Tod von Pater Gabriele Amorth *UPDATE
Der Tod von Pater Gabriele Amorth lenkt den Blick auf den für viele rätselhaftesten geistlichen „Beruf“, den die Kirche zu vergeben hat: den des Exorzisten
Der Exorzist von Rom ist tot (17. September 2016)
Gabriele Amorth – Diverse Beiträge
*Teufel ade! Wir brauchen den guten Arzt nicht mehr: Swiss Cath News (swiss-cath.ch)
Raphael M. Bonelli
Von Alexandra von Teuffenbach
Für unzählig viele Menschen war der kahlköpfige Mann mit der Brille und dem langen schwarzen Talar die letzte Hoffnung, in ihrem Leid eine Hilfe zu finden. Nun ist Pater Gabriele Amorth im 92. Lebensjahr nach langer Krankheit gestorben. Er, der seit 1986 für den Vatikan Exorzismen vornahm, war sozusagen zum Emblem dieser Berufsgruppe geworden, und nicht zuletzt sein Auftreten, sein Aussehen, hatten ihn zu einem beliebten Interviewpartner gemacht. Er hatte die Fähigkeit, mit “Natürlichkeit” das zu erzählen, was eher einem Horrorfilm entnommen schien, und das real werden zu lassen, was viele Menschen heute, auch Katholiken, für Humbug halten: die Existenz des personalen Bösen und sein Einfluss auf den Menschen.
Kaum ein religiöses Thema hat in diesen Jahren so Konjunktur in Zeitschriften und Zeitungen wie der Exorzismus: Auch Kirchen-und Glaubensferne interessieren sich anscheinend dafür. Mehr noch als das “kuriose Phänomen”, das mit dem Einsatz der ganzen Hollywood-Trickkiste in Filmen dargestellt wird, scheint auch die alte Frage nach dem Warum und Woher von Schuld und Leid, vom “Bösen”, im Hintergrund mitzuschwingen und sich in diesem Thema zu kondensieren.
Genau genommen aber geht es beim Exorzismus nicht so sehr um Schuld und Leid, sondern darum, „das Böse zu bekämpfen“ oder „hinauszubeschwören“, denn das bedeutet Exorzismus ja wörtlich. Es braucht also eine Voraussetzung – die Annahme des „Bösen“ als real existierendes geistliches Wesen, so wie die katholische Kirche es lehrt –, um über den Exorzismus, wie er in der Kirche praktiziert wird, sprechen zu können. Ohne diesen Glauben vorauszusetzen, ohne die Kenntnis der katholischen Glaubenswahrheiten gleicht jeder Versuch, den Exorzismus begreiflich machen zu wollen, dem Ansinnen, die Relativitätstheorie ohne Ahnung von Physik erklären zu wollen. Grundelemente dieses Glaubens, also die „Mindestanforderungen“, um den Exorzismus verstehen zu können, ist zuerst der Glaube an einen allmächtigen Gott, der keinen „Nebenspieler“ hat. Ein Dualismus von Gut und Böse ist in der katholischen Lehre schon seit der Väterzeit ausgeschlossen. Das „Böse“ gehört zu den Geschöpfen, zu der „unsichtbaren Welt“, die Gott erschaffen hat. Doch ist das Böse nicht von Gott geschaffen – Gott kann nichts „Böses“ schaffen –, sondern es ist in der Auflehnung gegen Gott so geworden. Mit dem Menschen geht es ähnlich: Die zweite Schöpfungsgeschichte kann aus diesem Blickwinkel heraus gelesen werden. Die „Krone der Schöpfung“, der Mensch, gut geschaffen und im „Paradies“ lebend, erliegt der Versuchung, lernt das Böse kennen. Die katholische Interpretation bezeichnet diese „erste“ Sünde als Sündenfall, als Erbsünde.
Wegen dieser Erbsünde ist der Mensch dem Tod verfallen, gebiert die Frau unter Schmerzen und ist es mühsam, für das tägliche Brot zu sorgen. Der Mensch stand unter der Herrschaft des Teufels, bis ihm mit der Menschwerdung und dem Kreuzestod Christi die Möglichkeit eröffnet wurde, sich aus dieser Verstrickung zu lösen. Christus überwindet den Tod – die Konsequenz der Sünde – und der Mensch kann nun in der Verbindung mit Christus die Sünde überwinden. Diese Christusverbindung bietet die Kirche dem Menschen an, indem sie nicht nur den Glauben durch die Jahrhunderte hinweg wie einen Schatz weiterträgt und vermittelt, sondern vor allem, weil sie in den Sakramenten, allen voran in der Taufe, den Menschen in eine neue Wirklichkeit eintreten lässt. In der Taufe stirbt der alte Mensch mit Christus und wird als „neue Schöpfung“ geboren, als Kind Gottes, das im auferstandenen Christus lebt: Die Folgen der Erbsünde sind somit getilgt. In der Eucharistie, in der Vergegenwärtigung des Kreuzesopfers, bindet sich der Christ, der die Kommunion empfängt, noch enger an Christus.
