Harissa – der wichtigste Marienwallfahrtsort in Nahost

13. September 2012

Quelle
14. September 2012 – Benedikt XVI. im Libanon
Wie Papst Benedikt seit seinem Rücktritt im Vatikan lebt
2012 – Apostolische Reise in den Libanon
Mai 1997 – Apostolische Reise in den Libanon, Hl. Papst Johannes Paul II.
Zwischen den Ängsten der Vergangenheit und der Suche nach neuen Wegen des Zusammenlebens

Sie hämmern und schrauben hoch über der Bucht von Junieh: Die Bauarbeiter machen hier auf ca. 600 Metern über dem Mittelmeer alles bereit für den Papst, der auf diesem malerischen Hügel während seines Libanon-Besuchs wohnt. Harissa heißt der Ort 20 km nördlich von Beirut, hier liegt die Nuntiatur, hier liegt die griechisch-melkitische Kathedrale, aber vor allem ist Harissa der wichtigste Marienwallfahrtsort des ganzen Nahen Ostens. Nicht nur Christen, sondern auch viele Muslime kommen, um betend die etwa 100 Stufen zu einer weißen Muttergottesstatue hochzusteigen; Maria, achteinhalb Meter hoch, eine Krone auf dem Haupt, breitet segnend die Hände über das Land. Drei Messen werden hier oben jeden Tag gefeiert, an Festtagen sind es zehn; es gibt einen kleinen Laden, eine Seilbahn und Restaurants. Das Gelände ist nicht sehr groß, es wirkt ein bisschen wie Lourdes mit Picknick-Möglichkeit. Pater Yunan Obeid ist der Vizerektor des Wallfahrtsorts, er berichtet:

„Wir hatten vor 15 Jahren hier den Besuch von Papst Johannes Paul II.; seitdem hat sich die Zahl der Pilger und Besucher deutlich erhöht. Jetzt warten die Menschen auf den neuen Papst, diesen grossen Theologen – alle wollen dabei sein, wenn er kommt, und wollen, dass er ihnen neue Hoffnung gibt, vor allem in diesem Moment, wo die Region in Unruhe geraten ist, etwa bei unseren syrischen Nachbarn. Die Christen hoffen, dass der Papst ihnen Mut macht, im Libanon zu bleiben.“

Die Verehrung „Unserer Lieben Frau vom Libanon“ war im ganzen Land ausgesprochen hoch, schon bevor der Wallfahrtsort von Harissa 1908 eingerichtet wurde. Libanesische Christen sehen in Maria die geheimnisvolle Geliebte aus dem Libanon, die vom Hohelied des Alten Testaments besungen wird. „Du Zeder vom Libanon, bitte für uns“, diese Anrufung haben die Maroniten eigens in ihre Fassung der Lauretanischen Litanei eingefügt. In der Marienverehrung treffen sich Libanons Christen mit den Muslimen, die die Gestalt der Mariam aus dem Koran kennen. Viele der Familien, die über das Gelände des Heiligtums von Harissa laufen, sind schon an ihrer Kleidung als Nichtchristen zu erkennen.

„Wir sind hier, um uns die schöne Aussicht anzuschauen“, sagt ein junger Muslim aus dem Südlibanon. „Das hier ist ein grosses Symbol libanesischer Geschichte“, setzt seine Schwester hinzu, „aber wir wissen, dass das auch ein wichtiger religiöser Ort ist. Wir sind Muslime, aber wir teilen uns mit den Christen eine gemeinsame religiöse Kultur.“

„Harissa ist auch für Muslime sehr wichtig“, sagt diese junge Muslimin. „Es erinnert uns daran, dass die Religion zum Frieden einlädt und dass wir zusammengehören. Dass wir ähnlich denken und dass wir unsere Mentalitäten noch weiter annähern sollten.“

„Schon seit 1908 trifft man hier Menschen aller möglichen Herkunft und Glaubensrichtung“, erklärt der maronitische Missionar Pater Obeid bei einer Zigarettenpause im Gebäude der Direktion. „Was die Muslime betrifft, kommen 90 Prozent von ihnen vor allem aus touristischen Gründen und nicht etwa, um hier zu beten. Bis vor kurzer Zeit gab es allerdings auch muslimische Gruppen, die organisiert und aus religiöser Motivation hierhin kamen – vor allem aus dem Iran. Wir haben für sie das Evangelium auf Persisch gedruckt und eine Broschüre über die Verkündigung an Maria, die sowohl im Koran vorkommt als auch im Lukasevangelium. Aber seit den Ereignissen in Syrien sind die Iraner nicht mehr gekommen, und dieser Austausch ist zum Erliegen gekommen. Es ist selten, dass uns Muslime irgendetwas fragen“, so erzählt der Missionar weiter; „meistens gehen sie nur herum, hören etwas bei der Messe zu. Man kann nicht unterscheiden, ob sie Schiiten, Drusen oder Sunniten sind – für uns sind es einfach Brüder. Wenn sie hier beten wollen auf dem Gelände, dann lassen wir sie beten, in dieser Frage sind wir tolerant.“

Oben die Bronzestatue Mariens, unten das glitzernde Mittelmeer, und hier in Harissa eine kleine interreligiöse Oase. Der Clash der Zivilisationen scheint hier noch nicht angekommen, die neuesten Nachrichten – Unruhen in Kairo, aufgebrachter Mob tötet US-Botschafter in Libyen – wirken hier oben weit weg.

„Wir wollen hier neue Kulturen kennenlernen“, sagt ein Palästinenser; er kommt aus Jordanien, seine Begleiter sind aus Syrien. „Wir sind hier auf einem Familienausflug, wir machen Fotos und lernen viel von anderen Kulturen.“

„Wir sind nach Harissa gekommen, um Mariam zu sehen“, erklärt eine Muslimin aus der libanesischen Bekaa-Ebene nicht weit von der Grenze zu Syrien. „Wir wollen beten und mit der Seilbahn fahren. Und natürlich auch gut essen, ja.“

rv 13.09.2012 sk

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