Dekret ‘Optatam Totius’

Dekret ‘Optatam Totius’: Über die Ausbildung der Priester

Jean Marie VianneyVorwort

Quelle: Vatikan (Vollständiger Text mit Fussnoten)

Die erstrebte Erneuerung der gesamten Kirche hängt zum grossen Teil vom priesterlichen Dienst ab (1), der vom Geist Christi belebt ist; dessen ist sich die Heilige Synode voll bewusst. Deshalb unterstreicht sie die entscheidende Bedeutung der priesterlichen Ausbildung und weist einige grundlegende Leitsätze auf; durch sie sollen die schon durch Jahrhunderte praktisch bewährten Gesetze bestätigt und Neuerungen in sie eingeführt werden, die den Konstitutionen und Dekreten dieses Heiligen Konzils wie auch den veränderten Zeitumständen entsprechen. Da eine solche Priesterausbildung wegen der Einheit des katholischen Priestertums für alle Priester des Welt- und Ordensklerus und aller Riten notwendig ist, sind diese Vorschriften, die unmittelbar den Diözesanklerus betreffen, mit entsprechender Anpassung auf alle anzuwenden.

I. Die Neuordnung der Priesterausbildung in den einzelnen Völkern

1. Bei der grossen Verschiedenheit der Völker und Gebiete können nur allgemeine Gesetze aufgestellt werden. Darum soll für die einzelnen Völker und Riten eine eigene ” Ordnung der Priesterausbildung” eingeführt werden. Sie ist von den Bischofskonferenzen aufzustellen (2), von Zeit zu Zeit zu revidieren und vom Apostolischen Stuhl zu approbieren. In ihr sollen die allgemeinen Gesetze den besonderen örtlichen und zeitlichen Verhältnissen so angepasst werden, dass die Priesterausbildung immer den pastoralen Erfordernissen der Länder entspricht, in denen die Priester ihren Dienst auszuüben haben.

II. Die stärkere Förderung der Priesterberufe

2. Berufe zu fördern (3) ist Aufgabe der gesamten christlichen Gemeinde. Sie erfüllt sie vor allem durch ein wirklich christliches Leben. Den wichtigsten Beitrag dazu leisten einmal die Familien; durchdrungen vom Geist des Glaubens, der Liebe und der Frömmigkeit werden sie gleichsam zum ersten Seminar; zum anderen die Pfarrgemeinden, an deren blühendem Leben die Jugendlichen selbst teilnehmen. Die Lehrer und alle, die mit der Erziehung von Kindern und Jugendlichen in irgendeiner Weise betraut sind – besonders die katholischen Verbände -, sollen die ihnen anvertrauten jungen Menschen so zu erziehen suchen, dass sie den göttlichen Ruf wahrnehmen und ihm bereitwillig folgen können. Alle Priester sollen ihren apostolischen Eifer vor allem in der Förderung der Berufe zeigen. Sie sollen das Herz derjenigen Menschen durch ihr eigenes, bescheidenes, arbeitsames und von innerer Freude erfülltes Leben für das Priestertum gewinnen sowie durch die gegenseitige priesterliche Liebe und die brüderliche Gemeinschaft in der Arbeit.

Aufgabe der Bischöfe ist es, ihre Herde in der Förderung von Berufen anzueifern und für den Zusammenschluss aller Kräfte und Anstrengungen zu sorgen; auch sollen sie diejenigen, die nach ihrem Urteil zum Anteil des Herrn berufen sind, väterlich unterstützen, ohne dabei irgendein Opfer zu scheuen.

Dieses tatkräftige Zusammenwirken des ganzen Gottesvolkes zur Förderung von Berufen ist die Antwort auf das Handeln der göttlichen Vorsehung; sie verleiht den Menschen, die von Gott zur Teilnahme am hierarchischen Priestertum Christi erwählt sind, die entsprechenden Gaben und unterstützt sie mit ihrer Gnade; zugleich überträgt sie den rechtmässigen kirchlichen Amtsträgern die Aufgabe, die als geeignet erkannten Kandidaten, die in rechter Absicht und mit voller Freiheit ein so hohes Amt erstreben, zu prüfen, zu berufen und mit dem Siegel des Heiligen Geistes für den göttlichen Kult und den Dienst der Kirche zu weihen (4).