Ist der Mensch also durch die Taufe und die Eucharistie schon vor dem Bösen sicher? Theoretisch ja, aber die Versuchung bleibt weiter bestehen. Papst Franziskus warnt immer wieder vor dem personalen Bösen und fordert zum Kampf auf. Lange vor ihm tat das schon Paulus, der an die Epheser schrieb, das Leben des Christen sei ein Kampf: „Zieht die Rüstung Gottes an, damit ihr den listigen Anschlägen des Teufels widerstehen könnt. Denn wir haben nicht gegen Menschen aus Fleisch und Blut zu kämpfen, sondern gegen die Fürsten und Gewalten, gegen die Beherrscher dieser finsteren Welt, gegen die bösen Geister des himmlischen Bereichs. Darum legt die Rüstung Gottes an, damit ihr am Tag des Unheils standhalten, alles vollbringen und den Kampf bestehen könnt“ (Eph. 6,11-13).
Die „Rüstung Gottes“ anlegen, das sind Taufe, Gebet, Sakramente, gute Werke… Jeder Christ weiss, was er gegen das Böse in ihm und in seiner Umgebung tun kann. Das Christentum ist keine Wohlfühl- oder Kuschelreligion, sondern eine „Rüstung“, um den Kampf gegen das Böse in der Welt anzutreten, um loszumarschieren und diese Welt durch einen harten Kampf zum Guten hin zu verwandeln.
Besessenheit und Umsessenheit
Nach dem vierten Laterankonzil steht es nicht mehr frei, den Teufel für nicht existent oder für nicht wirksam zu halten, denn es definierte seine Existenz und sagte: „Der Mensch aber sündigte aufgrund der Eingebung des Teufels.“ Mehr ist nicht zu glauben. Wo und wie der Teufel nun konkret wirkt, ist keine Glaubensfrage. Man kann also für wahr halten, oder auch nicht, dass zum Beispiel der Teufel in Hitler wirkte. Der Glaube bleibt davon unberührt, so dass auch der Katechismus der Kirche an keiner Stelle jemanden für besessen erklärt.
Es ist überhaupt nicht leicht zu erkennen, wo und wie der Teufel wirkt. Auch in einem selbst nicht. Nicht jede Versuchung kommt vom Teufel. Denn trotz der Taufe bleibt im Menschen selbst noch eine gewisse Begierde nach der Sünde, die Konkupiszenz, zurück. Diese ist keine Sünde, sondern eben nur eine „Neigung“ zum Bösen. Ganz konkret – und wie jedes Beispiel daher etwas hinkend – mag man etwa an die Versuchung denken, Böses mit Bösem zu vergelten. Da braucht der Teufel gar nicht zu wirken, wir selbst neigen dazu.
Und dann gibt es die Versuchung, die vom Teufel selbst kommt: Wir sind stark genug, uns gegen sie zu wehren. Denn der Mensch hat einen freien Willen, wie Pater Amorth oft wiederholte. Und auch gegen das Böse, das nicht aus uns selbst stammt, gibt es Hilfen, so etwa ein Kreuzzeichen, auch mit Weihwasser. Das alles reicht, um keine Angst vor dem Bösen haben zu müssen – ausser es liegt eine Umsessenheit oder gar Besessenheit vor. Der Christ lebt im Vertrauen und unter dem Schutz Gottes, dessen Kind er durch die Taufe geworden ist.
Wenn der Teufel einen Menschen besonders häufig stört, wenn er ihn immer wieder versucht, mehr als es in einem gewöhnlichen Christenleben geschieht, dann kann man von Umsessenheit sprechen. Wenn der Teufel dagegen vom Menschen gar „Besitz“ ergreift, in ihm für eine Zeit „wohnt“, dann spricht man von Besessenheit. Dieser letzte Fall ist jedoch extrem selten, und der Mensch hat auch in diesem Fall noch einen freien Willen: Er kann gegen das Böse in sich ankämpfen, auch wenn die Kontrolle eben sehr schwer geworden ist.
