“Das Tischgebet halte ich für selbstverständlich”

‘Das Tischgebet erinnert wenigstens ein- bis zweimal am Tag daran, wem wir alles zu verdanken haben’

Quelle
Michaela von Heereman: “Ohne Wissen verdunstet der Glauben”

20.08.2023

Isabel Meuser

Frau Heereman, bis zu welchem Grad dürfen Kinder dazu angehalten werden, am Familiengebet teilzunehmen – sollte es auf reiner Freiwilligkeit beruhen?

Das kommt ein wenig darauf an, was man unter “Familiengebet” versteht. Das Tischgebet beispielsweise halte ich für selbstverständlich und wichtig. Es erinnert uns wenigstens ein- bis zweimal am Tag daran, wem wir alles zu verdanken haben. Es ist ein wichtiges Hineinwachsen in den Glauben für Kinder und übrigens auch eine große pädagogische Hilfe: Die Mahlzeiten haben einen klaren Anfang und ein klares Ende. Wenn es aber um einen abendlichen Rosenkranz geht, wie er in manchen Familien üblich ist, dann bin ich da gespalten. Manche Kinder beten ja gerne mit, wenn sie etwas auswendig sprechen oder sogar vorbeten dürfen. Ich habe es so gehalten, dass wir höchstens ein Gesetz gebetet haben und so, dass ich das Gesetz erklärt beziehungsweise daraufhin geführt habe.

Ein Kind zu zwingen, einen ganzen Rosenkranz mitzubeten, finde ich zu viel. Wir dürfen Kinder nicht im Glauben überfordern. Wenn Gebet unter Druck stattfindet, atmet die Seele nicht. Gerade beim Beten sollten nicht ständig Ermahnungen oder Verbote nötig sein.

Nach welchem Kind soll sich das Anspruchs-Level des Gebets richten – nach dem jüngsten Kind?

Meine Erfahrung ist, dass sich die Kleinen nach der Decke recken. Die Großen geben den Takt an. Wenn der Altersabstand allerdings zu groß ist, muss man sie trennen. Ich sage gern: “Zeit ist Liebe” Es kostet Zeit, mit zwei oder drei Kindern zu beten, weil man das Gebet auf die Dauer individuell gestalten muss. Man schenkt ihnen ja Liebe. Und Liebe kann man nicht delegieren oder nur verbal ausdrücken. Die Kinder müssen am Abend spüren: Mama und Papa sind für mich da und interessieren sich. Es ist eine Frage der Liebe, sich die Zeit zu nehmen. Die Währung der Liebe ist Zeit.

Seit mein Sohn in der Schule dafür ausgelacht wird, möchte er nicht mehr mit uns beten – was können Sie mir raten?

Ich würde mein Kind erst einmal fragen: “Was sind das für Kinder, die da lachen? Sind es überhaupt Kinder, die du nett findest? Wenn das nicht so ist, dann muss du sie nicht ernst nehmen. Eigentlich können die Kinder einem leidtun, weil sie den nicht kennen, der will, dass sie auf der Welt sind, der die ganze Welt geschaffen hat und der für das ganze Leben die größte Kraft ist. Deswegen würde ich mich von jemandem, der diese wichtige Person nicht kennt, nicht verunsichern lassen, da er viel weniger weiß als ich.” Wenn ein Kind nicht mit uns beten will, muss man sich aber auch fragen, was an unserem Gebet es vielleicht stören kann. Vielleicht ist das Gebet selber für das Kind nicht einleuchtend. Es darf nicht langweilen, es darf auch nicht überfordern und muss etwas mit seinem Leben zu tun haben.

Michaela Heereman ist Theologin, und Mitautorin vom Youcat for Kids.

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