‘Glaubensfilme’ – “Andrej Rubljow”: Eine russische Passion

Auftakt der Tagespost-Serie “Glaubensfilme”: Andrej Tarkowskijs Meisterwerk “Andrej Rubljow” zeigt, dass Ikonen Fenster zur Transzendenz sind

Film “Andrej Rubljow”: Eine russische Passion | Die Tagespost (die-tagespost.de)
ANDREJ RUBLJOW: Film als Welt- und Zeitmaschine | Geschichte[n] des Films #18 Tarkowskij #2 – YouTube
Das Kino und der Glaube
John Patrick Foley – Wikipedia
Die vatikanische Filmliste – Anständige Filme (decentfilms.com)

Aktualisiert am 03.05.2023

Uwe Wolff

Dem amerikanischen Kurienkardinal John Patrick Foley (1935-2011) verdanken wir eine ganz besondere Initiative: Die 1995 veröffentlichte offizielle Filmliste des Vatikans. Die von ihm eingesetzte Kommission präsentierte Filmtitel in den Kategorien “Glauben”, “Werte” und “Kunst” – und der hoch dekorierte Kardinal-Großmeister des Ritterordens vom Heiligen Grab zu Jerusalem erhielt in seinem Todesjahr den Gabriel Award, die höchste katholische Auszeichnung im Mediensektor. Der Engel Gabriel gilt als Schutzpatron aller Medienschaffenden.

Ein Meisterwerk der Achtsamkeit und Filmästhetik

Foleys Liste mit Film-Tipps hat also Gewicht und den hohen Mut zur Erziehung des Menschengeschlechtes, der in Kirche, Schule und Universität vielfach abhanden gekommen ist. Mit auf dieser Liste: “Andrej Rubljow” (1966), ein Klassiker in jener Überlänge von 185 Minuten, mit der Andrej Tarkowskij (1932-1986) seinen Zuschauern einen langen Atem abfordert. Seine Filme “Solaris” (1972), “Der Spiegel” (1975), “Stalker” (1979), “Nostalghia” (1983) oder “Das Opfer” (1985) brechen mit den Sehgewohnheiten des Unterhaltungskinos: Tarkowskij wechselt zwischen Farb- und Schwarzweiß-Aufnahmen, die Kamera verweilt in minutenlanger Einstellung, Menschen erscheinen und schauen schweigend. Kein Film ohne Tiere, besonders Hunde wie Tarkowskijs eigener Schäferhund-Mix Dakus.

“Andrej Rubljow” ist nach “Iwans Kindheit” (1962) Tarkowskijs zweiter Film. Er führt in das spätmittelalterliche Russland des Machtmissbrauchs, der Intrigen und Willkür des Adels, in die Eroberungszüge der Tartaren und zeigt auf diesem Panorama der Gewalt das Leben des Malermönches Andrej Rubljow (um 1360-1430). Dieser Heilige der russischen orthodoxen Kirche und Schutzpatron des Filmemachers war nicht nur ihr berühmtester Ikonenschreiber, sondern wurde durch Tarkowskijs Film selbst zu einer Ikone. Andrej Rubljow schreibt beziehungsweise malt, weil er malen muss. Wie der Prophet Elia erlebt er einen Zusammenbruch und fällt in die Nacht des Glaubens. Er legt ein Schweigegelübde ab: “Ich habe den Menschen nichts mehr zu sagen.”

Ikonen sind Fenster zur Transzendenz. Doch manchmal sind selbst die Altäre verhüllt. Nicht nur in der Karwoche, sondern für lange Zeit, für Jahre oder eine ganze Epoche. Rubljow lebte wie wir in einer Zeit der verhüllten Altäre. Und: Ikonen sind keine Illustrationen. Sie sind das Bild, das sie verkündigen: Christus ist die “Ikone” Gottes. So wie Gott in Christus gegenwärtig ist, sind die Heiligen, Christus oder die Muttergottes auf den Ikonen reale Gegenwart. Deshalb werden sie kultisch verehrt und wie beim Altarkuss des Priesters geküsst. Ikonenmalerei ist sakramental. Nur Berufene dürfen Ikonen malen beziehungsweise schreiben.

Wie Ingmar Bergmann arbeitete Tarkowskij mit einem festen Stab von Schauspielern. Der Malermönch wurde von Anatoli Solonitzyn (1934-1982) dargestellt. Es gehört zum Mysterium aller großen Kunst, dass sie sich in die Biographie der Menschen hineinschreibt. Wie der Regisseur so starb sein Darsteller in der Mitte des Lebens an den Folgen eines langen Krebsleidens.

