Kardinal Sandri in der Ukraine – 11. – 17. Juli 2017
Kiew 2017 – Sechs intensive Tage in der Ukraine
Quelle
Kongregationen Kongregation für die Orientalischen Kirchen Profil (vatican.va)
30Giorni | Aufgepasst vor dem ukrainischen Erdbeben
Erzbischöfliches Exarchat Charkiw
Bistum Charkiw-Saporischschja
Von Andrea Gagliarducci
KIew, 19. Juli 2017 (CNA Deutsch)
Sechs intensive Tage in der Ukraine. Vom 11. bis zum 17. Juli – um die Nähe Papst Franziskus´ zu bringen und bis dorthin zu gelangen, wo der Konflikt noch wütet, um mit den Flüchtlingen und den Überlebenden zu sprechen, um die Jugendlichen zu treffen: Kardinal Leonardo Sandri, Präfekt der Kongregation für die Orientalischen Kirchen, beendete vorgestern seine Reise in die Ukraine.
Was waren die Themen dieser Reise?
Der Konflikt
Da wäre zuallererst der vergessene Konflikt. Kardinal Sandri erklärte mit Nachdruck in seiner Predigt am 13. Juli in der Kathedrale des Exarchats Charkiw, dass “die Liebe zur Wahrheit, die uns die Apostel anvertraut haben, auf menschlicher und christlicher Ebene verbiete, das Schweigen zu akzeptieren, das den Konflikt in der Ukraine und das daraus resultierende Leid Dutzender umgibt”.
Der Kardinal fuhr fort:
“Wir können nicht so tun, als würden wir die Witwen und Waisen nicht sehen oder die Kinder, die nur unter Schwierigkeiten weiter zur Schule gehen können und die aufgewachsen sind in einer Zeit, in der sie mehr den Lärm von Granateneinschlägen als Glockengeläut gehört haben, die alten Menschen, die kaum überleben können, die Jugendlichen, die zu den Waffen gerufen werden: auf dem Schlachtfeld sterben dann nicht die Mächtigen, die gerade das Ruder in der Hand haben, sondern jene, die die Hoffnung und die Zukunft des Landes sind.”
Die Reise von Kardinal Sandri war in erster Linie den Opfern dieses vergessenen Konfliktes gewidmet.
Am vierten Tag der Reise besuchte die Delegation der Kongregation für die Orientalischen Kirchen die Städte Kramatorsk und Slowjansk, in einer Region nahe der Grauzone des Donbass (Donezbecken), der nach der Belagerung 2014 wieder zurückerobert worden war.
Der Kardinal frühstückte mit den Priestern, die ihm ihre Geschichte erzählten: einer sollte von den Separatisten erschossen werden, ein anderer erwartete die Geburt seines ersten Kindes, als der Krieg begann, wieder ein anderer war sechs Monate im Gefängnis.
In Kramatorsk besuchte Kardinal Sandri das örtliche Caritaszentum, in dem Lebensmittelpakete gesammelt werden, Arbeit für die Vertriebenen gesucht wird und geistliche und psychologische Betreuung angeboten wird für jene, die an posttraumatischem Stress leiden. Eine besonders gefährliche Arbeit in der Grauzone des Donbass, in dem sich die Sozialarbeiter mit kugelsicheren Westen bewegen.
Auch in Charkiw, der zweitbedeutendsten Stadt der Ukraine, hat der Präfekt der Kongregation für die Orientalischen Kirchen das Caritaszentum besucht. Hier kümmert man sich nach Beginn der Auseinandersetzungen im Jahre 2014 vor allem um vertriebene Kinder und Erwachsene. In drei Jahren hat das Zentrum 40500 Flüchtlinge betreut, die aus den Regionen von Donezk, Lugansk und Slowjansk kamen.
Die Situation ist äusserst kompliziert: Die Mitarbeiter wurden fast alle evakuiert, die Regierung erhöht ständig die Preise von Licht und Gas, so dass man sogar einige Notunterkünfte schliessen musste; auch grundlegende Güter wurden 30 Prozent teurer; die finanzielle Unterstützung für Arbeitslose beträgt nicht mehr als 20 Euro monatlich. Da wundert es nicht, dass eine der wichtigsten Aktivitäten des Caritaszentrums ist, den Menschenhandel zu verhindern.
