“Wem man viel anvertraut hat, von dem wird man um so mehr verlangen”

Pre­digt von Pfar­rer Roland Graf am heu­ti­gen Eid­ge­nös­si­schen Dank-​, Buss– und Bet­tag in Unte­ri­berg SZ

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Pre­digt von Pfar­rer Roland Graf am heu­ti­gen Eid­ge­nös­si­schen Dank-​, Buss– und Bet­tag in Unte­ri­berg SZ.

Während des Jodelgesangs sowie der feierlichen Alphorn- und Orgelklängen kam mir der Gedanke, dass diese zum Inhalt dieser Predigt nicht passen. Doch Jodelgesang, Alphorn- und Orgelklänge zur Ehre Gottes sind immer angebracht. An diesem Eidgenössischen Dank-, Buss- und Bettag kommt etwas viel zusammen. Wie ich einleitend angedeutet habe, hat die Studie über Missbrauchstaten in der Katholischen Kirche in der Schweiz hohe Wellen geworfen: 1002 Fälle über 73 Jahre hinweg. Als wir von den Kommunikationsverantwortlichen im Voraus ohne Kenntnis des Inhalts der Studie vorgewarnt wurden, fragte ich mich: Wäre das nicht ein Anlass für einen Hirtenbrief der Bischofskonferenz zum Bettag? Konfrontiert mit dem Inhalt der Studie wurde sofort klar − das wäre völlig unglaubwürdig daher gekommen. Dazu passt ein Zitat des heiligen Papstes Gregor des Grossen (540–604, Papst von 590–604): “Besser ist, es gibt einen Skandal, als dass die Wahrheit zu kurz kommt”. Die unbequeme Wahrheit ist tatsächlich lange zu kurz gekommen.

Ich erinnere mich noch genau an das Jahr 2010, als viele Fälle in Deutschland bekannt wurden und zur selben Zeit in der Schweiz auch ein Fall im Bistum Chur Schlagzeilen machte. Spätestens da musste jedem Priester und jedem Bischof diese Problematik mit den Missbräuchen bewusst geworden sein. Dass seither nun trotzdem weitere Fälle bekannt wurden, bei denen die zuständigen Bischöfe die Täter trotz Mahnungen der Meldestellen nicht aus dem Verkehr gezogen haben, macht für mich den Skandal noch schlimmer, als er ohnehin schon ist. Die Verantwortung haben die Täter und auch jene, welche sie wissentlich gewähren liessen. Unter den Folgen leidet die ganze Kirche, die sich ohnehin schon im Krisenmodus befindet – letztlich beeinträchtigt das auch die Verkündigung. Das Evangelium wird um seine Kraft gebracht, wenn es nicht von jenen selbst gelebt wird, die den Auftrag der Verkündigung innehaben. Es gibt die grossartigen Beispiele wie die Apostel ab dem Pfingstfest, den heiligen Apostel Paulus, zahlreiche Heilige bis in die heutige Zeit hinein, die übereinstimmend lebten, was sie verkündigten. Dafür danken wir heute Gott. Umkehr, Neuausrichtung auf das Evangelium – darum wird der Klerus nicht herumkommen, wenn er wirklich im Sinne Christi erneuert werden soll.

Nun ist heute ausgerechnet jenes Evangelium vorgesehen, das zur Vergebung mahnt und mit einem ganz extremen Beispiel Hartherzigkeit verurteilt (Mt 14,28). Die 10 000 Talente entsprechen umgerechnet etwa CHF 217 Millionen, die 100 Denare etwa CHF 150.–. Dieses Evangelium muss zusammen mit anderen Stellen gesehen werden. Alle, die sich auf das Priestertum vorbereiten, treffen im Studium auf jene Stelle, wo Jesus sagt: “Wer einen von diesen Kleinen, die an mich glauben, zum Bösen verführt, für den wäre es besser, wenn er mit einem Mühlstein um den Hals im tiefen Meer versenkt würde” (Mt 18,6; Mk 9,42; Lk 17,2). Die Stelle kommt auch in der Leseordnung vor, so am 26. Sonntag im Jahreskreis B und als Evangelium an einem Werktag in der 32. Woche im Jahreskreis – d.h. jeweils in jener Zeit, die sich dem Ende des Kirchenjahres zuneigt und in der ins Bewusstsein gebracht wird, dass Jesus Christus in Herrlichkeit wiederkommen wird, um zu richten.

