Ernst ist das Leben, heilig die Kunst

Im Stift Heiligenkreuz sucht man das ewige Leben auf kreative Weise

Quelle
Realismus mit starken Emotionen
Heiligenkreuz
Pater Raphael Statt – Stift Heiligenkreuz (stift-heiligenkreuz.org)

26.06.2023

Sebastian Moll

“Wer singt, betet doppelt”, soll der heilige Augustinus einmal gesagt haben. Wenn schon der mehr oder weniger melodische Gesang des einfachen Christen die Macht des Gebets verdoppelt, wie stark muss es sich dann erst potenzieren, wenn es durch die meisterhafte Hand eines bildenden Künstlers in Form gegossen wird?

Eine Antwort auf diese Frage, oder zumindest den Versuch einer solchen, kann man derzeit im Stift Heiligenkreuz erfahren, wo der Künstlermönch Pater Raphael Statt am vergangenen Sonntag seine Skulpturenausstellung eröffnete. Als Künstler geboren, zum Mönch berufen, möchte man angesichts der Vita des Zisterziensers meinen, der an jenem Sonntag zugleich seinen 65. Geburtstag beging und auf beinahe fünfzig Jahre künstlerischen Schaffens zurückblicken darf. In das Kloster Heiligenkreuz trat er hingegen erst im Jahre 2005 ein.

Kann Kunst etwas anderes, als den Spuren Gottes zu folgen?

Zu den Höhepunkten seiner kreativen Laufbahn, die im Berlin der DDR-Zeit begann, zählt ohne Zweifel das 1991 eingeweihte Denkmal für den Flugpionier Otto Lilienthal im brandenburgischen Derwitz, wo Lilienthal hundert Jahre zuvor seinen ersten Gleitflug unternahm und somit zum ersten fliegenden Menschen der Weltgeschichte wurde. “Fast möchte man dem Eindrucke Raum geben, als sei der Storch eigens dazu geschaffen, um in uns Menschen die Sehnsucht zum Fliegen anzuregen”, beschrieb Lilienthal seine Inspiration durch die beflügelte Natur und ließ sogar den Storch selbst zu Wort kommen: “Es kann deines Schöpfers Wille nicht sein, Dich, Ersten der Schöpfung, dem Staube zu weih?”

Unübersehbar bilden die Vögel auch eine sprudelnde Quelle der Inspiration für Pater Raphael. Mehr als die Hälfte der in der Aula des Stifts ausgestellten Figuren stellen unsere gefiederten Freunde dar, faszinierende Gestalten, wenngleich ein wenig janusköpfig, denn sie scheinen stets realistisch und unwirklich zugleich zu sein. Der Beobachter erkennt ohne Schwierigkeiten den buschigen Kopf der Eule oder den scharfen Schnabel des Adlers, und doch wirken die jeweiligen Tiere, als entstammten sie einem anderen Stadium der Schöpfung. Geschaffen aus Stücken verwitterter und durchlöcherter Baumrinde halten uns die Skulpturen die Vergänglichkeit alles Geschaffenen vor, während der Bronzeüberzug einen Hauch von Ewigkeit versprüht. Ja, das ist die Welt, in die uns der Künstler mit seinen Werken entführt.

Auf genau diesen Punkt zielt Christoph Böhr, Professor für Philosophie an der Hochschule Heiligenkreuz, mit seiner Ansprache zu Ehren des Geburtstagskindes. Unter Rückgriff auf die klassisches Schrift des Aristoteles “Werden und Vergehen” beschrieb er diese beiden Pole als den Rahmen, in dem sich menschliche Vorstellungskraft abspiele. “Und weil alles, was wir im Leben erfahren, zwischen diesen Polen schwingt und schwankt, ist unsere Sehnsucht nach dem, was standhält, was Dauer hat, was dem Untergang entzogen bleibt, so unermesslich groß – und doch nie erfüllbar. Außer: In der Kunst, genauer gesagt, in der Kunst von Pater Raphael […] Ist Kunst je etwas anderes, als in eben diesem Sinn den Spuren Gottes zu folgen? Um etwas wieder hervorzuholen, was eigentlich schon vergangen und verloren schien?”

