Marialis Cultus

Marialis Cultus – Apostolisches Schreiben von Papst Paul PP. VI. an alle Bischöfe die in Frieden und Gemeinschaft mit dem Apostolischen Stuhl leben

Marialis cultus/Vollständiges Dokument
Do. – 3. September 2014

Einleitung

Seitdem Wir auf den Stuhl Petri erhoben wurden, haben Wir Uns ständig darum bemüht, den marianischen Kult zu fördern. Wir taten dies nicht nur in der Absicht, dem Empfinden der Kirche und Unserem persönlichen Wunsche Ausdruck zu geben, sondern auch, weil dieser bekanntlich als vorzüglicher Teil zum Bereich jenes religiösen Kultes gehört, in dem sich das Höchstmaß an Weisheit und der Gipfel der Frömmigkeit vereinen, (1) und der deshalb die hauptsächliche Aufgabe des Gottesvolkes ist.

Gerade im Hinblick auf diese Aufgabe haben Wir stets das große Werk der liturgischen Reform mit Nachdruck gefördert, das vom Zweiten Vatikanischen Ökumenischen Konzil durchgeführt worden ist. Es ist auch gewiß nicht ohne einen besonderen Plan der göttlichen Vorsehung geschehen, daß das erste Konzilsdokument, das Wir zusammen mit den ehrwürdigen Konzilsvätern ”im Heiligen Geiste” approbiert und unterzeichnet haben, die Konstitution Sacrosanctum Concilium gewesen ist, die sich gerade die Erneuerung und die Förderung der Liturgie zum Ziel gesetzt hat, indem sie die Teilnahme der Gläubigen an den heiligen Geheimnissen fruchtbringender gestaltet. (2) Von da an hatten viele Verlautbarungen Unseres Pontifikates dasselbe Ziel, nämlich die Verbesserung des religiösen Kultes, wie es die Veröffentlichung zahlreicher Bücher des römischen Ritus in diesen Jahren bezeugt, die gemäß den Prinzipien und Richtlinien desselben Konzils überarbeitet worden sind. Dafür danken Wir dem Herrn, dem Geber alles Guten, von ganzem Herzen und bekunden auch den Bischofskonferenzen und den einzelnen Bischöfen Unseren Dank, die auf verschiedene Weise mit Uns bei der Ausarbeitung dieser Bücher zusammengearbeitet haben.

Während Wir aber mit frohem und dankbarem Herzen die geleistete Arbeit und die ersten positiven Ergebnisse der liturgischen Erneuerung betrachten, die sich in dem Maße, wie die Reform in ihrer grundlegenden Bedeutung besser verstanden und richtig durchgeführt wird, noch mehr ausweiten werden, hören Wir nicht auf, Unsere aufmerksame Sorge all dem zuzuwenden, was der Erneuerung des Kultes zu einer geordneten Durchführung verhelfen kann, mit dem die Kirche im Geiste und in der Wahrheit (vgl. Joh 4, 24) den Vater, den Sohn und den Heiligen Geist anbetet, ”mit besonderer Liebe Maria, die Gottesmutter, verehrt (3) und mit religiöser Ehrfurcht das Gedächtnis der Märtyrer und der anderen Heiligen ehrt.

