Eine kurvenreiche Geschichte an ihrem guten Ziel

Als Benedikt XVI. am 1. September 2006 als erster Papst nach über 400 Jahren sein Knie wieder vor dem wahren Schweißtuch Christi beugte, erlaubten ihm die Umstände und viele Widerstände dennoch kaum mehr, als dass er sich damals der kostbaren Ur-Ikone im Grunde nur wie ein beliebiger Pilger oder japanischer Tourist nähern durfte

Quelle
Pilgerfahrt zum Heiligtum des “Heiligen Antlitzes” in Manoppello (1. September 2006) | BENEDIKT XVI. (vatican.va)
Ein Leben für den Logos und die Wahrheit: Nachruf auf Erzbischof Edmond Farhat

Von Paul Badde / EWTN.TV

21. Januar 2019

Als Benedikt XVI. am 1. September 2006 als erster Papst nach über 400 Jahren sein Knie wieder vor dem wahren Schweißtuch Christi beugte, erlaubten ihm die Umstände und viele Widerstände dennoch kaum mehr, als dass er sich damals der kostbaren Ur-Ikone im Grunde nur wie ein beliebiger Pilger oder japanischer Tourist nähern durfte.

Weder der Ortsbischof noch der Guardian des Heiligtums wagten es damals, den Pontifex zu bitten, die Welt mit der wahren Ikone zu segnen. So war es am Sonntag des 20. Januar nicht weniger als eine theologische Zeitenwende, als Kardinal Gerhard Ludwig Müller mit den Erzbischöfen Bruno Forte aus Chieti-Vasto in den Abruzzen und Salvatore Cordileone aus San Francisco in Kalifornien die Stadt Manoppello, die Welt und die Kirche mit dem Antlitz Christi segneten.

Vor nur drei Jahren haben die Erzbischöfe Georg Gänswein und Raimond Farhat die Tradition des alten Segens mit dem Antlitz Christi im Jahr der Barmherzigkeit in der Hospitalkirche Santo Spirito in Sassia in Rom wieder neu belebt, wo Papst Innozenz III die lateinische Welt des Westens im Jahr 1208 erstmals mit dem menschlichen Antlitz Gottes bekannt gemacht hatte.

Jetzt war es daher plötzlich, als ginge die Zeit der Gottesfinsternis, die die Welt nun schon so lange heimsucht, in den nebligen Abruzzen endlich ihrem Ende entgegen mit dem Blick in die erbarmenden Augen Christi, als Kardinal Müller in seiner Predigt über das Schweißtuch Christi einmal nicht mehr über die überwältigenden Probleme und kapitalen Sünden sprach, die die Kirche unserer Tage manchmal fast zu ersticken scheinen, sondern den Blick ganz neu auf das Antlitz Christi lenkte, als dem Haupt der Kirche und Gesicht der Liebe, “das die Sonne und Sterne bewegt” wie Dante es noch in seiner Göttlichen Komödie wusste.

Manoppello 20. Januar 2019

Von Gerhard Ludwig Kardinal Müller

In den Abschiedsreden Jesu vor seiner Passion gibt Jesus auf die Frage des Apostels Philippus eine Antwort, die uns in die Mitte unseres Glaubens führt. Nachdem Jesus gesagt hatte: “Wenn ihr mich erkannt habt, werdet ihr auch meinen Vater erkennen. Schon jetzt kennt ihr ihn und habt ihn gesehen”, danach denkt sich Philippus, wie es möglich sei, Gott zu sehen, “der in einem unzugänglichen Licht wohnt und den kein Mensch gesehen hat, noch je zu sehen vermag”. Jesus antwortet ihm: “Wer mich gesehen hat, hat den Vater gesehen.”

Wenn wir also Jesus gegenüber stehen von Mensch zu Mensch und in sein menschliches Antlitz blicken, dann sehen wir in Jesu Augen die wohlwollende, prüfende, richtende und rettende Macht der Liebe, die Gott ist in der Einheit und Gemeinschaft von Vater, Sohn und Heiligen Geist. Wir sehen mit unseren leiblichen Augen Jesus und erkennen ihn mit den “erleuchteten Augen unserer Herzen” seine göttliche Natur und Macht. In der göttlichen Person des Sohnes vom Vater ist Christi ewige göttliche Natur und seine angenommene menschliche Natur vereinigt. Nur durch Jesus kommen wir zum Vater, weil er allein den unendlichen Abstand des Geschöpfs zum Schöpfer überbrückt. “Der Mensch Christus Jesus ist der einzige Mittler zwischen Gott und den Menschen.” Er ist der Fleisch gewordene universale Heilsplan Gottes, der “will, dass alle Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen.”. Jesus ist in seiner menschlichen Natur “der Weg, auf dem die Wahrheit und das Leben” in diese Welt gekommen sind.

