Die Entwicklung der Arten – und der Mensch

Die Entwicklung der Arten – und der Mensch (Dezember 1996)

Quelle
Katechismus der katholischen Kirche

Andreas Laun

Hinweis/Quelle: KIRCHE heute, Dezember 1996 (Thema: Evolution und Darwinismus), S.11 f.

Evolution oder Schöpfung – das war einmal so etwas wie ein Kampfruf der Gläubigen gegen die Atheisten, der Atheisten gegen die Gläubigen. Und heute? Ist die Schlacht vorbei? Wer ist der Sieger, wer hat verloren?

Es scheint, als hätte sich die Kirche endlich der Wissenschaft ergeben und also endlich „nachgegeben“. Es gab jedenfalls Zeitungsmeldungen, die klangen so! Wie kam es dazu? Tatsächlich meinte Johannes Paul II. gegenüber den Mitgliedern der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften vor kurzem: Die Evolutionstheorie ist „mehr als eine Hypothese“. Von vielen übersehen wurde aber, daß der Papst gleichzeitig auf dem alles entscheidenden Punkt beharrte: Die personale Seele kann nicht aus der Materie hervorgegangen sein!

Da viele Menschen nicht gewöhnt sind, genau zuzuhören, entstand in der Öffentlichkeit eine gewisse Aufregung, und spitze Zungen fragten: Ist der Papst ein Häretiker? Andere meinten, er hätte jetzt endlich die Abstammung des Menschen vom Affen „zugegeben“, und Darwin hätte recht bekommen. Aber gerade das hat er eben nicht!

Es verrät ein beachtliches Mass an Unverständnis für die katholische Kirche zu meinen, dieser oder irgendein anderer Papst könnte jemals eine wesentliche Position des Glaubens – geradezu zwischen Tür und Angel – preisgeben! Ich bin kein Spezialist in der Frage der Evolution, möchte aber gerade als „gebildeter Laie“ helfen, Licht in die Sache zu bringen:

1. Wissenschaft und Glaube

Den vielfach behaupteten Widerspruch zwischen Wissenschaft und Glaube gibt es nicht. Es ist eine katholische Selbstverständlichkeit: Wenn ein wirkliches Ergebnis der Wissenschaft dem Glauben zu widersprechen scheint, dann haben wir den Glauben missverstanden, oder umgekehrt: Steht ein wirklicher Glaubenssatz im Widerspruch zu wissenschaftlichen Thesen und hat man überprüft, dass es sich wirklich um einen unvereinbaren Gegensatz handelt, können diese „Ergebnisse“ nur falsch sein, und es gilt herauszufinden, wo sich der unerlaubte Übergang von empirischem Faktum zur deutenden und fehlerhaften Folgerung befindet. Denn es gibt nur eine Wahrheit, und Widersprüche zwischen wirklichem Glauben und wirklicher Wissenschaft sind unmöglich. Wenn sie zu bestehen scheinen, muss man mit Geduld den Fehler suchen – genauso, wie wenn man zwischen dem Experiment und der Theorie einen Widerspruch entdeckt: Entweder haben wir unseren Glauben falsch verstanden oder das wissenschaftliche „Ergebnis“ ist kein Ergebnis!

2. Die Einheit des Lebendigen

Wahr ist, dass es im Reich des Lebendigen viele Gemeinsamkeiten gibt: Alle Lebewesen haben ein „genetisches Programm“, fast alle Tiere sind zweigeschlechtlich angelegt, viele Organe haben wir Menschen gemeinsam mit vielen Tieren – und der Fachmann weiss noch unzählige andere solche gemeinsame Strukturen zu benennen. Unbestreitbar ist auch, dass sich die Tier- und Pflanzenwelt im Lauf der Erdentwicklung verändert hat: Früher gab es Lebewesen, die aus zum Teil heute noch unerklärten Gründen verschwunden sind, heute gibt es andere, die es früher nicht gab, und der Vergleich zeigt, dass die Tiere von einst mit den Tieren von heute verwandt sind.

3. Die Frage der Evolution und einige Unterscheidungen

Die weltanschaulich betrachteten Fragen lauten: Haben sich die Lebewesen aus einer Urzelle „herausentwickelt“? Wenn ja, wodurch ist das geschehen? Steht auch der Mensch in der Reihe dieser Entwicklung?

Bei der Beantwortung dieser Fragen sollte man behutsam sein und unterscheiden:

Den Glauben berührt eigentlich nur die letzte Frage, nämlich diejenige nach dem Menschen.

Wer immer sich zu dieser letzten Frage eine Meinung bilden will, sollte sich zunächst einmal von der Voreingenommenheit des Zeitgeistes befreien. Suggestive Zeichnungen, wie sie heute bis in die Schulbücher hinein angeboten werden, um zu zeigen, wie sich der „Affe“ langsam aufrichtet und immer „menschlicher“ wird, beweisen natürlich gar nichts.

Man sollte die erste und die zweite Frage nicht vermengen: Die These, dass es Zusammenhänge zwischen den Arten des Lebens gibt bzw. gab, ist nicht dasselbe wie die Behauptung Darwins, die Arten hätten sich durch das Gesetz des jeweils Stärkeren gebildet.