Viele Exorzisten wiederholen immer wieder: Auch gegen Umsessenheit und sogar gegen Besessenheit hilft das, was ein normales geistliches Leben eines Katholiken kennzeichnen sollte: das Gebet, der regelmässige Empfang der Sakramente der Eucharistie und vor allem der Beichte, kleine Opfer und die tätige Nächstenliebe.
Grosse Heilige haben oft in ihrem Leben mit dem Bösen ringen müssen. Von Pater Pio wird erzählt, er habe körperlich in vielen Nächten gegen das Böse gekämpft, so dass er sich Schnitte, Kratzer und Beulen zuzog. Dort wo viel Glauben und viel Gutes zu finden ist, könnte man meinen, habe der Teufel besonderes Vergnügen, den Menschen in Versuchung zu führen. Pater Pio hat keinen Exorzisten gebraucht, er bemühte sich – dem Bösen zum Trotz –, nicht in Versuchung zu fallen. Er kämpfte gegen das Böse, das ihn angriff: vielleicht so stark und auf so besondere Weise, weil er durch die so zahlreichen Beichten so viele Menschen zu Christus zurückführte und so dem Bösen entzog.
Warum jedoch auch einfache Menschen, die nicht im Ruf der Heiligkeit stehen, vom Teufel auf besondere Weise gestört werden, ist im Grunde ein Geheimnis, so wie es viele Krankheiten gibt, die ohne erkennbaren Grund einen Menschen treffen. Sicher kann man etwas tun: Der Besuch satanistischer Gruppen und ein lasches Christsein ist für das geistliche Leben schädlich. Doch werden Menschen auch ohne ersichtlichen Grund krank, und ebenso passiert es mit der Um- und Besessenheit.
Ein Exorzist hilft dem Menschen nicht auf „magische“ Weise, wie es manchmal aus sehr fragwürdigen Berichten herauszulesen oder in Filmen zu sehen ist. Die Hilfe des Exorzisten setzt das Einverständnis des umsessenen oder besessenen Menschen und dessen festen Vorsatz voraus, alles zu tun, um das Böse nicht mehr an sich heran zu lassen.
Gewöhnlich wird der Exorzist im Rahmen eines Wortgottesdienstes nach den biblischen Lesungen, dem gemeinsamen Gebet und dem Glaubensbekenntnis, vor allem aber nachdem er zur festen Gewissheit gelangt ist, dass es sich nicht um eine psychische Krankheit handelt, den Teufel selbst ansprechen. Im Namen Jesu Christi und mit der ihm von der Kirche vermittelten Kraft – nicht aus seiner eigenen Kraft heraus – befiehlt er dem Bösen, dem Teufel, den Menschen zu verlassen, ihn in Ruhe zu lassen, ihn nicht länger zu quälen. Das ist der Unterschied zwischen dem Exorzismus und dem Befreiungsgebet: Der Exorzismus wendet sich direkt an den Teufel, befiehlt ihm, das Gebet, jedes Gebet dagegen wendet sich an Gott. Gebete, die an einen Heiligen gerichtet sind, sind keine Anbetung, sondern bitten um Fürsprache bei Gott – also eigentlich auch wieder an Gott gerichtete Gebete. Die von namhaften Stellen im deutschsprachigen Gebiet verbreiteten „Befreiungsgebete“ oder „Befreiungsliturgien“ sind daher keine Exorzismen. Sie werden als aufgeklärter und zeitgemässer „Ersatz“ für den Exorzismus angepriesen, doch berauben sie eigentlich nur die deutschsprachige Kirche des wirksamsten Mittels im Kampf gegen das Böse, das die Kirche kennt.
Das mag in meisten Fällen ja gar nicht nötig sein, doch drängt der Mangel an Offenheit für dieses Phänomen seitens der Kirche immer mehr Menschen in die Hände von Gruppen oder Einzelnen, die nicht im Namen der Kirche handeln, oder eben zu langen Auslandsreisen. Denn im deutschsprachigen Raum kommen auch Bischöfe oft ihrem Auftrag nicht mehr nach, selbst Exorzismen durchzuführen oder geeignete Priester für diesen Dienst freizustellen. Ein Dienst, der vom Priester ausser einem grossen Glauben und Verschwiegenheit auch psychische Gesundheit und ein gutes Mass an Bodenständigkeit voraussetzt. Ein Exorzismus ist kein Sakrament. Sakramente wirken aus sich heraus – auch ein Priester, der etwa wenige Minuten vor der Messe eine schwere Sünde begangen hat, zelebriert eine gültige Messe. Ein Priester jedoch, der selbst dem Bösen immer wieder nachgibt, wird nur schwerlich glaubhaft einem anderen Menschen helfen können, das Böse zu vertreiben. Also ist ein Exorzismus so wirksam, wie der Glaube der beteiligten Menschen stark ist.