Gott auf der Spur

Zu diesem Thema hört man auch den Künstler selbst, und zwar in einem kurzen Film, erstellt vom “Studio 1133” der Hochschule Heiligenkreuz, in dessen Hof sich die vom Künstler geschaffene Statue Benedikts XVI. befindet. In dem wunderschön gemachten Beitrag sieht man Pater Raphael durch den Wienerwald streifen, “Gott auf der Spur”, wie er es beschreibt, wobei er stets mehr finde, als er suche. Kunstaffine Zuhörer mögen hier an das berühmte Gemälde von Carl Spitzweg denken, dessen Schmetterlingsjäger ebenfalls verblüfft feststellen muss, dass seine Vorstellungen über das Wesen der Schöpfung gänzlich zu klein gewesen sind. Und wie könnte es einem Menschen, und sei er ein noch so begnadeter Künstler, wohl anders ergehen angesichts der gewaltigen Schöpfungskraft Gottes? “Wo warst du, als ich die Erde gründete? Sage mir’s, wenn du so klug bist!”, fragt der Herr höhnisch den überheblichen Hiob. Pater Raphael hingegen ist weise genug, um sagen zu können: “Gott ist immer größer als ich. Ich bin nur sein Werkzeug.”

Wald und Wiese sind jedoch nicht die einzigen Themen des Zisterziensers. Das demonstriert Gregor Henckel-Donnersmarck, ehemaliger Abt des Klosters Heiligenkreuz und Onkel des berühmten Hollywoodregisseurs. Um den Hals trägt er ein vom Künstler geschaffenes Pectorale, ein Brustkreuz, das von einem Davidstern umrahmt ist. Dieses Symbol erinnere, so Henckel-Donnersmarck, an die Solidarität des dänischen Königs Christian X., der sich selbst, aus Protest gegen die deutsche Besatzung, demonstrativ einen Judenstern angeheftet habe. Neben der symbolischen Bedeutung unterlässt es der Altabt aber auch nicht, auf die künstlerische Finesse des Pectorale hinzuweisen. Denn es erfordere großes Geschick, das Kreuz mit dem Davidstern so zu kombinieren, dass letzterer das Kreuz optisch nicht unterdrücke.

Ein weiterer Gast, der von dem weitreichenden Einfluss Pater Raphaels zeugt, ist Pater Thaddäus, der in seiner kurzen Ansprache die Grüße der Mitbrüder des Klosters Stiepel, einem Stadtteil von Bochum, überbringt. 1988 wurde das dortige Kloster von vier aus Heiligenkreuz entsandten Mönchen gegründet. Pater Thaddäus verweist darauf, wie viel sein Heimatkloster Pater Raphael verdanke, insbesondere die Neugestaltung des Altarraums der Kirche, inklusive Chorgestühl und Glasfenster, aber auch die neuen Kirchenbänke. Zugleich möchte er dem Künstler auch Trost zusprechen, da er um dessen leidgeprüfte Profession wisse, aber mit dem Apostel davon überzeugt sei, dass “die Leiden der gegenwärtigen Zeit nichts bedeuten im Vergleich zu der Herrlichkeit, die an uns offenbar werden soll” – was im Publikum ein angemessenes Schmunzeln hervorruft.
Der Angesprochene will von Leid dann auch gar nichts wissen. Vielmehr spricht er von der “unsagbaren Freude”, die ihn oft bei seiner Arbeit überkomme. Als er zum Ende der Veranstaltung schließlich selbst das Wort ergreift, dankt er nur Gott – und seiner Mutter, die in Form einer von ihm geschaffenen Büste im Saal anwesend ist.

Zum Abschluss stimmt der Prior, Pater Johannes Paul, noch das klassische Geburtstagslied “Viel Glück und viel Segen” an, und zwar gleich zweimal. Wenn die Mathematik nicht trügt, war das dann also ein vierfaches Gebet.

Die Ausstellung mit Werken von Pater Raphael Statt ist noch bis 1. Juli 2023 kostenfrei im Stift Heiligenkreuz zu sehen. Die Öffnungszeiten sind von Montag bis Samstag 9 bis 11:30 und 14:30 bis 17 Uhr.

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