“Christen wollen aus der Hölle”

Orientalische Kirchenführer plädieren für Bodenoffensive gegen islamistische Terroristen – Patriarch Sako sieht IS als globales Risiko

frieden ist zukunftQuelle
Mar Musa
Gebet für den Nahen Osten

Damaskus/Rom, DT/KAP/Fides, 4. Oktober 2015

Die Interviews und Appelle der Patriarchen Louis Raphael Sako aus Bagdad und Ignatius Yousef Younan aus Beirut bei der Bischofssynode in Rom haben ein grosses Echo ausgelöst. Beide Kirchenoberhäupter forderten eine Bodenoffensive gegen die Terrormiliz des “Islamischen Staates“, beide beklagten die Zerrissenheit der Familien in Syrien und im Irak wegen des Massenexodus, beide sprachen sich gegen eine Änderung der katholischen Ehe- und Familienlehre sowie gegen einen anderen Zugang zum Thema Homosexualität aus, weil dies bei Muslimen und Orthodoxen eine Negativreaktion gegen den Katholizismus auslösen würde.

Wie die Stiftung “Pro Oriente“ berichtete, warf Younan dem Westen Tatenlosigkeit angesichts der Christenverfolgung im Orient vor und beklagte den Massenexodus der Christen. Die westliche Politik verfolge wirtschaftliche Interessen, das gehe auf Kosten der Christen im Orient. Die Lage der Christen in Syrien beschrieb der im Libanon residierende Patriarch der syrisch-katholischen Kirche als höllisch: “Die Christen wollen heraus aus der Hölle, in der sie leben, sie sind nicht nur nicht sicher, sondern sie werden verfolgt.” Die Familien täten alles, um aus dieser Situation im Irak und in Syrien herauszukommen. “Als Bischöfe und Hirten sind wir zum Helfen da, aber manchmal fühlen wir uns hilflos in dieser tragischen Situation. Wir versuchen alles, damit diese Stimme der Leidenden gehört wird. Es ist ein Schrei, ein Alarmschrei”, so Younan. Die Flucht habe traurige Auswirkungen auf das Leben der Familien, viele würden getrennt, Teile der Familien gingen ins Ausland, andere blieben.

Mit Blick auf die russischen Bombardements sieht der syrisch-katholische Patriarch die militärische Lösung als einzige Option: “Die Islamisten haben weder Verständnis für einen Dialog noch die Versöhnung oder einen wirklich demokratischen Prozess. Das sage ich insbesondere den Vertretern der westlichen Länder, denn man kann nicht mit jemandem verhandeln, der dich umbringen will. Man muss sich und die eigene Familie verteidigen.” Es sei notwendig, die Luftschläge mit einer Bodenoffensive zu koordinieren, “sonst können die Islamisten nicht vertrieben werden. Sie sind clever, haben viel Geld und ihre Kämpfer, die aus der ganzen Welt kommen, mischen sich auch unter die Zivilisten“.

Der chaldäisch-katholische Patriarch Louis Raphael Sako forderte ebenfalls eine Bodenoffensive. Der IS sei ein “globales Risiko“, es brauche eine “starke, rasche und präzise“ internationale Aktion, einen möglichst von den Vereinten Nationen beschlossenen Einsatz von Soldaten, “um die Dschihadisten zu vernichten“. Man müsse den Beitrag der arabischen Ländern einfordern, so Sako. Es gehe nicht nur darum, den IS zu vertreiben: “Man muss diese schreckliche Ideologie zerstören, die Welt und Geschichte völlig verändern will.“ Auf die Frage des “Corriere della Sera“, was er von der Situation in Syrien halte, gab Sako die Antwort: „Schauen Sie, was bei uns im Irak geschehen ist. Warum ein gegebenes Regime durch ein noch Schlimmeres ersetzen?“

Der syrisch-katholische Erzbischof von Hassake-Nisib, Jacques Behnan Hindo, warnt davor, militärische Interventionen gegen die Dschihadisten religiös zu begründen: “Ich habe gehört, wie hohe Vertreter des Patriarchats in Moskau die militärischen Operationen Russlands gegen dschihadistische Milizen segnen und als ‘heiligen Krieg? bezeichnen. Meiner Meinung nach ist eine solche Definition dessen, was in Syrien geschieht, völlig sinnlos. Für uns könnten solche Aussagen schwerwiegende Folgen haben.“ Den Begriff ‘heiliger Krieg? benutzten die Dschihadisten. “Mit einer solchen Wortwahl bekräftigt man deren blutige Ideologie: wenn es sich wirklich um einen heiligen Krieg handelt, dann werden auch Übergriffe auf die hiesigen Christen damit gerechtfertigt, wenn diese als Verbündete des Feindes gelten und verfolgt werden.“ Vielmehr solle betont werden, dass Krieg stets eine Sünde ist, so Erzbischof Hindo: “Wir müssen uns vor Augen führen, dass die Dschihadisten nicht gegen Christen sind, sondern gegen alle. Angefangen bei den Muslimen, die sich ihrer Ideologie und Vorherrschaft nicht unterordnen.“

Unterdessen berichten Medien, dass der fünf Monate von den IS-Terroristen als Geisel gehaltene syrisch-katholische Mönch Jacques Mourad, Prior des St. Elian-Klosters in Qaryatain, nach der Freilassung am Samstag in guter gesundheitlicher Verfassung sein soll. Am Sonntag habe Mourad bereits eine Messe in Zaydal bei Homs gefeiert. Mourad gehört der Gemeinschaft von Mar Musa an, die von dem im Sommer 2013 entführten italienischen Pater Paolo Dall’Oglio begründet wurde. Nach Angaben des “Bundesverbandes der aramäischen Vereine in Deutschland“ wurden von den IS-Terroristen weitere 60 Geiseln aus Qaryatain freigelassen. Der Vorsitzende des Verbands, Daniyel Demir, sagte: “Unsere Gedanken sind bei den übrigen mehr als 200 christlichen Geiseln, die noch unter menschenverachtenden Scharia-Bedingungen unter IS-Herrschaft in Qaryatain leben.“ In der Vorwoche tauchte auf IS-Websites ein Video auf, in dem gezeigt wird, wie sich Christen aus Qaryatain verpflichten, die islamische Sondersteuer für “Schutzbefohlene“ zu zahlen. In dem Video ist auch Mourad zu sehen. Ebenfalls in der Vorwoche wurde ein IS-Video bekannt, auf dem die Ermordung von drei Christen aus den Dörfern am Khabour-Fluss gezeigt wird.

Der Weltkirchenrat (ÖRK) hat seine Besorgnis zum Ausdruck gebracht. Alle ausländischen Militäroperationen werden verurteilt. Die Eskalation werde die Situation für die “verletzlichen Gemeinschaften“ verschlimmern. ÖRK-Generalsekretär Olav Fykse Tveit sagte: “Wir rufen alle Regierungen auf, unverzüglich jegliche militärischen Aktivitäten zu beenden und Unterstützung für einen politischen Friedensprozess in Syrien zu bieten, damit ein Weg für alle Syrer gefunden werden kann.” Der Zustrom von Waffen und Kämpfern nach Syrien müsse gestoppt werden.

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