“Die Stadt hält den Atem an” *UPDATE

Der Dom hat das Wort: Der Europäische Glockentag findet in Köln statt

Quelle
Heinrich Ulrich (Glockengießer) – Wikipedia
5. Mai 1923 – Guss der St. Petersglocke für den Kölner Dom, Stichtag – Stichtag – WDR
Kölner Dombauhütte: Neuer Glanz für Notre-Dame
Faszination Glocken | Glockentag 2023 (glocken-online.de)
Glocken | Domführungen Köln (domfuehrungen-koeln.de)
Begrüßung – Marianische Männerkongregation 1608 Köln (mc1608koeln.de)
*”Sicherlich ein schönes Erlebnis”: Glockenkonzert am Kölner Dom für Freitagabend geplant (catholicnewsagency.com)

23.04.2023 – Constantin von Hoensbroech

“Wenn die Petersglocke, das Prunkstück unter den elf Glocken unserer Kathedrale, läutet, hält die Stadt den Atem an”, sagt der Kölner Dompropst Monsignore Guido Assmann und ergänzt: “Die Menschen bleiben stehen, der Alltag bricht auf, der Dom hat das Wort.” Zuletzt sei dies in beeindruckender Weise zu erleben gewesen, als das weithin hörbare so warme ‘C’ über Stadt und Fluss erklang und auf diese Weise vom Tode des emeritierten Papstes Benedikt XVI. kündete. Auch zu anderen besonderen Anlässen wurde die Glocke geläutet – etwa zum Ende des Zweiten Weltkriegs, beim Begräbnis des ehemaligen Kölner Oberbürgermeisters und langjährigen Bundeskanzlers Konrad Adenauer (1967) sowie am Tag der Wiedervereinigung Deutschlands im Jahr 1990. “St. Peter bin ich genannt, schütze das deutsche Land, Geboren aus deutschem Leid, ruf ich zur Einigkeit”, lautet eine der Inschriften auf der Glocke. Doch die vornehmste Aufgabe der 24 Tonnen schweren Petersglocke ist es, die höchsten Feste im liturgischen Jahreskreis einzuläuten und die Menschen zu den Gottesdiensten zu rufen.

Die tontiefste freischwingende Glocke der Welt

In diesem Jahr feiert die bis heute tontiefste freischwingende Glocke der Welt ihren 100. Geburtstag. Aus diesem Anlass wird in Köln ein Europäischer Glockentag ausgerichtet. Eine solche mehrtägige Veranstaltung gab es bereits in Frankfurt am Main (1985), Erfurt (1997) und Karlsruhe (2004). “Ziel des Glockentages ist es, das Interesse der Bevölkerung für den allgegenwärtigen Glockenklang zu wecken und sich damit in verschiedener Weise auseinanderzusetzen”, unterstreicht Andreas Philipp. Das Mitglied des Beratungsausschusses für das Deutsche Glockenwesen, ein Ökumenischer Ausschuss der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) und des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), ergänzt: “Dabei geht es natürlich auch darum, die Aufgabe von Glocken in Kirchen, ihre Bedeutung für unseren Kulturkreis sowie ihre Entwicklung in Europa zu bedenken.”

Im Rahmen des Glockentages vom 4. bis 7. Mai gibt es neben Gottesdiensten auch zahlreiche andere Einzelveranstaltungen, wie Ausstellungen und Konzerte, Geläutevorführungen, einen öffentlichen Glockenguss auf dem Platz vor dem Dom sowie Vorträge. Einer der Höhepunkts des Glockenfests bildet ein einstündiges Konzert, bei dem die Domglocken gemäß einer Partitur in unterschiedlichen Kombinationen erklingen. Außerdem werden zum “30. Kolloquium zur Glockenkunde” rund 140 Teilnehmer aus neun Ländern erwartet.

In diesem Rahmen hält auch der gleichnamige Enkel von Konrad Adenauer einen Vortrag über seinen Großvater und dessen Einsatz für das Glockenwesen. “Mein Großvater hatte mit dem damaligen Erzbischof von Köln an die Reichsregierung geschrieben und um eine Wiedergutmachung für die in den letzten Kriegstagen eingeschmolzene Kaiserglocke nachgesucht”, erklärt Konrad Adenauer. Denn die in den letzten Tagen des Ersten Weltkriegs für die Rüstung eingeschmolzene Kaiserglocke war im Jahr 1874 selbst aus erbeutetem Kriegsmaterial gegossen und in das Geläut der damals noch nicht vollständig fertiggestellten Kathedrale in 53 Metern Höhe eingefügt worden.

