht wurde, um sich dann zu erholen und zu siegen. Dass dieser Krieg der Beginn einer großen Friedensbewegung war, hätte damals auch niemand gedacht.
Heute helfen Friedensaktivisten, die vielen Israelis zu trösten, die sich im Stich gelassen fühlen. Den Friedensbewegten auf beiden Seiten war es auch 2021 gelungen, die Unruhen zwischen den jüdischen und palästinensischen Bürgern Israels zu beenden. Damals fürchtete man einen Flächenbrand vor allem in den gemischten jüdisch-arabischen Städten Israels, doch inzwischen hat sich die Lage in diesen Städten weitgehend beruhigt.
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