Rafik Schami – Urchrist, der gerne erzählt
Rafik Schami wurde in Damaskus in Syrien geboren, seine Familie gehört zur Minderheit der aramäischen Christen
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Literatur von Rafik Schami
Rafik Schami wurde in Damaskus in Syrien geboren, seine Familie gehört zur Minderheit der aramäischen Christen. 1970 musste er aus seiner Heimat fliehen und kam 1971 nach Deutschland. Heute gehört der ehemalige Chemiker zu den wichtigsten Gegenwartsautoren im deutschen Sprachraum und gilt ein hervorragender Vortragskünstler. Er bewundert Papst Franziskus in vielen Fragen der menschlichen Werte, vor allem seinen Mut.
Herr Suheil Fadél, Sie sind im deutschen Sprachraum unter Ihrem Künstlernamen Rafik Schami bekannt, was Freund aus Damaskus bedeutet. Rafik: Freund und Schami: Damaskus. Mittlerweile leben Sie schon länger in Deutschland als in Syrien. Sind Sie im Herzen Syrer geblieben oder ist Ihre Heimat Deutschland geworden?
Meine Heimat ist Deutschland geworden, aber mein Herz bleibt syrisch, damaszenisch. Genauer gesagt, das christliche Viertel in Damaskus ist sehr verbunden mit meiner Kindheit. Das verändert sich nie. Je älter man wird, umso gültiger ist das, dass man zurückkehrt zur Kindheit. So ist mein Herz dann doch damaszenisch geblieben.
Sie sind vom Beruf promovierter Chemiker, sind aber im Verlauf ein Meister der deutschen Schriftstellerei geworden. Sie haben eine Vielzahl von Romanen, Hörspielen, Essays und Kinderbücher geschrieben, die in 30 verschiedenen Sprachen erschienen sind. Auch in arabischer Sprache?
Erst vor ein paar Jahren, seit dem ich grossen Erfolg habe, hat ein libanesischer Verlag den Mut gefunden, meine Bücher unzensiert zu veröffentlichen. Das war ja meine Bedingung: Es gab Anfragen von ägyptischen, jordanischen und marokkanischen Verlagen, aber die wollten alle zensieren. Ich bestand aber darauf, nicht zu zensieren. Jetzt hat ein libanesischer Verlag die Bücher unzensiert, insgesamt fünf Bücher, hintereinander herausgegeben. Pro zwei Jahre, ein Buch.
Herr Schami, Sie sprechen die Sprache von Jesus von Nazareth – natürlich in der modernen Form und Sie sind aramäischer Christ und gehören dieser Minderheit in Syrien an. Auf Wunsch ihres Vaters, habe ich gelesen, sollten sie Pfarrer werden. Doch das Schicksal hatte für sie ein anderes Ziel vorgesehen. Sie sind nach dem Verlassen ihrer Heimat als Rafik Schami einer der erfolgreichsten Autoren der Gegenwartsliteratur geworden. Welche Grunderinnerung, im Herzen, haben Sie aus Syrien, dem 1001Nacht-Märchenland, nach Deutschland mitgenommen?
Viele eigentlich. Viele Erinnerungen und Anregungen begleiten mich, seitdem ich Damaskus verlassen habe. Sie müssen wissen: Das Kloster, das fast jesuitisch ausgerichtet ist, hat mir ein Geschenk gemacht: Nämlich das Lesen, obwohl ich die grossartige Bibliothek nie gesehen habe. Die Liebe zu Büchern habe ich nach Damaskus mitgebracht, nach drei Jahren schwerer Krankheit, der Meningitis, im Kloster. Von da an lernte ich die Kunst des mündlichen Erzählens. Das habe ich mitgebracht, das mündliche Erzählen eine grosse, feine Kunst ist, die in unserer Kultur verloren geht. Ich habe mir zur Aufgabe genommen, diese Kunst zu verteidigen. Das hat mir sehr viel Erfolg in Deutschland beschert, dass ich nicht vorlese wie die deutschen Autoren, sondern gehe auf die Bühne wie ein Schauspieler. Dort erzähle ich frei wie ein orientalischer Erzähler – ohne Kitsch. Ich erzähle alle meine Geschichten frei. Das hat mir Damaskus, die Bibliothek des Klosters geschenkt.
Sie sind ja auch berühmt wegen ihrer Vortragskunst. Sie lesen nicht nur vom Text, sondern sprechen frei. Ist das ein Naturtalent oder haben Sie diese Technik der natürlichen Wiedergabe Ihrer Gedanken und Werke angeeignet? Ich meine, schreiben Sie gut, weil Sie gut reden können oder reden Sie gut, weil Sie gut schreiben können?