Mit dem Begriff „Evolution“ kann man die These bezeichnen, dass es Zusammenhänge im Reich des organischen Lebens gibt (Antwort auf die erste Frage), man kann die Theorie Darwins meinen (Antwort auf die zweite Frage) oder auch behaupten, dass sich auch der Mensch aus der Entwicklung der Zellen erklären liesse und dass dieser Mensch daher auch nur ein höheres Tier sei (Antwort auf die dritte Frage).

4. Darwins eigener Vorbehalt

Darwin selbst wusste bereits Beispiele, die zeigen, daß sich manche Lebewesen und viele Organe unmöglich langsam, über viele hundert Jahre hin, entwickelt haben können, und zwar aus einem einfachen Grund: Manche Fähigkeiten eines Lebewesens können nur ganz oder gar nicht funktionieren. Ausserdem gibt es Symbiosen von verschiedenen Lebewesen (etwa Bienen und bestimmte Blüten), die gleichzeitig und vom ersten Augenblick ihrer Existenz an dagewesen sein müssen.

5. Evolution – Fakten und Interpretation

Eine Sache ist es, erstaunliche Ähnlichkeiten der Lebewesen festzustellen und Funde von bestimmten Lebewesen oder „ersten“ Menschen wissenschaftlich [12:] aufzuarbeiten, eine andere, diese Fakten und Entdeckungen als kausale Abhängigkeit (“Das Lebewesen A ist im Lauf vieler Millionen Jahre aus dem Lebewesen B hervorgegangen“) zu deuten. Dabei ist es zudem ein Unterschied, ob jemand nur das Faktum als erwiesen annimmt oder ob er meint, es einleuchtend erklären zu können. Natürlich genügt es nicht, der „Ursuppe“ Jahrmillionen zuzufügen, um die Evolution „verständlicher“ zu machen.

6. Evolution als rein wissenschaftliche Frage

Zur Frage, ob sich aus der Amöbe ein Elefant entwickelt haben könnte, schweigt der Glaube ebenso wie zu jener anderen, ob der „Lehm“, dem Gott die Seele „einhauchte“, anorganische Materie war oder ob sich Gott dabei einer schon lebenden Substanz bediente. Diese Fragen zu beantworten ist Sache der Vernunft mit Hilfe der jeweils angemessenen, empirischen und philosophischen Methode.

7. Die Freiheit des Denkens in Fragen, die nicht den Glauben berühren

Da sich der Glaube aus dem Streit über Evolution im vor-personalen Bereich heraushält, ist es jedem Katholiken unbenommen, über die Evolution im Tierreich zu denken, wie er meint, denken zu müssen. Vom Standpunkt des Glaubens aus darf es in diesem Punkt verschiedene Meinungen innerhalb der Kirche geben. Auch der Papst will diesen möglichen Pluralismus nicht einschränken, weder in die eine noch in die andere Richtung. Er könnte es gar nicht, weil ihm dazu keine Kompetenz von oben gegeben ist.

8. Evolutionstheorie als Häresie

Durch die Seele unterscheidet sich der Mensch durch eine Welt vom Tier. Sie ist nicht eine Art Aura des Hirns, die mit diesem steht und fällt, sondern umgekehrt, sie ist eine geistige Realität, in deren Dienst das Gehirn in einer undurchdringlich-geheimnisvollen Einheit steht. Sie ist durch keine „Entwicklung von unten“ erklärbar. Wer behauptet, der Mensch sei nur ein „Tier unter Tieren“ und prinzipiell nicht mehr als wohlorganisierte Materie, der tritt mit dem Glauben in einen unversöhnlichen, häretischen Gegensatz.

9. Evolutionstheorie als Widerspruch zur Vernunft

Die Geistseele von Materie und Entwicklung herzuleiten, widerspricht auch der Vernunft. Denn wer das Wesen der personalen Seele begriffen hat, weiss, dass eine „Erklärung“ der Seele „aus“ dem Tier absurd ist. Keine Gemeinsamkeit und keine Ähnlichkeit im Bereich des Leibes können diesen „Graben“ zwischen Mensch und Tier sozusagen zuschütten. Der menschen-ähnlichste Menschenaffe ist, genau genommen, ähnlicher der Kaulquappe oder einer Amöbe als dem Menschen – trotz allen Respekts, den wir besonders den höheren Tieren schulden.

10. Das bleibende Geheimnis des Lebens

Das Geheimnis bleibt auf jeden Fall bestehen: Sogar wenn die Entwicklung aller Tiere – und des menschlichen Leibes? – aus den Urzellen des Lebendigen unbestreitbar bewiesen wäre, bliebe es ein undurchdringliches Geheimnis, wie das möglich ist, ein Geheimnis, das wir vielleicht in etwa beschreiben, aber nicht wirklich „erklären“ könnten. Wirklich bewiesen ist aber nur: Es gibt verschiedene Tierarten, und sie sind untereinander verwandt, sogar mit dem Menschen. Offen bleibt die Frage, wie sie ins Dasein kamen.

Erst recht geheimnisvoll bleibt die Erschaffung des Menschen: „Die Kirche lehrt, dass jede Geistseele unmittelbar von Gott geschaffen ist – sie wird nicht von den Eltern ‘hervorgebracht’ – und dass sie unsterblich ist: sie geht nicht zugrunde, wenn sie sich im Tod vom Leibe trennt, und sie wird sich bei der Auferstehung von neuem mit dem Leib vereinen“ (KKK 366). Dieser Satz ist für den Gläubigen unantastbar – alles übrige ist Sache der natürlichen Wissenschaft.

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