Der Apostel Paulus nennt die menschliche Natur Christi, durch die wir Gottes Herrlichkeit erkennen und von der wir erfüllt werden: die “Ikone Gottes” – imago Dei. Sie ist nicht ein Gottesbild, das in einem endlichen Verstand ausgedacht und von Menschenhand gemacht wurde. Schon vor der Fleischwerdung des Wortes ist im dreifaltigen Gott der Sohn das Abbild des Wesens Gottes, des Vaters, in griechischen Worten des Neuen Testaments: “der Charakter seiner Hypostase”. Christus ist wahrer Gott von wahrem Gott. In der Finsternis der Sünde, der “das Denken der Ungläubigen verblendet”, hat Gott sein Licht in den Herzen der Gläubigen aufleuchten lassen, “damit aufstrahlt die Erkenntnis des göttlichen Glanzes auf dem Antlitz Christi.”

Er, der durch sein Wort die ganze Schöpfung hervorbrachte, wird ein Mensch wie wir und uns “in allem gleich außer der Sünde”, von der er uns befreien wollte. “Da nun die Kinder von Fleisch und Blut sind, hat auch er in gleicher Weise daran Anteil genommen, um durch den Tod den zu entmachten, der die Gewalt über den Tod hat, nämlich den Teufel, und um die zu befreien, die durch die Furcht vor dem Tod ihr Leben lang der Knechtschaft verfallen waren.”

Das erkennen wir, wenn wir Jesus in die Augen schauen und uns seinem Blick auf uns ohne Arglist darbieten. Gott umfängt uns mit seiner unendlichen Barmherzigkeit und geht in seiner Liebe so weit, nicht nur für uns zu sterben, sondern unseren Tod zu sterben. Er trug die Schuldenlast unserer Sünden bis zum Tod am Kreuz und hat sie sogar noch mit ins Grab genommen. Der Tod hat keine Macht mehr über Jesus und uns, die wir mit Christus einen Leib bilden. Es ist das Glaubensbekenntnis der Kirche, das Paulus den Korinthern so überliefert, wie er es selbst empfangen hat: “Christus ist für unsere Sünden gestorben, gemäß der Schrift, und ist begraben worden. Er ist am dritten Tag auferweckt worden, gemäß der Schrift und erschien dem Kephas, dann den Zwölf.”

Im Johannes-Evangelium wird von der Entdeckung des leeren Grabes berichtet. Als Maria von Magdala in der Morgenfrühe zum Grab kam, sah sie, dass der Stein vor der Grabkammer weggewälzt war. Und weil sie befürchtete, dass man den Leichnam weggeschafft hatte, holte sie Petrus und den anderen Jünger herbei. Petrus ging als erster in das Grab und “sah die Leinenbinden liegen und das Schweißtuch, das auf dem Haupt Jesu gelegen hatte; es lag aber nicht bei den Leinenbinden, sondern zusammengebunden daneben an einer besonderen Stelle.” Petrus ist also der erste Zeuge des leeren Grabes. In den Erscheinungen des Auferstandenen gibt Jesus ihm und den anderen Aposteln den Beweis, dass er lebt bei Gott und dass er zu seinem Vater heimgekehrt ist. Aber er hat seine menschliche Natur nicht abgelegt, sondern lebt mit seinem verherrlichten Leib für immer als das Fleisch gewordene Wort in der Gemeinschaft mit dem Vater und dem Heiligen Geist. Er ist das Haupt des Leibes, der die Kirche ist. Durch ihn haben wir als Kinder Gottes Zutritt zum Vater und dürfen das Erbe des ewigen Leben erwarten. Und der erhöhte Herr bleibt bei uns mit seinem Evangelium und begegnet uns in den Sakramenten seiner Gnade. Besonders in der Heiligsten Eucharistie nimmt er uns in das Geheimnis seiner Hingabe an den Vater hinein. In der heiligen Kommunion empfangen wir die Lebensgemeinschaft mit ihm in seinem Fleisch und Blut als Speise und Trank zum ewigen Leben.