Das ist eine wunderbare Frage. Eine gewisse Begabung muss sein. Es gibt Autoren, die sehr schüchtern sind, die können nicht erzählen oder haben eine schlechte Stimme oder ein schlechtes Gedächtnis. Sie sind aber geniale Autoren. Das mündliche Erzählen verlangt gutes Gedächtnis, viel Übung, Geduld und äusserst grosse Freundlichkeit. Ein Schriftsteller muss nicht freundlich sein, wenn er schreibt. Wenn er aber einem Publikum begegnet, muss er sehr freundliche sein, er muss das Publikum lieben. Das können viele Autoren nicht. Davon lebt die Kunst des mündlichen Erzählens. Ich hab erstmal das Zuhören geübt. Zuhören macht die Zunge weise, habe ich mal gesagt. Die Zunge wird weiser über das Ohr und nicht über das Auge – über das Zuhören. Ich habe von einem Profi-Erzähler in Damaskus gelernt, welche Tricks sie machen, welche Spannung sie aufbauen, damit sie philosophische und theologische, witzige Inhalte liefern – ohne das Publikum zu langweilen. Das habe ich gelernt, das ist ein Handwerk.
Vielen Dank, dass Sie uns dieses Geheimnis weitergeben. Ich merke, es handelt sich um eine Kunst, die man nicht einfach so aus dem Ärmel schütteln kann.
Sie sind ein offener Kritiker des Assad-Regimes. Leben Sie aus diesem Grund in Deutschland gefährlicher als andere Schriftstellerkollegen?
Vielleicht. Aber ich bin erstens in keiner Partei, zweitens bin ich gegen Gewalt und drittens bin ich ein vereinzelter Autor. Von daher stelle ich keine grosse Gefahr für das Regime dar. Die Regimegegner, die gejagt werden, sind mit anderen Ländern verbunden, die gegen das Regime sind – meinetwegen Saudi-Arabien oder Katar. Ich bin draussen, ich bin ein freier Schriftsteller, der die Würde und Freiheit des Menschen sowie die gute Behandlung von Kindern und Frauen verteidigt. Das gefährdet das Regime nicht. Ich bin nur gefährdet, Beschimpfungen zu bekommen. Die bekomme ich, ich bekomme leise Bedrohungen. Aber ich war noch nie in Lebensgefahr.
Was unterscheidet Hafiz al-Asad, vor dem Sie geflüchtet sind, vom derzeitigen Regime seines Sohnes Bashar al-Assad?
Als Bashar al-Assad 2001 die Macht übernahm, hat kurze Zeit eine Illusion geherrscht, er sei ein Reformer. Das war gelogen. Die brauchten nur die Zeit, um eine neue Generation an die Führung zu bringen. Die alte Garde musste mit dem Vater ganz friedlich ausscheiden, die war gefährlich. Von daher hatte er so die Nähe des Volkes gespielt sozusagen. Nach zwei Jahren hatte auch er wieder die Gefängnisse voll. Heute, wenn ein Herrscher – ob jung oder alt – mit schöner Frau, sein eigenes Volk mit Giftgas bewirft, hat er alle Grenzen überschritten. Da ist die deutsche Presse manchmal idiotisch. Die loben die Schönheit seiner Frau, als ob wir davon leben könnten.
Man sagt: Nichts wird sich in der arabischen Welt wirklich zum Besseren ändern, solange die Macht der Sippen und Clans nicht gebrochen ist. Wird man diesem Sippensystem jemals Herr werden können?
Eine sehr gute Frage, wieder. Das ist sehr schwer. Diese These vertrete ich in meinen Büchern, Essays und Vorträgen auch. Die Sippe zerstört uns. Sie war zwar die Rettung in der Wüste, weil man zusammenhält, das Brot gemeinsam teilt und einen starken Mann nachfolgt – in die Rettung oder das Verderben. Heute geht das nicht. Die Demokratie ist ein Werk der Mehrheit. Demokratie, mit allen ihren Schwierigkeiten, ist die Freiheit des Menschen. Das ist die neue Zivilisation. Die ist europäisch geprägt, ob das uns, den Asiaten oder Afrikanern gefällt. Der Grundsatz dieser Zivilisation lautet: Menschenrechte, das Individuum steht im Mittelpunkt und kann Erfindungen machen, streiten, Thesen stellen, und um die Wahrheit diskutieren. Das gibt es in der Sippe nicht: Die Sippe hat Loyalität, Sklaven-Gehorsam. Das geht in der Moderne nicht. Leider Gottes, sind die Machtzentren, die Geld haben – Katar, Saudi-Arabien und Bahrain -, die sind dafür, dass die Sippe steht. Wenn ein Land wagt, mit demokratische Strukturen die Sippe abzuschaffen, wird er bekämpft. Das ist auch ein Grund, warum die Opposition in Syrien verseucht durch diese Erdölgelder sind. Die Kämpfer gegen Assad sind nicht besser wie er – abgesehen vom Widerstand der Bevölkerung. Wenn jemand von Katar finanziert wird, verspreche ich mir keine Zukunft mit ihm.