Die Heilige Synode empfiehlt vor allem die Mittel, die sich in der Sorge aller für die Priesterberufe schon immer bewährt haben: eifriges Gebet, christliche Busse und immer höhere Bildung der Christgläubigen in Predigt und Katechese wie auch durch die verschiedenen Mittel der öffentlichen Meinungsbildung. Sie sollen die Notwendigkeit, das Wesen und die Schönheit des Priesterberufes aufleuchten lassen. Ferner verordnet das Konzil, dass die Werke zur Förderung von Berufen, die nach einschlägigen päpstlichen Dokumenten auf diözesaner, regionaler und nationaler Ebene schon errichtet sind oder errichtet werden sollen, ihre ganze der Berufsförderung dienende pastorale Arbeit unter Verwertung aller von der heutigen Psychologie und Soziologie zur Verfügung gestellten geeigneten Hilfsmittel methodisch und systematisch planen und mit ebensovieI Eifer wie Diskretion durchführen sollen (5).

Das Werk der Berufsförderung soll grossherzig die Grenzen der Diözesen, der Völker, der Ordensfamilien und der Riten überschreiten und mit dem Blick auf die Bedürfnisse der Gesamtkirche vor allem jenen Gegenden Hilfe bringen, in denen Arbeiter für den Weinberg des Herrn besonders dringend benötigt werden.

3. In den Kleinen Seminarien, die zur Entfaltung keimender Berufe errichtet sind, sollen die Alumnen durch intensive religiöse Formung und vor allem durch geeignete geistliche Führung dazu angeleitet werden, Christus dem Erlöser mit grossherzigem Sinn und reinem Herzen nachzufolgen. Unter der väterlichen Leitung der Oberen und durch entsprechende Mitarbeit der Eltern sollen sie ein Leben führen, wie es zu Alter, Sinnesart und Entwicklung der jungen Menschen passt und mit den Grundsätzen einer gesunden Psychologie in Einklang steht. Eine hinreichende Lebenserfahrung und der Umgang mit der eigenen Familie dürfen nicht fehlen 6. Daneben soll das, was im folgenden für die Priesterseminarien bestimmt wird, auch auf die Kleinen Seminarien angewandt werden, soweit es ihrer Aufgabe und ihrem Wesen entspricht.

Der Unterricht der Alumnen soll so eingerichtet werden, dass sie ohne Schwierigkeiten anderweitig auf ihn aufbauen können, wenn sie einen anderen Lebensstand wählen sollten.

Mit gleicher Sorge soll man sich darüber hinaus des keimenden Berufes der jungen Menschen in den besonderen Instituten annehmen, die in manchen Ländern auch den Zweck der Kleinen Seminarien erfüllen, desgleichen jener Jugendlichen, die in anderen Schulen oder sonstigen Ausbildungsstätten unterrichtet werden. Mit besonderer Liebe soll für Spätberufene durch geeignete Studienstätten und andere Initiativen gesorgt werden.

III. Die Ordnung der Priesterseminare

4. Die Priesterseminare sind zur priesterlichen Ausbildung notwendig. In ihnen muss die gesamte Ausbildung der Alumnen dahin zielen, dass sie nach dem Vorbild unseres Herrn Jesus Christus, des Lehrers, Priesters und Hirten, zu wahren Seelenhirten geformt werden (7); sie müssen also zum Dienst am Wort vorbereitet werden, dass sie das geoffenbarte Gotteswort immer besser verstehen, durch Meditation mit ihm vertraut werden und es in Wort und Leben darstellen; zum Dienst des Kultes und der Heiligung, dass sie in Gebet und im Vollzug der heiligen Liturgie das Heilswerk durch das eucharistische Opfer und die Sakramente vollziehen; zum Dienst des Hirten, dass sie den Menschen Christus darstellen können, der “nicht kam, um sich bedienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben als Lösegeld für viele hinzugeben” (Mk 10,45; vgl. Joh 13,12-17), und dass sie Diener aller werden und so viele gewinnen (vgl. 1 Kor 9,19). Daher müssen alle Bereiche der Ausbildung, der geistliche, intellektuelle und disziplinäre, harmonisch auf dieses pastorale Ziel hingeordnet werden; dieses Ziel zu erreichen, sollen alle Oberen und Professoren in treuem Gehorsam gegenüber der bischöflichen Autorität eifrig und einmütig bemüht sein.