Ein Filmerlebnis, das Kinoerfahrungen sprengt

Der Film durfte in der Sowjetunion nicht gezeigt werden. Eine deutsche Erstaufführung fand im ZDF (1973) statt. Dann lief der Film gelegentlich in den Programmkinos, wo ich ihn 1977 im Nachmittagsprogramm zum ersten Mal sah. Mein Studienkollege Caspar Graf von Rex hatte mich zu dieser ungewöhnlichen Zeit eingeladen. Die Plätze im Kino waren gut gefüllt. Niemand aß Knabbersachen, niemand rauchte, keine Eisverkäuferin unterbrach die Aufführung. Das war eine Lehrstunde in Sachen Achtsamkeit und Filmästhetik. Tarkowskijs Kultfilme stiften eine Gemeinde von Eingeweihten.

“Andrej Rubljow” ist kein Historienfilm, sondern eine Vergegenwärtigung der Passion. Der hohe Anspruch der filmischen Umsetzung kann nicht nur heutigen Sehgewohnheiten ein Korrektiv sein. Er zeigt, dass bestimmte Inhalte nicht medial unterhaltsam aufgepeppt werden können. Wie die Messe, so hat dieser Film eine eigene Sprache. Wer sich ihr nicht aussetzt, wird niemals sehend.

Das Läuten der Kirchenglocken lädt zur Messe. Zarter Glockenklang ertönt auch zu Beginn des Filmes. Er verweist auf die berühmte monumentale Schlussszene. Der junge Glockengießer Boriska wagt mit dem ersten Guss einer eigenen Glocke das Unmögliche. Sein Kunstwerk und der Klang der Glocke transzendieren das Passions-Panorama. Die Menschen beugen wieder die Knie. Vor dem Bild des Glockengießers findet Rubljow seine Berufung wieder: “Jetzt werden wir beide gemeinsam ziehen. Du wirst Glocken gießen, und ich Ikonen malen. Gemeinsam ziehen wir zur Dreifaltigkeit. Für die Menschen ist das ein richtiges Fest, so eine Freude hast du geschaffen.” Erst vier Minuten vor Schluss verklärt Tarkowskij seine Passion durch eine farbige Sequenz. Nun erscheint die Ikone der “Troiza” (“Dreieinigkeit”): Sie hängt heute in den Tretjakow-Galerie und ist auf unzähligen Reproduktionen von Taizé bis ins arktische Franz-Joseph-Land überall auf der Welt zu finden.

Rubljow orientierte sich an dem Besuch der drei Engel Gabriel, Raphael und Michael im Hain Mamre bei Abraham und Sara. Das Ehepaar hatte ihnen aufgetischt, und die Engel haben gegessen, weiß die Bibel. Rubljow sah in diesem Essen einen sakramentalen Akt: Deshalb platzierte er die drei Engel um einen Abendmahlskelch. Gott sei Abraham und Sara in der Gestalt dieser Engel erschienen, wussten die Kirchenväter. Andrej Rubljow folgte dieser Deutung und malte mit seiner Engelikone die Trinität.

Andrej Rubliow: Schöpfer der “Dreifaltigkeitsikone”

Kennt unsere Zeit noch das Geheimnis der religiösen Bilder? Erleben wir noch die Kunst zum Niederknien? Der russische Universalwissenschaftler und Märtyrer-Priester Pawel Florenskij (1882-1937) wurde eines der vielen Opfer von Stalins Hass auf das Christentum und die Kirche. Von ihm stammt das berühmte Zeugnis: “Es gibt die Dreifaltigkeitsikone von Rubljow, also gibt es Gott!”

Tarkowskij starb im französischen Exil. Seine Tagebücher aus jenen Jahren tragen den Titel “Martyrolog”.  Darin zitiert er ein berühmtes Gedicht Puschkins über die Berufung des Künstlers: “Und ich vernahm des Himmels Beben,/ der Engel sternumwehten Flug.” Beerdigt wurde Tarkowskij auf dem russischen Friedhof von Sainte-Geneviève-des-Bois. Auf seinem Grabstein liest der Besucher: “Für den Menschen, der den Engel erblickt hat” (“tcheloveku kotoryj uvidel angela”).

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