Sie stehen der derzeitigen europäischen Flüchtlingspolitik eher skeptisch gegenüber: Selbstverständlich hätten Menschen aus Kriegsgebieten ein Recht auf Hilfe, sagen Sie. Die Grenzen seien aber unüberlegt geöffnet und später geschlossen worden. Europa bilde ein Bild des Chaos. Voller Bewunderung sehen sie dagegen die unermüdliche Arbeit zahlreicher Ehrenamtlicher für Flüchtlingshilfe. Was zählt in diesen Zeiten mehr: Barmherzigkeit, Freundschaft, Solidarität?
Es gab eine kurze Rede vom Kommissar für Flüchtlings- und Menschenrechtsfragen bei der UN. Bei der hat er knallhart gesagt: Es geht nicht um Liebe und Solidarität. Es geht um vielmehr, nämlich das Menschenrecht auf Schutz. Das primitive Recht eines Flüchtlings, geschützt zu werden. Dabei muss man weder die Grenzen fallen lassen, wie die Deutschen das gemacht haben, noch so chauvinistisch werden, dass man mit Stacheldraht gegenüber Kindern und Frauen reagiert. Ich denke, Barmherzigkeit und Solidarität sind Ideale und sogar ganz wunderbare. Aber man muss den Flüchtlingen auch zivilisiert und korrekt helfen und alles im Rahmen halten, sodass kein Chaos entsteht. Wo ist diese europäische Haltung? Es gibt 15 Haltungen. Da hätte man eine gemeinsame Haltung finden müssen. Da wäre dann auch den Flüchtlingen besser geholfen gewesen. Auch wenn das jetzt kalt und zurückweisend wirkt, aber dann hätte man eine gemeinsame Politik. Die Deutschen machen das, die Franzosen was anderes, die Italiener haben die grösste Belastung im Süden, die Griechen ersticken und die Länder im Norden schauen zu. Das ist Chaos. Meine Bitte ist: Halten wir die europäische Gemeinschaft aufrecht. Diese wunderbare Leistungen der EU sind nicht zu unterschätzten. Wir sollen wirklich das Menschenrecht auf Schutz in den Vordergrund stellen. Ich habe eine These vertreten, die vollkommen gescheitert ist: Wir sollen Druck auf die Golfstaaten ausüben, die keinen einzigen Flüchtling aufnehmen. Dass sie Gelder zur Verfügung stellen – und die Europäer können Druck ausüben, aber diesmal sind sie schwach.
Würden Sie uns ganz kurz Ihr Urteil über Papst Franziskus abgeben – es waren ja die Werte Barmherzigkeit und Solidarität, die dieser Papst den Menschen von heute ans Gewissen und Herz richtet?
Ich bewundere den Mut von Papst Franziskus und wünsche ihm, langsamen Erfolg. Ich halte nämlich von langsamen Erfolg viel mehr als von spontanen und grossem Erfolg, der dann zusammenbricht – ich bin für Evolution statt für Revolution, für langsame Schritte. Wenn wir diese Werte wieder in die Kirche zurückholen, die langsam verloren gegangen sind. Was er sagt, stimmt auch, dass die Kirche eine Organisation geworden ist. Er will sie zurück haben bei den Menschen, übertrieben gesagt: Zurück zu den Armen, wo sie hergekommen ist. Aber zurück zu den Menschen mit diesen Werten der Barmherzigkeit und der bedingungslosen Solidarität. Christus im Wort ist Solidarität, ist Liebe – sogar gegenüber dem Feind. Niemand vor Christus und niemand nach ihm hat das so auf den Punkt gebracht: Liebet Eure Feinde. Wir sollen zunächst einmal anfangen, unsere Brüder und Schwestern zu lieben. Deshalb kann ich die Golf Staaten nicht ausstehen: Die lassen ihre muslimischen Brüder und Schwestern ohne Hilfe. Das ist nicht nur anti-christlich, sondern auch anti-islamisch, denn: Der Prophet Mohammed hat gesagt „Helft Euch gegenseitig“. Das machen sie aber nicht. Papst Franziskus bringt das Allerschwerste in einer schweren Zeit der Isolierung und des Egoismus, des schnellen Wachstums und der Macht weniger Konzerne weltweit, er bringt es wieder zurück zu den Werten, den Einzelnen zu lieben, ihm zu helfen sein Schwächen zu verlieren. Das bewundere ich sehr.
Unter den zahlreichen Ehrungen, die Ihnen zuteil wurden, ist auch der Preis der ökumenischen Stiftung „Bibel und Kultur“. Überreicht wurde Ihnen die Auszeichnung von der deutschen Botschaftern beim Heiligen Stuhl, Annette Schavan. Was bedeutet Ihnen der Preis?
Sehr viel. Ich war sehr gerührt, ich hatte das nicht erwartet. Sie sollen wissen, dass die Bibel einer meiner Lehrerinnen zu Weisheit, zur Liebe an Menschen und zu wunderbaren Texte ist. Dann bekomme ich den Preis – das war ein einmaliges Erlebnis. Ich bin sehr stolz darauf.
Wie würden Sie sich selbst gegenüber den Hörerinnen und Hörern beschreiben?
Ich bin ein Urchrist, der gerne erzählt.
rv 16.07.2017 ap
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