“Der Zauber geht niemals zu Ende’
Im ersten Moment irritierend, dann faszinierend und ein voller Erfolg: Seit 70 Jahren ziehen die sieben Bände der “Chroniken von Narnia” junge und alte Leser in den Bann. C.S. Lewis gelingt es, die Leser Christus und die Welt mit neuen Augen sehen zu lassen
Quelle
‘Der widerwilligste Konvertit’ – Neuer Film über C.S. Lewis
C.S. Lewis
Ein Meister der Apologetik
Die Wahrheit kommt im Gewand des Humors
Oxford, 12.12.2020, 11 Uhr
Paul J. Markowitsch
Im Jahr 1950 veröffentlichte C.S. Lewis (1898–1963) sein Buch „The Lion, the Witch and the Wardrobe“ (dt. Der König von Narnia), welches nicht wenige seiner Kollegen irritierte. Ein renommierter Fellow und Dozent für englische Literatur am Magdalen College der Universität Oxford, ein bekannter christlicher Apologet und überaus beliebter akademischer Lehrer schreibt ein Märchen für Kinder! Generationen von Kindern und Erwachsenen, die sich einen Sinn für „gute Literatur“ bewahrt haben, lieben die Abenteuer um Aslan, den großen Löwen in der fiktiven Parallelwelt namens Narnia. Die sieben Bände der „Chroniken von Narnia“, die zwischen 1950–1956 veröffentlicht wurden und bis heute in mehr als 100 Millionen Exemplaren verkauft und in circa 47 Sprachen übersetzt worden sind, gelten als Lewis beliebtestes und bekanntestes Werk. Warum schreibt Lewis ausgerechnet fantastische Literatur, ja Märchen (fairy tales)?
Lewis’ Leben wurde geprägt durch Bücher und Freundschaften. Eine besondere Freundschaft verband ihn mit Professor J.R.R. Tolkien (1892–1973). Der tiefgläubige Katholik Tolkien trug in Diskussionen wesentlich dazu bei, dass sich der brillante Jack Lewis vom Atheismus abwandte und sich zum Theismus (1929) und dann zum Christentum (1931) bekehrte. Lewis, zunächst „der verworfenste und widerwilligste Bekehrte in ganz England“, erkannte, dass die Sehnsucht (longing) nach Freude (joy) die eigentliche Antriebskraft seiner Suche und Bekehrung war: „Da ich ein Verlangen verspürte, das nichts auf dieser Welt stillen konnte, war die logischste Erklärung, dass ich für eine andere Welt gemacht war. Die Sehnsucht, die mich ein ganzes Leben lang geführt hatte, hatte mich letztlich heimgeführt.“ So fand Lewis zum Glauben an Gott, zum Glauben an Jesus Christus als Antwort auf seine Sehnsucht.
Tolkien und Lewis verband auch eine große Liebe zu Literatur, besonders zu Mythen und Märchen. In seiner Bekehrungsnacht des 19. September 1931 war Lewis zu Einsicht gelangt: „die Geschichte von Jesus ist einfach ein wahrer Mythos; ein Mythos, der auf uns in der gleichen Weise wirkt wie die anderen, doch mit dem gewaltigen Unterschied, dass er sich tatsächlich ereignet hat“. Lewis war überzeugt, dass das Christentum „die wichtigste und bedeutungsvollste aller Geschichten ist“. Er begriff die Inkarnation Gottes in seinem Sohn Jesus Christus als einen „Mythos, der ein Faktum wurde“.
Lewis Bekehrung durch das Finden der „Freude“ in der Begegnung mit Gott im christlichen Glauben liess ihn die Welt, sich selbst mit neuen Augen sehen: Die Welt als Schauplatz des Christusdramas in seiner Menschwerdung, der Erlösung durch den Kreuzestod und seiner Auferstehung. Dieser Mythos war keine Legende, sondern Wirklichkeit, real, keine gut erdachte Geschichte. Lewis blickt auf die Welt vom Glauben an die christliche Wahrheit her und erfährt zugleich diese Wahrheit wie „durch einen Spiegel“ in Literatur, Kunst und Geschichte. Wenn wir gute Literatur lesen, so Lewis, erschließen sich uns Welten, hilft sie uns, uns selbst zu überschreiten, beginnen wir unsere Welt besser zu verstehen.
