Menschlichkeit und Pragmatismus

Wenn in Deutschland über Migration geredet wird, geht es, links wie rechts, vor allem um die Deutschen. Der Papst zeigt eine andere Perspektive

Quelle
Europa und die Migration: Ein Drama ohne Ende
Die wohl bekannteste Flucht aller Zeiten | Kamishibai (mein-kamishibai.de)
Der barmherzige Samariter. Kamishibai Bildkartenset | Weltbild.ch
Wie kann man ein “barmherziger Samariter” sein? (jw.org)

29.09.2023

Sebastian Sasse

Um zu verstehen, dass die Migrationspolitik das Thema ist, das die Deutschen am meisten umtreibt, muss man keine Umfragen lesen, es reicht, mit seinen Nachbarn zu sprechen, in der Schlange am Supermarkt oder bei den Gesprächen in der Straßenbahn zuzuhören. Das verbindet Deutschland mit den meisten anderen europäischen Ländern. Trotzdem sticht Deutschland mit seiner Perspektive heraus. Denn hierzulande – dies gilt mehr oder weniger wohl auch für Österreich – geht es, wenn um Migration gestritten wird, nicht nur um die Sachfragen. In Wirklichkeit werden hier dann nämlich Probleme behandelt, die hochgradig ideologisch überfrachtet sind.

Die Extreme bestimmen die Debatte

Es geht, wenn die Deutschen über Migration reden, in der Regel nicht um die Flüchtlinge und deren Schicksal, sondern in erster Linie um die Deutschen selbst und deren Not, zu einer Art identitätspolitischem Selbststand zu finden. Sowohl diejenigen, die die totale Abschottung vor jeder Fluchtbewegung fordern, wie die, die am liebsten die Tore aufreißen wollen und jede Einschränkung als Verbrechen an der Humanität brandmarken, instrumentalisieren Flüchtlinge. Die einen als Sündenbock für den von ihnen beklagten Mangel an nationalem und kulturellem Selbstbewusstsein, die anderen stilisieren sie zu Sehnsuchtsfiguren, die das dumpfe Deutschland in eine bessere Zukunft führen sollen. Weil diese Extreme zumindest unterschwellig – oder auch oft ziemlich sichtbar, man schaue in die Sozialen Medien – die Debatte bestimmen, fällt es in Deutschland so schwer, zu einer Position zu finden, die vielleicht am besten als humanitärer Pragmatismus zu beschreiben wäre.

Tja, was ist zu tun? Muss das ganze Land auf die Couch? Fürs Erste wäre es schon etwas, Papst Franziskus etwas genauer zuzuhören. Der Heilige Vater lenkt nämlich unsere Perspektive in eine Richtung, die uns helfen könnte. Sowohl in seinen Ansprachen in Marseille, aber auch schon früher zieht sich ein Leitmotiv durch die Aussagen des Papstes: “Ecce homo” – “Seht, da ist ein Mensch.” Es geht darum, in demjenigen, der als Flüchtling zu uns kommt, zuerst nicht den Migranten oder den Vertreter oder gar den Agenten einer bestimmten Kultur zu erkennen, sondern den konkreten Menschen.

Es ist auch erst einmal nicht entscheidend, was die Ursachen für seinen Weg zu uns waren, ob die Gründe uns überzeugen. Zunächst steht da ein Mensch, der Not leidet und Hilfe braucht. Das ist die Perspektive des barmherzigen Samariters. Und es kann, ja für Christen sollte es unsere Blickrichtung sein. Es ist allerdings eine Handlungsmaxime für den Einzelnen. So eine Haltung kann nicht zur Handlungsrichtline für einen Staat werden.

Die Burg muss funktionieren

Hier kommt der Pragmatismus ins Spiel. Politiker müssen wissen: Bürger kommt von Burg. Menschen brauchen solche Burgen, um in Sicherheit leben zu können. Das ist ein Zugeständnis daran, dass wir nicht im Paradies, sondern in der Welt leben. Dazu gehört, dass diese Burg nicht verfällt, die Zugbrücke braucht neues Schmieröl, damit sie auch zuverlässig geöffnet und geschlossen werden kann. Diese ständige Instandhaltung kostet Aufwand, Geld. Sie ist unverzichtbar. Sie ist sozusagen die politische Grundleistung, die der Bürger erwarten kann. Das muss gewährleistet sein, nur dann kann der Staat überlegen, wen er darüber hinaus in die Burg hineinlässt. Nur wenn die Burg funktioniert, kann von ihr auch humanitäre Hilfe ausgehen.

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