Die von Uns gewünschte Entfaltung der Andacht zur Jungfrau Maria, die – wie Wir eingangs angedeutet haben – in den Rahmen des einen Kultes eingefügt ist, der mit guten Recht christlich genannt werden kann, da er von Christus seinen Ursprung und seine Wirksamkeit hat, in Christus seinen vollkommenen Ausdruck findet und durch Christus im Heiligen Geiste zum Vater führt, ist ein Element, das die echte Frömmigkeit der Kirche kennzeichnet. Denn mit innerer Notwendigkeit läßt sie im liturgischen Leben der Kirche den Erlösungsplan Gottes widerspiegeln, durch den Maria im Hinblick auf die einzigartige Stellung, die sie in ihm einnimmt, eine einzigartige Verehrung zukommt. (4) So folgt auch jeder echten Entfaltung des christlichen Kultes notwendig ein echtes Wachstum in der Verehrung der Mutter des Herrn. Im übrigen zeigt die Geschichte des religiösen Lebens auf, wie ”die verschiedenen Formen der Verehrung der Gottesmutter, die die Kirche im Rahmen der gesunden und rechtgläubigen Lehre gutgeheißen hat” (5), sich in harmonischer Unterordnung unter die Christusverehrung entfalten und um ihn kreisen wie um ihren natürlichen und notwendigen Mittelpunkt. Auch in unserem Zeitalter ist dies so der Fall. Die Betrachtung der Kirche unserer Tage über das Geheimnis Christi und über ihr eigenes Wesen haben sie dahin geführt, in der Wurzel des Christusgeheimnisses und in der Krönung ihres Wesens dieselbe Frauengestalt vorzufinden: die Jungfrau Maria, die Mutter Christi und Mutter der Kirche. Und die tiefere Erkenntnis der Sendung Mariens hat sich in jubelnde Verehrung zu ihr gewandelt und in anbetende Ehrfurcht gegenüber dem weisen Plan Gottes, der in seiner Familie – die Kirche –, wie in jedem Heim, die Gestalt einer Frau gegenwärtig wissen wollte, die verborgen und in der Haltung einer Dienerin wach ”und in Güte schützend ihre Schritte zum Vaterland lenkt, bis der glorreiche Tag des Herrn kommt” (6).

Die Wandlungen, die sich in unserer Zeit im gesellschaftlichen Leben, im Empfinden der Völker, in den Ausdrucksformen der Literatur und der Kunst wie auch in den Formen der Massenmedien vollzogen haben, sind auch nicht spurlos an den Äußerungen des religiösen Lebens vorübergegangen. Bestimmte kultische Übungen, die in einer nicht allzufernen Vergangenheit geeignet schienen, das religiöse Empfinden der einzelnen wie der christlichen Gemeinschaften zum Ausdruck zu bringen, erscheinen heute ungenügend oder ungeeignet, weil gebunden an sozial-kulturelle Schemen der Vergangenheit, während man heute großenteils neue Ausdrucksformen sucht für die unveränderliche Beziehung der Geschöpfe zu ihrem Schöpfer, der Kinder zu ihrem Vater. Das kann bei einigen vorübergehendes Befremden auslösen. Wer aber in vertrauensvollem Aufblick zu Gott über solche Gegebenheiten nachdenkt, entdeckt, daß viele Bestrebungen der heutigen Frömmigkeit – zum Beispiel die Verinnerlichung des religiösen Lebens – dazu angetan sind, für die Entfaltung der christlichen Frömmigkeit im allgemeinen und der Verehrung der Allerseligsten Jungfrau im besonderen beizutragen. So wird unser Zeitalter in treuer Befolgung der Überlieferung und in aufmerksamer Erwägung der theologischen und wissenschaftlichen Fortschritte seinen Beitrag leisten zum Lobe jener, die nach ihren eigenen prophetischen Worten alle Geschlechter seligpreisen werden (vgl. Lk 1, 48).

Wir erachten es daher als eine Aufgabe Unseres apostolischen Amtes, mit Ihnen, Ehrwürdige Brüder, einige Themen wie in einem Dialog durchzusprechen, die sich auf die Stellung beziehen, die die Allerseligste Jungfrau im Kult der Kirche einnimmt, die zum Teil schon vom Zweiten Vatikanischen Konzil (7) und von Uns selbst (8) behandelt worden sind. Es ist aber nicht unnütz, hierauf zurückzukommen, um Zweifel zu beseitigen und vor allem um die Entfaltung jener Andacht zur Jungfrau zu fördern, die innerhalb der Kirche im Worte Gottes ihre Begründung findet und im Geiste Christi geübt wird.

Wir möchten deshalb auf einige Fragen eingehen, die die Beziehungen zwischen der Liturgie und der Verehrung der Allerseligsten Jungfrau aufzeigen (I); Überlegungen und Richtlinien vorlegen, die geeignet sind, die berechtigte Entwicklung dieser Verehrung zu fördern (II); endlich einige Anregungen für eine lebendige und mehr bewusste Wiederaufnahme des Rosenkranzgebetes zu geben, dessen Übung von Unseren Vorgängern so sehr empfohlen worden ist und das unter dem christlichen Volk eine so weite Verbreitung gefunden hat (III).

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