Für ihn öffnet der Glaube die Augen für die Wirklichkeit; durch Christus sieht er, wie durch die Sonne, alles andere. Gleich Paulus ist er „von Christus Jesus ergriffen worden“ (Phil 3,12). Als C.S. Lewis vorgehalten wurde, er habe ein Projekt „christlicher Märchen“ von Anfang an im Auge gehabt, entgegnete er: „Alles begann mit Bildern: ein Faun, der einen Regenschirm trägt, eine Königin auf einem Schlitten, ein prachtvoller Löwe. Zu Beginn hatten diese Bilder überhaupt nichts Christliches an sich: dieses Element drängte sich später von selbst hinein.“
Als Autor, so Lewis, „schrieb ichMärchen, weil das Märchen die ideale Form für das zu sein schien, was ich sagen wollte“. Als Kind wurde ihm gesagt, wie er „Gott oder dem Leiden Christi gegenüber [..] zu empfinden“ hatte. Das habe zu einer Blockade, einer Lähmung seiner Religion geführt. Um diese Hindernisse zu umgehen, hat Lewis „all diese Dinge in eine erfundene Welt verlegt und sie von ihrer Assoziation mit Glasfenstern und Sonntagsschulen befreit, sie zum ersten Mal in ihrer wahren Kraft erscheinen“ lassen. So öffnen Märchen eine „neue Tiefendimension“, lassen etwas ahnen, das jenseits unserer Welt liegt, aber hier (neu) erfahrbar wird und so unsere Welt verzaubert, im „tiefen Zauber“ den noch „tieferen Zauber“ erkennen lässt, der die Welt zusammenhält.
Man ahnt Lewis’ eigenes Suchen und Ringen
C.S. Lewis war überzeugt, „dass ein Autor sich nie als Urheber einer Schönheit oder Weisheit verstehen sollte, die nicht schon vorher da war, sondern einzig und allein als einer, der versucht, mit den Mitteln seiner Kunst einen Abglanz der ewigen Schönheit und Weisheit zu reflektieren oder zu verkörpern“. Literatur ist für ihn keine „Selbst-Darstellung“, noch sieht er sich als „originalen“ Schriftsteller, der Neues schafft, als „subcreator“ (Zweitschöpfer), wie Tolkien. Zugleich sind seine Märchen keine Allegorien, das betont er ausdrücklich. Er macht dies an der Gestalt Aslans fest: „[…] er ist eine imaginäre Antwort auf die Frage, ,wie würde Christus aussehen, wenn es wirklich eine Welt wie Narnia geben würde und Er sich dazu entscheiden würde, dort Fleisch zu werden [zu inkarnieren], zu sterben und wiederaufzuerstehen, wie er es in unserer Welt getan hat?‘ Das ist überhaupt nicht allegorisch.“
Anhand der reichen christlich-biblischen Symbolik der „Chroniken“ wird dem Leser die eigentliche Geschichte verständlich, im Handlungsverlauf der ganze Kosmos christlichen Glaubens gespiegelt erkennbar: Von der Erschaffung Narnias durch Aslans Gesang, sein stellvertretender Sühnetod und seine Auferstehung, zum Paradies in „Aslans Land“, als das „wirkliche Narnia“ nach dem „Letzten Kampf“. Gleichzeitig ahnt man in den Begegnungen mit Aslan, in den „Bekehrungsgeschichten“ der Helden etwas von Lewis’ eigenem Suchen und Ringen, seiner Sehnsucht nach einer Freude, die nicht von dieser Welt ist. In der Gestalt Aslan wird etwas von Gottes strahlender Macht und Herrlichkeit und zugleich seiner Güte und Liebe zum Menschen deutlich, die berührt und zugleich ein Korrektiv sind, Gott wie einen „zahmen Löwen“ zu behandeln. Das gilt auch für Theologie und Kirche!
… bis wir das Antlitz Gottes schauen
Aslan erklärt den „Sinn“ Narnias am Ende „Der Reise auf der Morgenröte“. „Dort [auf der Erde] habe ich einen anderen Namen. Ihr müsst lernen, mich unter diesen Namen zu erkennen. Und dies ist der Grund, warum ihr nach Narnia gelangt seid – da ihr mich in Narnia ein wenig kennen gelernt habt, lernt ihr mich in eurer Welt vielleicht noch besser kennen.“ Christus also in unserer Welt zu suchen, an ihn zu glauben, ihn besser kennenzulernen und ihn immer mehr zu lieben, bis wir im „Land der Antworten […] das Antlitz Gottes schauen“, wie Lewis in „Die große Scheidung“ schrieb. Zur Wahrheit des christlichen Glaubens, zur „Freude“ seines Lebens, zu der C.S. Lewis uns gleichsam den Wandschrank der Literatur öffnete, sind alle Wege freizulegen, alle Hindernisse zu überwinden: Wieso nicht auch durch fairy tales?
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