Der „Fall Klingenberg“ und die Folgen
In Deutschland hat der vierzig Jahre zurückliegende „Fall Klingenberg“ für Aufsehen gesorgt, der Fall der Anneliese Michel (1952-1976), die nach zahlreichen Exorzismen an den Folgen einer extremen Unterernährung starb. Ob es sich bei diesem Fall um Besessenheit, um eine psychische Krankheit oder gar um beides handelte, ist im Nachhinein wohl kaum auszumachen, auch wenn eine von der Deutschen Bischofskonferenz eingesetzte Kommission 1979, also post mortem der Betroffenen erklärte, dass es sich nicht um Besessenheit gehandelt hatte. Die Kommission – der ausser Kardinal Joseph Höffner unter anderem auch die Theologen Karl Lehmann, Walter Kasper und Emil J. Lengeling angehörten – machte sich, so wie die Deutsche Bischofskonferenz, die Schlussfolgerungen der beiden Psychiater der Kommission zu eigen: „‚Besessenheit und Großer Exorzismus entsprechend dem Rituale Romanum von 1614 und sind geeignet, die nach dem heutigen Stand medizinischer, psychiatrischer und psychologischer Erkenntnis als wahrscheinlich anzunehmenden Krankheiten und Krankheitsursachen zu verdecken, zu verstärken und zu perpetuieren und damit eine mögliche Heilung zu erschweren oder gar auszuschliessen.” Bis heute wird von den zuständigen Stellen in Deutschland die neue Fassung des Exorzismus-Rituale von 1999 nicht in deutscher Sprache herausgegeben, während man zum Beispiel die italienische Fassung in jeder Buchhandlung bestellen kann.
Der Vorfall im fränkischen Klingenberg am Main – ein einzelner Fall! – hat also weitreichende Folgen gehabt. Mögliche Fehler der Exorzisten von damals hat man, soweit bekannt, nie untersucht. Die beiden Exorzisten waren auf sich allein gestellt, und sicherlich von dem Willen getragen, aus geistlicher Sicht alles Mögliche zu tun, um der Studentin zu helfen. Doch hatten sie auch ein Interesse an dem, was der „Lügner und Vater der Lüge“ zu sagen hatte, zeichneten es auf, verbreiteten es in bestimmten Kreisen: Man kann das Böse nicht vertreiben wollen und auf der anderen Seite das, was der Vater der Lüge sagt, verwenden wollen, um gewisse kirchenpolitische Positionen zu erhärten.
Darin lag wohl die grosse Kraft von Pater Gabriele Amorth. Seine absolute Klarheit im Benennen des Bösen und im klaren Abgrenzen zwischen dem, was der Vater der Lüge sagt, und dem, was er aus seinem Glauben heraus meinte, der Welt mitteilen zu müssen. Er zeichnete seine Exorzismen nicht auf, war aber bereit, Wissenschaftler für Studienzwecke an seinen Exorzismen teilnehmen zu lassen. Die Ergebnisse solcher Studien zeigen, dass es etwas geben muss, das die Psychiatrie nicht zu behandeln weiss und was durch das Gebet und den Exorzismus, vor allem aber durch ein Gott gefälliges Leben bekämpft werden kann. Und so bleibt auch für den Skeptiker nur zu sagen: „Wer heilt hat Recht“, auch wenn es – für die psychiatrische Wissenschaft unverständlich – „nur“ durch das Gebet oder durch einen Exorzismus geschieht.
Die Welt ist mit dem Tod von Pater Amorth nicht nur um einen Exorzisten, sondern vor allem um einen wahrhaften und glaubwürdigen Priester und Ordensmann ärmer geworden. Der Jurist, der erst spät zum Priestertum kam, überzeugte mit dem, was er tat und sagte, nicht nur seine Interviewpartner und die Leser seiner Bücher, sondern konnte auch den Teufel, dem er in anderen Menschen begegnete, glaubhaft vertreiben. So kamen schliesslich immer mehr Menschen zu ihm – auch von weit her, weil sie in ihren Diözesen, bei ihren Priestern und Bischöfen keine geistliche Hilfe mehr gegen eine vermeintliche Umsessenheit oder gar Besessenheit erhielten.
Schreibe einen Kommentar