5. Da die Ausbildung der Alumnen wohl von sinnvollen Gesetzen, ganz besonders aber von geeigneten Erziehern abhängt, sollen Seminarobere und Professoren aus den besten Kräften ausgewählt werden (8). Sie müssen durch gediegene Studien, entsprechende pastorale Erfahrung und eine besondere geistliche und pädagogische Ausbildung sorgfältig vorbereitet sein. Zu diesem Zweck müssen geeignete Institute oder wenigstens gut geplante Kurse eingerichtet und regelmässige Konferenzen der Seminaroberen abgehalten werden. Die Oberen und Professoren sollen immer daran denken, wie sehr der Bildungserfolg bei den Alumnen von der Art und Weise ihres Denkens und Handelns abhängt. Unter Leitung des Regens sollen sie eine enge Gemeinschaft in Gesinnung und Tat eingehen. Sie sollen untereinander und mit den Alumnen eine Familie bilden, die dem Gebet des Herrn “Auf dass sie eins seien” (vgl. Joh 17,11) entspricht und in den Alumnen die Freude am eigenen Beruf nährt. Der Bischof aber soll mit steter, liebevoller Sorge die am Seminar Tätigen ermuntern und auch den Alumnen selbst ein wahrer Vater in Christus sein. Alle Priester sollen das Seminar als das Herz der Diözese betrachten und ihm gern ihre eigene Hilfe zur Verfügung stellen (9).

6. Mit wacher Sorge, dem Alter und der Entwicklungsstufe der einzelnen entsprechend, müssen die rechte Absicht und der freie Wille der Kandidaten, ihre geistliche, moralische und intellektuelle Eignung, die erforderliche physische und seelische Gesundheit geprüft werden; dabei müssen auch von der Familie eventuell ererbte Anlagen beachtet werden. Auch soll man sich über die Fähigkeit der Kandidaten, die Lasten des Priesteramtes zu tragen und die pastoralen Aufgaben zu erfüllen, ein Urteil bilden (10). Bei der Auslese und Prüfung der Kandidaten soll man mit der nötigen geistigen Festigkeit vorgehen, auch dann, wenn Priestermangel zu beklagen ist (11). Gott lässt es ja seiner Kirche nicht an Dienern fehlen, wenn man die fähigen auswählt, die nicht geeigneten aber rechtzeitig in väterlicher Weise anderen Berufen zuführt und ihnen dazu verhilft, dass sie sich im Bewusstsein ihrer christlichen Berufung mit Eifer dem Laienapostolat widmen.

7. Wo die einzelnen Diözesen nicht in der Lage sind, ein eigenes Seminar entsprechend einzurichten, soll man gemeinsame Seminarien für mehrere Diözesen, für eine ganze Region oder Nation gründen und fördern, damit die gründliche Ausbildung der Alumnen, die hierin oberstes Gesetz sein muss, wirksamer gewährleistet wird. Die Leitung solcher regionaler oder nationaler Seminarien soll sich nach Statuten richten, die von den beteiligten Bischöfen (12) aufgestellt und vom Heiligen Stuhl approbiert sind. In Seminarien, in denen eine grosse Zahl von Alumnen zusammenlebt, soll man die Alumnen in passender Weise in kleinere Gruppen aufteilen, um so die Ausbildung der einzelnen persönlicher gestalten zu können; die Einheit der Leitung und wissenschaftlichen Ausbildung soll aber erhalten bleiben.

IV. Die Sorge um die gründlichere geistliche Formung

8. Die geistliche Formung soll mit der wissenschaftlichen und pastoralen Ausbildung eng verbunden sein. Unter Anleitung vor allem des Spirituals (13) sollen die Alumnen lernen, in inniger und steter Gemeinschaft mit dem Vater durch seinen Sohn Jesus Christus im Heiligen Geist zu leben. Durch die heilige Weihe werden sie einst Christus dem Priester gleichförmig; so sollen sie auch lernen, ihm wie Freunde in enger Gemeinschaft des ganzen Lebens verbunden zu sein (14). Sein Pascha-Mysterium sollen sie so darlegen, dass sie das Volk, das ihnen anvertraut wird, darin einzuführen vermögen. Sie sollen angeleitet werden, Christus zu suchen: in der gewissenhaften Meditation des Gotteswortes, in der aktiven Teilnahme an den heiligen Geheimnissen der Kirche, vor allem in der Eucharistie und im Stundengebet (15), im Bischof, der ihnen die Sendung gibt, und in den Menschen, zu denen sie gesandt werden, vor allem in den Armen, den Kindern und den Kranken, den Sündern und Ungläubigen. Die seligste Jungfrau Maria, die von Christus Jesus bei seinem Tod am Kreuz dem Jünger als Mutter gegeben wurde, sollen sie mit kindlichem Vertrauen lieben und verehren.