Wenn wir in die Evangelien schauen, können wir ohne weiteres feststellen, mit welchen Gruppen der jüdischen Zeitgenossen Jesus milde und barmherzig war: Mit den Sündern aus dem einfachen Volk, mit den Zöllnern oder denken wir auch an die Stadt bekannte Sünderin oder an die Ehebrecherin, denen Jesus vergeben hat. Die Voraussetzung war Reue und Umkehr. Und mit wem ging Jesus besonders hart um? Mit den Schriftgelehrten und Pharisäern, wegen ihrer Hartherzigkeit, ihrer nach aussen scheinbaren Gesetzestreue und zugleich fehlender Liebe gegenüber Gott und den Mitmenschen.

Hören wir Jesus im Originalton im Matthäusevangelium: “Weh euch: Ihr Schriftgelehrten und Pharisäer, ihr Heuchler! Ihr seid wie die Gräber, die aussen weiss angestrichen sind und schön aussehen; innen aber sind sie voll Knochen, Schmutz und Verwesung” (Mt 23,27). Ein drastisches Bild! Doch selbst den Apostel Petrus verschonte Jesus nicht. Als bei seiner Leidensankündigung Petrus sagte, das solle nicht mit ihm geschehen, wies ihn Jesus zurecht: “Weg mit dir Satan, geh mir aus den Augen! Du willst mich zu Fall bringen, denn du hast nicht das im Sinn, was Gott will, sondern was die Menschen wollen” (Mt 16,23). Beim Gleichnis vom treuen und schlechten Knecht sagt Jesus abschliessend: “Wem viel gegeben wurde, von dem wird viel zurückgefordert werden, und wem man viel anvertraut hat, von dem wird man um so mehr verlangen” (Lk 12,48).

Den Geweihten ist viel anvertraut worden. Gemeint ist hier zweifellos, dass am Ende des irdischen Lebens Gott Rechenschaft verlangt. Das trifft jene besonders, die sich mit der Lehre Christi besser auskennen als das Volk. Das heisst, dass jene, die in die spezielle Nachfolge als Priester, Bischöfe und Ordensleute getreten sind, auch eine grössere Verantwortung haben. Daher sind auch die Auswahlkriterien für jene, die in diese Nachfolge treten, sehr wichtig. Da wurden sicher auch Fehler gemacht.

Um noch einmal auf das eingangs erwähnte Desaster zurückzukommen: Es werden jetzt extreme Forderungen erhoben, die so weit gehen, das Priestertum abzuschaffen und die Sexualmoral bis zur Unkenntlichkeit zu verwässern. Zu bedenken ist: Wer zu wenig Kraft hat, muss Christus seine Schwäche eingestehen, und so wird er gerade auch durch die heilige Kommunion gestärkt. Man kann diese Kraft erfahren, sie im Alltag spüren. Lasst uns alle insbesondere um den Heiligen Geist bitten, der die Kirche reinigen, ausmisten soll, damit Neues heranwächst und die Kirche auch jene Früchte bringt, die Christus als ihr Stifter von ihr erwartet.

Denken wir auch daran: Jesus selbst hat das Priestertum beim letzten Abendmahl eingesetzt! Geht es der evangelischen Kirche, insbesondere der Zwinglikirche, welche die Eucharistie faktisch abgeschafft hat, besser? Nein. Letztlich müssen alle, ob Klerus oder Laien, Fortschritte in ihrer Heiligkeit machen. Das Ziel der Unterweisung bzw. der Predigt ist gemäss des heiligen Apostels Paulus: “Liebe aus reinem Herzen, gutem Gewissen und ungeheucheltem Glauben” (1 Tim 1,5).

Amen.

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