Das Andenken
Die Kirche engagiert sich und unterstützt die ausserordentliche Sammlung von Papst Franziskus für die Ukraine. Ein Engagement, so Kardinal Sandri, das an die Verse aus dem 25. Kapitel des Matthäusevangeliums denken lässt, an das “Protokoll, nachdem wir gerichtet werden”, wie Papst Franziskus immer sagt.
Aber es ist das Engagement einer Kirche, die Teil der Geschichte des Landes und die lebendiges Herz eines lebendigen Andenkens ist. In Kramatorsk hat Kardinal Sandri die völlige Aufmerksamkeit und Sorge für die geliebte griechisch-katholische Kirche bekräftigt, denn “das ist die Schönheit der Zugehörigkeit zur katholischen Kirche, deren Position nie vereinfacht werden darf, denn sie versucht, allen zu begegnen, um Brücken der Gemeinschaft zu bauen.”
Das Gedenken der Kirche in der Ukraine betrifft ihre Einheit mit Rom, die immer gleich geblieben ist, aber auch einige ihrer jüngsten Protagonisten.
In Charkiw hat Kardinal Sandri an Kardinal Josip Slipyj (Zeichen heroischer Treue) erinnert, der dort eingekerkert war und dessen 125. Geburtstag dieses Jahr gefeiert wird. Am Ende der Reise machte der Kardinal auch Halt in Zazdrist, dem Geburtsort Kardinal Slypyjs. Am ersten Tag des Besuchs hat Kardinal Sandri in Kiew das Grab von Kardinal Husar aufgesucht, der vor Kurzem verstorben ist. Nicht zu vergessen der 150. Jahrestag des heiligen Josaphat, der in der Basilika des heiligen Petrus beigesetzt ist. Sviatoslav Shevchuk, Grosserzbischof der griechisch-katholischen Kirche, hat am vergangenen 25. Juni am Konfessionsaltar das Fest des Heiligen gefeiert.
Kardinal Sandri hatte seine Reise jedoch im Gedenken einer anderen Reise begonnen. Jener des heiligen Johannes Pauls II. in die Ukraine im Jahr 2001. In seiner Predigt in der Kathedrale in Kiew erinnerte der Kardinal an die Worte des polinischen Papst: “Auf diesen Bergen wird die Herrlichkeit Gottes erstrahlen” – der Überlieferung nach eine Prophezeiung des heiligen Apostels Andreas, der dadurch die Bekehrung des Grossfürsten von Kiew, Wladimir, zum christlichen Glauben voraussagte, durch dessen Taufe die Dnepr gewissermassen zum Jordan der Ukraine und die Hauptstadt Kiew zu einem neuen Jerusalem und zur Mutter des slawischen Christentums in Osteuropa wurden.
Die Ökumene
Vom Gedächtnis zur Ökumene ist es nur ein kleiner Schritt. In Charkiw hat Grosserzbischof Shevchuk betont, dass die “Präsenz der griechisch-katholischen Kirche nicht gegen irgendjemand oder gegen irgendeine Kirche sei, vor allem nicht gegen die orthodoxe Kirche.”
In Kiew unterstrich der Grosserzbischof, dass “die Einheit keine Realität ist, die nur von einem Kanon oder einer Norm definiert werden kann, sondern sich auf den gesamten lebendigen Leib Christi, die Kirche, bezieht.”
Diese Worte zeigen eine klare Bereitschaft zum Dialog mit dem Patriarchat von Moskau, auch im Hinblick auf den ersehnten Besuch Kardinal Parolins in Russland, auch wenn sich die Probleme durch den Konflikt in der Ukraine verschärft haben. Das Patriarchat von Moskau hat bei verschiedenen Gelegenheiten (sogar bei der Bischofssynode) Unduldsamkeit gegenüber der Nähe der griechisch-katholischen Kirche zur Maidan-Bewegung gezeigt und die Diplomatie des Heiligen Stuhls hat es nicht geschafft, in der gemeinsamen Erklärung Papst Franziskus´ und Kyrills nach dem Treffen im Havanna im Februar 2016, einen Verweis auf das Problem der “Unierten” zu verhindern – eine Erklärung, die Papst Franziskus sofort als “pastoral” definiert und somit von jeder politischen Nebenbedeutung befreit hat.
Diese Wunde ist mittlerweile verheilt, einmal durch die ausserordentliche Kollekte Papst Franziskus´ für die Ukraine, zum anderen durch das Treffen zwischen Papst Franziskus und der Synode der griechisch-katholischen Kirche, dann durch die Reise des Kardinalstaatssekretärs Parolin in die Ukraine und endlich aufgrund des Besuchs des Maidan-Denkmals durch Kardinal Sandri bei dieser letzten Reise.