Die Frömmigkeitsformen, die durch den ehrwürdigen Brauch der Kirche empfohlen sind, sollen eifrig gefördert werden; man muss aber dafür sorgen, dass die geistliche Ausbildung sich nicht in ihnen erschöpfe und nicht einseitig das religiöse Gefühl anspreche. Vielmehr sollen die Alumnen lernen, nach dem Vorbild des Evangeliums zu leben, in Glaube, Hoffnung und Liebe stark zu werden, damit sie in der Übung dieser Tugenden die Gesinnung des Betens erwerben (16), Festigkeit und Sicherheit in ihrem Beruf finden, die übrigen Tugenden zur Reife bringen und im Eifer, alle Menschen für Christus zu gewinnen, wachsen.

9. Das Geheimnis der Kirche, das von dieser Heiligen Synode besonders dargelegt wurde, soll sie so erfüllen, dass sie dem Stellvertreter Christi in demütiger und kindlicher Liebe ergeben sind und dass sie später als Priester ihrem eigenen Bischof als ergebene Mitarbeiter anhangen und in gemeinschaftlicher Arbeit mit ihren Mitbrüdern Zeugnis für jene Einheit geben, durch die die Menschen zu Christus hingezogen werden (17). Mit weitem Herzen sollen sie am Leben der ganzen Kirche teilzunehmen lernen, nach jenem Augustinuswort: “In dem Masse, wie einer die Kirche Christi liebt, hat er den Heiligen Geist.” (18) Die Alumnen müssen mit voller Klarheit verstehen, dass sie nicht zum Herrschen oder für Ehrenstellen bestimmt sind, sondern sich ganz dem Dienst Gottes und der Seelsorge widmen sollen. Mit besonderer Sorgfalt sollen sie im priesterlichen Gehorsam, in armer Lebensweise und im Geist der Selbstverleugnung erzogen werden (19), so dass sie sich daran gewöhnen, auch auf erlaubte, aber unnötige Dinge bereitwillig zu verzichten und dem gekreuzigten Christus ähnlich zu werden.

Die Alumnen sollen über die Lasten, die sie auf sich zu nehmen haben, aufgeklärt werden, ohne dass man ihnen irgendeine der Schwierigkeiten des Priesterlebens verschweigt, Sie sollen aber in ihrer zukünftigen Tätigkeit nicht fast ausschliesslich eine Gefahrenquelle sehen, vielmehr soll man sie dazu anleiten, dass sie gerade aus ihrer pastoralen Tätigkeit für ihr geistliches Leben so viel Kraft wie möglich schöpfen.

10. Die Alumnen, die gemäss den heiligen und festen Gesetzen ihres eigenen Ritus die verehrungswürdige Tradition des priesterlichen Zölibats auf sich nehmen, sollen mit grosser Sorgfalt auf diesen Stand hin erzogen werden: sie verzichten darin um des Himmelreiches willen (vgl. Mt 19,12) auf die eheliche Gemeinschaft, hangen dem Herrn mit ungeteilter Liebe an (20), wie sie dem Neuen Bund in besonderer Weise entspricht; sie geben Zeugnis für die Auferstehung in der künftigen Welt (vgl. Lk 20,36) (21) und gewinnen besonders wirksame Hilfe zur ständigen Übung jener vollkommenen Liebe, die sie in ihrer priesterlichen Arbeit allen alles werden lässt (22). Sie sollen tief davon durchdrungen sein, wie dankbar sie diesen Stand entgegennehmen sollen, nicht etwa bloss als eine Vorschrift kirchlicher Gesetzgebung, sondern als ein kostbares Geschenk Gottes, das sie in Demut erbitten und dem sie mit der erweckenden und helfenden Gnade des Heiligen Geistes frei und grossherzig zu entsprechen suchen sollen.