Die hl. Johannes Chrysostomos und der hl. Augustinus haben sich in ihren Kommentaren zum Johannes-Evangelium die Frage gestellt, warum der Evangelist bei der Entdeckung des leeren Grabes Nebensächlichkeiten wie die Leinenbinden und dem zusammengebundenen Schweißtuch so detailgenau genau beschreibt. Sie waren aber überzeugt, dass der Evangelist nichts umständlich mitteilt, was für unseren Glauben unwesentlich wäre.

Als Jesus seinen Freund Lazarus aus dem Tod auferweckte, wird der Stein vor der Grabhöhle von außen weggerollt. Jesus ruft ihn heraus. Als der Verstorbene herauskommt, sind seine Füße und Hände noch mit Binden umwickelt und sein Gesicht ist mit einem Schweißtuch verhüllt. Aber alles muss von ihn entfernt werden, weil er sich nicht selber aus den Hüllen des Todes befreien kann.

Jesus, der von sich sagt: Ich bin das Leben, steht mit der Macht Gottes selbst von den Toten auf. Der Stein vor dem Grab ist schon weggenommen, bevor die Frauen zum Grab kommen. Jesus muss nicht von den Banden des Todes befreit werden, weil er aus eigener göttlicher Kraft seinen und unsern Tod überwunden hat.

Der hl. Thomas von Aquin erkennt in seinem Johannes-Kommentar im Verhältnis der vielen Leinenbinden zu dem einen separaten Schweißtuch “auf dem Haupt Jesu”, das zusammengefaltet an einer besonderen Stelle liegt, einen Hinweis auf die Kirche mit den vielen Gliedern des eines Leibes, dessen Haupt der auferstandene Christus selber ist. In der mit seiner menschlichen Natur vereinigten Gottheit ist Christus das Haupt der Kirche, denn “Gott ist das Haupt Christi”.

In Jesus Christus ist die gütige und menschenfreundliche Gegenwart Gottes in dieser Welt erschienen und aufgeleuchtet. In seinem Antlitz schaut er uns an und will, dass wir ihm mit der Liebe unseres Herzens antworten. Im Glauben übernehmen wir nicht eine Theorie zur Erklärung der Welt. Die Evangelien sind keine in schöne Geschichten eingekleideten abstrakte Ideen oder Werte. Gott ist wirklich Mensch geworden und bleibt bei uns. Jesus ist eine historische Person. Seine Auferstehung von den Toten hat sich wirklich ereignet. Er ist nicht in den Glauben hinein auferstanden, sondern er wird in unserm Glauben als der lebendige Christus, der Sohn zur Rechten des Vaters erkannt. “Denn niemand kann sagen: Jesus ist der Herr, außer im Heiligen Geist.”

Wenn für unser Heil die geschichtliche, sakramentale und ekklesiale Gegenwart des Mensch gewordenen Sohnes entscheidend ist, so ist es nicht unwichtig, dass wir auch seine historischen Spuren suchen. Sie bewahren uns vor der Gefahr einer gnostischen und idealistischen Verflüchtigung der menschlichen Gegenwart Gottes in dieser Welt. Ohne in wissenschaftliche Debatten einzutreten, scheint mir die Begegnung mit Christus im Abdruck seines Gesichtes auf dem Sudarium in Manoppello von großer Bedeutung für die Frömmigkeit des Christen von heute. Die kurvenreiche Geschichte seiner Wiederentdeckung ist zu einem guten Ziel gekommen. Und das ist die tiefe Verehrung und Anbetung Jesu Christi, der als Mensch die Ikone Gottes, seines und unseres Vaters im Himmel, ist.

Vieles bleibt den Weisen und Klugen verborgen, was Gott aber den Unmündigen in der Demut des Glaubens offenbart. Der Blick in das heiligste Antlitz Jesu, das sich im Schweißtuch auf seinem Haupt abgebildet hat, soll uns neue Kraft geben, dass unser Leben in den Augen Gottes Bestand hat. Denn wir glauben und wissen, dass wir Gott durch und in Christus, dem Bild Gottes, einst schauen werden “von Angesicht zu Angesicht”.

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