Glocken als Kriegsopfer

“Im Frühjahr 1918, in schwerster Kriegsnot, hat das Kölner Metropolitankapitel die Kaiserglocke des hohen Domes dem Vaterland zum Opfer gebracht”, heißt es in dem Schreiben vom 15. Januar 1922 an Reichskanzler Friedrich Ebert. Der Erzbischof, Karl Joseph Kardinal Schulte, Oberbürgermeister Konrad Adenauer sowie der stellvertretende Regierungspräsident Karl Budding bitten daher die Reichsregierung “um kostenlose Überweisung des Metalls für einen neuen Guss”. Tatsächlich wurde der Bitte aus Köln entsprochen. Die zuständigen Minister ermächtigten den Oberpräsidenten der Rheinprovinz zum Erwerb des für den Glockenguss erforderlichen Metalls. Bereits am 13. März 1922 erhielt die Glockengießerei Gebrüder Ulrich in Apolda den Auftrag.

Doch bis die Petersglocke erstmals läutete, vergingen noch über drei Jahre. Insbesondere durch die Hyperinflation der Weimarer Republik kam es zu erheblichen Verzögerungen und Schwierigkeiten bei der Finanzierung des Vorhabens. Aufgrund der rasenden Inflation verlangte Heinrich Ulrich zusätzlich 5 000 Dollar. Im Januar 1923 musste mit der Gießerei aus Thüringen ein neuer Vertrag ausgehandelt werden. Nicht zuletzt durch das Zusammenwirken von Reichsregierung, preußischer Staatsregierung sowie den Initiativen aus der Bevölkerung, beispielsweise der “Vereinigung Kölner Bürger zur Förderung der Deutschen Glocke am Rhein”, gelang es, den finanziellen Kraftakt zu bewältigen.

Der Meister weinte

Szenenwechsel: Apolda am späten Abend des 5. Mai 1923. Heinrich Ulrich verlässt seine Werkstatt und weint. Das war die Reaktion des Glockengießermeisters, nachdem der Guss der Petersglocke in neun Minuten und 32 Sekunden durchgeführt worden und gelungen war. Eine enorme Anspannung muss sich in diesem Moment bei dem Angehörigen eines jahrhundertealten Erz- und Glockengießergeschlechts gelöst haben. Das Unternehmen hatte sich unter seiner Ägide einen weltweiten Ruf erworben. Doch die mit zahlreichen Inschriften, figürlichen Darstellungen und Wappen verzierte Glocke für Köln war wohl so etwas wie sein Lebenswerk. Besonders tragisch: Hören konnte er die Glocke nicht mehr, denn Heinrich Ulrich verstarb im Februar 1924 wenige Tage vor seinem 48. Geburtstag. Monate später, am 30. November, weihte der Kölner Erzbischof das Lebenswerk von Heinrich Ulrich auf den Namen Sankt Peter, dem Patron der Kölner Kathedrale.

Dass die Stadt im Freistaat Thüringen bis heute mit dem Anspruch “Glockenstadt Apolda” wirbt, ist nicht zuletzt ein Verdienst der Gebrüder Ulrich. Auch wenn das Handwerk des Glockengießens in Apolda nicht mehr ausgeführt wird, pflegt die Stadt doch nachhaltig die Erinnerung an das hier über 250 Jahre in höchster Perfektion ausgeführte traditionelle Handwerk. “Deshalb werden wir es zum Geburtstag des dicken Pitters auch krachen lassen”, sagt Stefan Zimmermann und meint damit nicht nur das große Feuerwerk, das abends am 5. Mai, dem Geburtstag der Petersglocke, gezündet wird. Der Fachbereichsleiter für Zentralverwaltung und Kultur bei der Stadtverwaltung präzisiert: “Wenn in Köln der Europäische Glockentag stattfindet, nehmen wir das zum Anlass, auch hier in Apolda mit verschiedenen Veranstaltungen vor dem Rathaus ein Glockenfest auszurichten.”