Um die Pflichten und die Würde der christlichen Ehe, die ein Bild der Liebe zwischen Christus und seiner Kirche ist (vgl. Eph 5,32f.), sollen die Alumnen gebührend wissen; sie sollen aber klar den Vorrang der Christus geweihten Jungfräulichkeit erkennen (23), so dass sie nach reiflich überlegter Wahl und mit Hochherzigkeit sich in ganzer Hingabe von Leib und Seele dem Herrn weihen.

Auf die Gefahren, die ihrer Keuschheit besonders in der gegenwärtigen Gesellschaft drohen, sollen sie hingewiesen werden (24). Sie müssen lernen, sich durch geeignete göttliche und menschliche Hilfsmittel zu schützen und den Verzicht auf die Ehe so in ihr Dasein zu integrieren, dass sie in ihrem Leben und in ihrer Wirksamkeit vom Zölibat her nicht nur keinen Schaden nehmen, vielmehr eine vollkommenere Herrschaft über Leib und Seele und eine höhere menschliche Reife gewinnen und die Seligkeit des Evangeliums tiefer erfahren.

11. Die Grundsätze christlicher Erziehung sollen hochgehalten und durch die neueren Erkenntnisse einer gesunden Psychologie und Pädagogik ergänzt werden. In klug abgestufter Ausbildung sollen die Alumnen auch zur nötigen menschlichen Reife geführt werden, die sich vor allem in innerer Beständigkeit bewähren muss, in der Fähigkeit, abgewogene Entscheidungen zu fällen, und in einem treffenden Urteil über Ereignisse und Menschen. Die Alumnen müssen ihren Charakter formen lernen. Sie sollen zu geistiger Entschlossenheit erzogen werden und überhaupt jene Tugenden schätzen lernen, auf die die Menschen Wert legen und die den Diener Christi gewinnend machen (25). Dazu gehören Aufrichtigkeit, wacher Gerechtigkeitssinn, Zuverlässigkeit bei Versprechungen, gute Umgangsformen, Bescheidenheit und Liebenswürdigkeit im Gespräch.

Die Lebensordnung des Seminars soll nicht nur als ein wirksamer Schatz des gemeinsamen Lebens und der Liebe betrachtet werden, vielmehr als notwendiger Bestandteil der ganzen Ausbildung zur Gewinnung von Selbstbeherrschung, zur Entfaltung einer reifen Persönlichkeit und zur Heranbildung aller jener geistigen Haltungen, die zu einem disziplinierten und fruchtbaren Wirken der Kirche in hohem Masse beitragen. Die Disziplin soll aber so gehandhabt werden, dass die Alumnen von sich aus die Autorität der Oberen aus persönlicher Überzeugung, also um des Gewissens willen (vgl. Röm 13,5), und aus übernatürlichen Motiven annehmen. Die Regeln der Hausordnung aber sollen dem Alter der Alumnen so angepasst werden, dass sie allmählich lernen, auf sich selber zu stehen, und sich daran gewöhnen, ihre Freiheit vernünftig zu gebrauchen, aus eigener Initiative und Überlegung zu handeln (26) und mit den Mitbrüdern und den Laien zusammenzuarbeiten.

Der gesamte Lebensstil des Seminars soll von der Bemühung um die Frömmigkeit und das Schweigen und von gegenseitiger Hilfsbereitschaft geprägt und so gestaltet sein, dass er schon eine gewisse Einführung in das spätere Leben des Priesters ist.

12. Es ist Sache der Bischöfe, einen entsprechenden Zeitraum für eine intensivere geistliche Schulung der Alumnen festzusetzen, damit ihre geistliche Bildung festere Grundlagen habe und sie in reifer Überlegung ihren Beruf bejahen. Ausserdem sollen sie die Möglichkeit erwägen, die Studien zu unterbrechen oder einen angemessenen Zeitraum pastoraler Schulung einzulegen, um eine zuverlässigere Erprobung der Priesterkandidaten zu gewährleisten. Weiter sollen die Bischöfe je nach den regionalen Gegebenheiten entscheiden, ob das nach dem zur Zeit gültigen gemeinen Recht geforderte Weihealter zu erhöhen ist, und überlegen, ob es angebracht ist, die Alumnen nach Abschluss des theologischen Studiums noch eine angemessene Zeit den Weihediakonat ausüben zu lassen, bevor sie zur Priesterweihe zugelassen werden.