Das war der erste Termin der Reise des Präfekten der Kongregation für die Orientalischen Kirchen gewesen. Dort, bei dem Maidan-Denkmal, verweilte der Kardinal in stillem Gebet vor dem grossen Kreuz, welches Porträts der Opfer der Auseinandersetzungen seit 2014 umgeben. Als Ehrerbietung stellte er dort eine Kerze auf.
Gleich danach begab sich die Delegation der Kongregation zur Gedenkstätte des Holomodor, der grossen Hungersnot, die durch Beschlüsse Stalins zwischen 1929 und 1933 circa 7 Millionen zum Hungertod führte. Auch dieses Verbrechen gegen die Menschlichkeit wurde bis zur gemeinsamen Erklärung der Vereinten Nationen im Jahr 2003 international totgeschwiegen.
Die Zukunft
Kardinal Sandri hat nicht versäumt, internationale Unterstützung für die Ukraine zu fordern, sowie den Schleier des Schweigens zu zereissen. Aber es fehlt noch, eine Betrachtung zur Zukunft anzustellen.
Die Zukunft wird sichtbar durch die neugebaute Kathedrale in Charkiw, in der Kardinal Sandri betont hat, dass “wir um Gnade beten müssen, den die menschlichen Kräfte allein würden nicht ausreichen. Um die Gnade, das Böse durch das Gute zu besiegen.”
Vor allem aber wird die Zukunft verkörpert durch die Jugendlichen. Am letzten Tag der Reise wurde in Sarwanyzja, dem bedeutendsten marianischen Heiligtum der Ukraine “die Nacht hell wie der Tag: das fortwährende Gebet der Pilger, die Beichten, die nicht abrissen, die Gebetswachen, die Gesänge und auch die Alten und die Kinder, die im Heiligtum ausruhten” liest man in einer Mitteilung der Kongregation der Orientalischen Kirche.
70.000 Menschen waren zum Heiligtum gekommen. Aus der Ukraine, aus Italien, aus der Slowakei und aus Polen. Kardinal Sandri hat die Jugendlichen getroffen. Und vor ihnen, die am Schlimmsten vom Konflikt betroffen sind, hat der Kardinal seinen Besuch zusammengefasst. “Schmerz” aber auch “viele Zeichen der Hoffnung” deren Zeuge er geworden war. “Viele Flammen der Hoffnung die ganz langsam ein grosses Feuer entzünden.”
Danach hat der Kardinal die Jugendlichen aufgerufen:
“Geht und schaut euch die Gesichter der Kinder und der freiwilligen Helfer in einem Bildungszentrum in Pakistan an – in einem Land, in dem unsere Geschwister noch weit mehr aufgrund ihres Glaubens an Jesus leiden – im Jeremiah Educational Center in Faisalabad, und seht, wie sie jeden Tag eine Geste der Nächstenliebe tun oder irgendwo stehenbleiben, um den Rosenkranz zu beten, um die Umarmung Jesu und ihre Umarmung dem kleinen Charlie Gard und seiner Familie in England zukommen zu lassen.”
Es ist die Einladung, über den Tellerrand zu schauen, an den Leiden der Welt teilzunehmen, immer auf dem Weg zu bleiben. “Der Gebrauch des Verstandes, um die gegenwärtige Zeit zu verstehen, das Gebet, die Nächstenliebe und Solidarität – das sind Möglichkeiten, die auch ihr ergreifen könnt, um wie Maria Pilger auf den Strassen des Lebens und dieser Welt zu sein, die eure Kraft und euren Enthusiasmus so sehr braucht.”
Es ist eine positive Botschaft, die an eine junge Kirche gerichtet ist.
Bei seiner Rückkehr nach Charkiw folgte noch das Abendessen im einzigen Haus, das dem Exarchat gehört und das derzeit Sitz der Ordensschwestern vom heiligen Josef (einer ukrainischen Kongregation) ist. Dort hob der Kardinal hervor, dass er von der Anwesenheit vieler froher junger Leute in den Liturgien bewegt war, während in Westeuropa nicht nur die Teilnahme an Gottesdiensten generell geringer ist, sondern auch die Jugendlichen viel weniger präsent und sichtbar sind.
Letztendlich gibt es immer Hoffnung. Trotz allem.
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