Kölner begleiteten die Glocke auf dem Weg

Federführend ist dabei der Freundeskreis “GlockenStadtMuseum”. So soll beispielsweise ein Glockenmodell der Petersglocke angefertigt und teilweise über jenen Weg in die Stadt gebracht werden, die die Glocke 1923 von der Gießerei aus bis zu ihrem Ort des Abtransports nach Köln genommen hat. Mit besonderer Erwartung blickt Zimmermann auf die Aufarbeitung von historischem Filmmaterial. “Wir sind gerade dabei, etwa elf Minuten Filmmaterial vom Transport der Glocke aus Apolda bis zur Ankunft am Dom zu Köln aufzuarbeiten und zu vertonen.”

Tausende begeisterte Kölner säumten 1924 den Weg der Glocke vom Rheinauhafen bis zum Domplatz. Dort sollen laut der damaligen Zeitungsberichte etwa 30 000 bis 40 000 Menschen unter dem Geläut der Domglocken die Ankunft des mit zahlreichen Blumen und Buchs geschmückten “Meisterwerks, dem kein Kunstprodukt dieser Art an die Seite gestellt werden kann”, verfolgt haben. Das zitierte Urteil stammt aus der amtlichen Stellungnahme, die niedergeschrieben wurde, als die Petersglocke im Juni 1923 in der Gießerei in Apolda mit Stimmgabeln einer eingehenden Prüfung unterzogen und als untadelig testiert worden war. Knapp ein Jahr später kam einer der Gutachter der Gießerei Ulrich zu dem Ergebnis, “die Glocke als ein Unicum eines Meisterwerkes der Glockengießerkunst zu bezeichnen, zu dem (…) kaum eine Rivalin in der ganzen Welt zu finden ist”. Der Vollständigkeit halber sei hier zumindest erwähnt, dass in der “Kathedrale des Volkes” in der rumänischen Hauptstadt Bukarest nun seit sechs Jahren die größte freischwingende Glocke der Welt hängt.

Im Krieg nicht eingeschmolzen

Spannend in der Vita des Kölner Geburtstagskindes ist auch der Umstand, dass es im Zweiten Weltkrieg nicht für die Kriegsrüstung beschlagnahmt worden ist. Das Domkapitel hatte sich an Albert Speer, Minister für Bewaffnung und Munition, gewandt und auf die außerordentliche musikalische, technische sowie historische Bedeutung der Glocke hingewiesen. Mit Erfolg. Die “Reichsstelle Eisen und Metalle” stellte die Ablieferung der Petersglocke – und auch der anderen Domglocken – zurück. “Es war nachgewiesen worden, dass ein Abmontieren der mächtigen Glocke wegen der Kriegsverhältnisse von der Kreishandwerkerschaft nicht durchzuführen sei”, heißt es in einem Aufsatz des Kölner Heimatforschers Wilhelm Kaltenbach (1908 bis 1988).

Wie sehr die in Köln liebevoll “decke Pitter” genannte Glocke die Gläubigen und die Stadtgesellschaft sowie viele Menschen über das Rheinland hinaus “emotional bewegt”, wie es einmal der ehemalige Dompropst Norbert Feldhoff betonte, zeigte sich auch am Dreikönigstag im Jahre 2011. Als die Petersglocke die Gläubigen zum Pontifikalamt zu rufen begann, verstummte sie nach nur fünf ihrer weithin hörbaren Schläge. Der Grund: Wegen Materialermüdung war der 800 Kilogramm schwere und fast vier Meter lange Klöppel abgebrochen. Elf Monate später hatte die Petersglocke ihre Stimme wieder und läutete mit einem neuen Klöppel das Hochfest der ohne Erbsünde empfangenen Gottesmutter Maria ein. Bereits 1952 hatte die Petersglocke aufgrund einer Rissbildung am Schlagring ihren Klöppel verloren. Der damals abgebrochene Klöppel wird im Rahmen des Jubiläums nach Apolda ausgeliehen.

Klara wird die Schwester vom dicken Pitter

Übrigens bekommt die riesige Petersglocke als Geburtstagsgeschenk eine kleine Schwester: die Klaraglocke. Diese im Jahre 1621 gegossene und mit 48 Zentimetern Durchmesser sowie 70 Kilogramm Gewicht kleinste der Kölner Domglocken kehrte dieser Tage generalüberholt, konservatorisch gereinigt und mit einem neuen Klöppel versehen nach vielen Jahren wieder in den hölzernen Glockenstuhl des Kölner Wahrzeichens zurück. Im Rahmen des Europäischen Glockentags wird sie erstmals wieder zu hören sein.

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