V. Neugestaltung der kirchlichen Studien

13. Vor Beginn der eigentlichen kirchlichen Studien sollen die Alumnen den Grad humanistischer und naturwissenschaftlicher Bildung erreichen, der in ihrem Land zum Eintritt in die Hochschulen berechtigt. Sie sollen zudem so viel Latein lernen, dass sie die zahlreichen wissenschaftlichen Quellen und die kirchlichen Dokumente verstehen und benützen können (27). Das Studium der dem eigenen Ritus entsprechenden liturgischen Sprache muss als notwendig verlangt werden; die angemessene Kenntnis der Sprachen der Heiligen Schrift und der Tradition soll sehr gefördert werden.

14. Bei der Neugestaltung der kirchlichen Studien ist vor allem darauf zu achten, dass die philosophischen und die theologischen Disziplinen besser aufeinander abgestimmt werden; sie sollen harmonisch darauf hinstreben, den Alumnen immer tiefer das Mysterium Christi zu erschliessen, das die ganze Geschichte der Menschheit durchzieht, sich ständig der Kirche mitteilt und im priesterlichen Dienst in besonderer Weise wirksam wird (28). Damit diese Sicht den Seminaristen schon vom Anfang ihrer Ausbildung an vertraut werde, sollen die kirchlichen Studien mit einem ausreichend langen Einführungskurs beginnen. In dieser Einführung soll das Heilsmysterium so dargelegt werden, dass die Alumnen den Sinn, den Aufbau und das pastorale Ziel der kirchlichen Studien klar sehen; dass ihnen zugleich geholfen werde, ihr ganzes persönliches Leben auf den Glauben zu gründen und mit ihm zu durchdringen; dass sie endlich in der persönlichen und frohen Hingabe an ihren Beruf gefestigt werden.

15. Die philosophischen Disziplinen sollen so dargeboten werden, dass die Alumnen vor allem zu einem gründlichen und zusammenhängenden Wissen über Mensch, Welt und Gott hingeführt werden. Sie sollen sich dabei auf das stets gültige philosophische Erbe stützen (29). Es sollen aber auch die philosophischen Forschungen der neueren Zeit berücksichtigt werden, zumal jene, die beim eigenen Volk bedeutenderen Einfluss ausüben, und der Fortschritt der modernen Naturwissenschaften. So sollen die Alumnen über die charakteristischen Erscheinungen der heutigen Zeit gut Bescheid wissen und auf das Gespräch mit den Menschen ihrer Zeit entsprechend vorbereitet werden (30).

Die Philosophiegeschichte soll so gelehrt werden, dass die Studenten zu den letzten Prinzipien der verschiedenen Systeme vordringen, den Wahrheitsgehalt festhalten, die Irrtümer aber in ihren Wurzeln erkennen und widerlegen können.

Durch die ganze Lehrweise wecke man in den Alumnen den Drang, mit methodischer Strenge nach der Wahrheit zu suchen, in sie einzudringen und sie zu beweisen und gleichzeitig die Grenzen menschlicher Erkenntnis ehrlich anzuerkennen. Ganz besonders achte man auf den engen Zusammenhang der Philosophie mit den wirklichen Lebensproblemen und den Fragen, die die Studenten innerlich bewegen. Man soll ihnen auch dazu helfen, die Verbindung zu sehen, die zwischen den philosophischen Gedankengängen und den Heilsgeheimnissen besteht, die die Theologie im höheren Licht des Glaubens betrachtet.

16. Die theologischen Fächer sollen im Licht des Glaubens unter Führung des kirchlichen Lehramtes (31) so gelehrt werden, dass die jungen Theologen die katholische Lehre sorgfältig aus der göttlichen Offenbarung schöpfen, tief in sie eindringen, sie für ihr geistliches Leben fruchtbar machen (32) und sie in ihrem künftigen priesterlichen Dienst verkünden, darlegen und verteidigen können.

Mit besonderer Sorgfalt sollen sie im Studium der Heiligen Schrift, die die Seele der ganzen Theologie sein muss (33), gefördert werden. Nach einer entsprechenden Einführung sollen sie in der exegetischen Methode gründlich geschult werden; mit den Hauptthemen der göttlichen Offenbarung sollen sie vertraut werden und für ihre tägliche Schriftlesung und Schriftbetrachtung Anregung und Nahrung erhalten (34).

Die dogmatische Theologie soll so angeordnet werden, dass zuerst die biblischen Themen selbst vorgelegt werden; dann erschliesse man den Alumnen, was die Väter der östlichen und westlichen Kirche zur treuen Überlieferung und zur Entfaltung der einzelnen Offenbarungswahrheiten beigetragen haben, ebenso die weitere Dogmengeschichte, unter Berücksichtigung ihrer Beziehungen zur allgemeinen Kirchengeschichte (35); sodann sollen sie lernen, mit dem heiligen Thomas als Meister, die Heilsgeheimnisse in ihrer Ganzheit spekulativ tiefer zu durchdringen und ihren Zusammenhang zu verstehen, um sie, soweit möglich, zu erhellen (36). Sie sollen geschult werden, diese selben Heilsgeheimnisse stets in den liturgischen Handlungen (37) und im gesamten Leben der Kirche gegenwärtig und wirksam zu sehen, und lernen, die Lösung der menschlichen Probleme im Lichte der Offenbarung zu suchen, ihre ewige Wahrheit auf die wandelbare Welt menschlicher Dinge anzuwenden und sie in angepasster Weise den Menschen unserer Zeit mitzuteilen (38).

Ebenso sollen die übrigen theologischen Disziplinen aus einem lebendigeren Kontakt mit dem Geheimnis Christi und der Heilsgeschichte neu gefasst werden. Besondere Sorge verwende man auf die Vervollkommnung der Moraltheologie, die, reicher genährt aus der Lehre der Schrift, in wissenschaftlicher Darlegung die Erhabenheit der Berufung der Gläubigen in Christus und ihre Verpflichtung, in der Liebe Frucht zu tragen für das Leben der Welt, erhellen soll.

Ebenso lenke man bei der Behandlung des kanonischen Rechtes und bei der Darlegung der Kirchengeschichte den Blick auf das Mysterium der Kirche im Sinne der Dogmatischen Konstitution “Über die Kirche”, die von der Heiligen Synode erlassen wurde. Die heilige Liturgie, die als erste und notwendige Quelle des wahrhaft christlichen Geistes zu betrachten ist, soll entsprechend den Artikeln 15 und 16 der Konstitution “Über die heilige Liturgie” gelehrt werden (39).

Unter angemessener Berücksichtigung der regionalen Verhältnisse führe man die Alumnen zu einer volleren Kenntnis der Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften, die vom Apostolischen Römischen Stuhl getrennt sind, damit sie zur Förderung der Wiederherstellung der Einheit unter allen Christen nach den Vorschriften dieser Heiligen Synode beizutragen vermögen (40).

Auch in die Kenntnis der anderen Religionen, die in den betreffenden Gegenden stärker verbreitet sind, führe man sie ein, auf dass sie besser das, was sie nach Gottes Fügung an Gutem und Wahrem haben, anerkennen, Irrtümer zurückzuweisen lernen und das volle Licht der Wahrheit denen, die es nicht haben, mitzuteilen vermögen.

17. Da die wissenschaftliche Ausbildung nicht der blossen Mitteilung von Begriffen dient, sondern die wahre innere Formung der Alumnen anstreben muss, sollen die Lehrmethoden überprüft werden; das gilt sowohl für die Vorlesungen, Kolloquien und Übungen als auch für die Förderung des privaten Studiums der Alumnen und ihrer Zusammenarbeit in kleinen Zirkeln. Grossen Wert lege man auf die Einheit der Ausbildung und auf ihre Gründlichkeit; man vermeide eine zu grosse Vermehrung von Fächern und Vorlesungen; man lasse die Fragen aus, die kaum mehr Bedeutung haben, wie auch solche, die in die höheren akademischen Studien zu verweisen sind.

18. Es ist die Aufgabe der Bischöfe, dafür zu sorgen, dass junge Leute, die nach Charakter, Tugend und Begabung geeignet sind, an besondere Institute, Fakultäten oder Universitäten geschickt werden, um so Priester heranzubilden, die in den heiligen Wissenschaften und in anderen wichtigen Wissenszweigen eine gründlichere wissenschaftliche Ausbildung erhalten haben und den verschiedenen Erfordernissen des Apostolats entsprechen können. Ihre geistliche und pastorale Unterweisung darf dabei in keiner Weise vernachlässigt werden, besonders wenn sie noch vor der Priesterweihe stehen.

VI. Die Förderung der pastoralen Ausbildung im engeren Sinn

19. Die pastorale Sorge, die die gesamte Erziehung der Alumnen durchdringen soll (41), fordert auch, dass sie sorgfältig in den für den priesterlichen Dienst charakteristischen Aufgaben ausgebildet werden, vor allem in Katechese und Homiletik, in Liturgie und Sakramentenspendung, in caritativer Arbeit, in der Aufgabe, den Irrenden und Ungläubigen zu Hilfe zu kommen, und in den übrigen pastoralen Pflichten. Sorgfältig sollen sie in die Kunst der Seelenführung eingeführt werden, damit sie alle Glieder der Kirche in erster Linie zu einem voll bewussten und apostolischen Christenleben und zur Erfüllung ihrer Standespflichten führen können. Mit gleicher Sorgfalt sollen sie lernen, Ordensmänner und Ordensfrauen so zu führen, dass sie ihrer Berufsgnade treu bleiben und im Geist ihres Ordens voranschreiten (42).

Überhaupt sollen die Eigenschaften der Alumnen ausgebildet werden, die am meisten dem Dialog mit den Menschen dienen: wie die Fähigkeit, anderen zuzuhören und im Geist der Liebe sich seelisch den verschiedenen menschlichen Situationen zu öffnen (43).

20. Im Gebrauch der pädagogischen, psychologischen und soziologischen Hilfsmittel (44) sollen sie methodisch richtig und den Richtlinien der kirchlichen Autorität entsprechend unterrichtet werden, das apostolische Wirken der Laien anzuregen und zu fördern (45) sowie die verschiedenen und wirkungsvolleren Formen des Apostolats zu pflegen. Durchdrungen von einer wahrhaft katholischen Geisteshaltung, sollen sie immer über die Grenzen der eigenen Diözese, der Nation oder des Ritus zu blicken und für die Bedürfnisse der ganzen Kirche einzustehen lernen, stets bereit, das Evangelium überall zu verkünden (46).

21. Da die Alumnen die Ausübung des Apostolats nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch erlernen und imstande sein sollen, aus eigener Verantwortung und in Gemeinschaftsarbeit zu handeln, sollen sie schon im Verlauf des Studiums und auch während der Ferien mit der pastoralen Praxis durch geeignete Übungen vertraut werden. Diese müssen je nach dem Alter der Alumnen und den örtlichen Umständen gemäss dem einsichtigen Urteil der Bischöfe methodisch und unter der Führung pastoral erfahrener Männer abgehalten werden. Die entscheidende Kraft der übernatürlichen Hilfen werde dabei immer bedacht (47).

VII. Die Weiterbildung nach dem Studienabschluss

22. Die priesterliche Bildung muss gerade wegen der Bedürfnisse der heutigen Gesellschaft auch nach abgeschlossenem Seminarstudium noch fortgesetzt und vervollständigt werden (48). Die Bischofskonferenzen müssen darum in den einzelnen Ländern geeignete Wege finden, wie zum Beispiel Pastoralinstitute, die mit Musterpfarreien zusammenarbeiten, sowie periodische Zusammenkünfte und entsprechende Übungen. Durch sie soll der jüngere Klerus in geistlicher, intellektueller und pastoraler Hinsicht schrittweise ins priesterliche Leben und ins apostolische Wirken eingeführt werden; sie sollen eine ständige Quelle der Erneuerung und Forderung sein.

Schlusswort

Die Väter dieser Heiligen Synode führen das Werk des Konzils von Trient fort, wenn sie den Oberen und Professoren der Seminarien vertrauensvoll die Aufgabe übertragen, die künftigen Priester Christi im Geist der Erneuerung, wie sie von dieser Heiligen Synode gefordert wird, zu erziehen. Jene, die sich auf das Priesteramt vorbereiten, ermahnen sie eindringlich, in dem Bewusstsein zu leben, dass ihnen die Hoffnung der Kirche und das Heil der Menschen anvertraut sind; sie mögen die Bestimmungen dieses Dekrets bereitwillig annehmen und reiche, unvergängliche Frucht bringen.

28. Oktober 1965

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