Gegen die Intoleranz der Relativisten
Zu der Empörung über die Erklärung der Glaubenskongregation “Dominus Jesus”
Von Gerhard Ludwig Müller
(Professor für Dogmatik an der Katholisch- Theologischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München)
Inhalt
Schon damals…
Sind Pluralisten Katholiken moralisch überlegen?
Jesus -nicht Gott, sondern nur ein religiöses Genie?
Kirche oder kirchliche Gemeinschaft?
Dinge als gleich erklären, die nicht gleich sind?
Schon damals…
Als Stephanus, der erste Märtyrer, sich zu Jesus dem Christus bekannte, stürmten seine Feinde auf ihn los, schleppten ihn vor die Stadt hinaus und steinigten ihn. Sie konnten es nicht ertragen, dass der Heilsweg Gottes mit seinem Volk in Jesus von Nazaret an sein Ziel gekommen sein sollte (Apg 7, 55f). Nur wer in seinem Wort bleibt, ist wirklich sein Jünger, der wird die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird ihn frei machen (Joh 8, 31f.). Doch weh’ dem, der Gottes Wort beim Wort nimmt. In der liberalen Gesellschaft, in der herrschaftsfreier Diskurs angesagt ist, wird ihm das Wort verboten. Empörung ist das unfehlbare Mittel, um den Glaubenden an den Pranger der Mediengesellschaft zu stellen.
Schon seit den ersten Tagen der Kirche wollten die Herren des Hohen Rates das Bekenntnis der Apostel zu Jesus als dem einzigen Retter und Heilsmittler um keinen Preis tolerieren. Mit Strafen und Verfolgung bedrohten sie jeden, der das urkirchliche Bekenntnis wiederholte: “In keinem anderen Namen ist das Heil zu finden. Denn es ist uns Menschen kein anderer Name unter dem Himmel gegeben, durch den wir gerettet werden sollen” (Apg 4, 12). Das Ritual ist das gleiche geblieben. Empört reagierten auch die Hohenpriester des öffentlichen Meinungskartells auf die lehramtliche Bestätigung des christlichen Glaubens an Jesus, den einzigen Mittler zwischen Gott und den Menschen (1 Tim 2, 5), und die Einheit und Einzigkeit der Kirche.
Die Erklärung der Glaubenskongregation richtet sich gegen die so genannte “pluralistische Religionstheologie“, die nichts anderes ist als die Zerstörung des Christentums von seinen Wurzeln her. Ihre Vertreter behaupten, dass Frieden zwischen den Religionen nur möglich sei, wenn sich alle als gleichberechtigter Ausdruck einer allgemeinen Erfahrung des göttlichen Weltgrundes anerkennen. Um dafür den Weg frei zu machen, müssten Christen nur aufgeben, was zum Wesen ihres Glaubens gehört: das Bekenntnis zur Selbstoffenbarung des dreifaltigen Gottes, den Glauben an die Fleischwerdung des ewigen Wortes Gottes in Jesus von Nazaret, und, daraus folgend, die Einzigkeit und Universalität der Heilsmittlerschaft Christi. Nach dem Verständnis der Religionspluralisten ist Jesus Begründer einer spezifisch abendländischen Ausprägung der allgemeinmenschlichen religiösen Veranlagung. Mit dieser Reduktion Jesu auf ein religiöses Genie will man zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Die Offenbarung Gottes in Christus steht dann nämlich weder der “grossen Ökumene”, das heisst der Einheit aller : religiösen Menschen in einer gemeinsamen Weltreligion, im Weg, noch der “kleinen Ökumene”, der Gemeinschaft aller Christen.
Sind Pluralisten Katholiken moralisch überlegen?
Die Religions- und Kirchenpluralisten agieren aus dem Gefühl einer moralischen Überlegenheit heraus. Sie präsentieren sich als die Wahrer des hohen Wertes der Toleranz gegenüber dem fanatischen Überlegenheitsanspruch der katholischen Kirche, der zwangsläufig Gewissenszwang und missionarischen Imperialismus hervorbringe. Auch geistig fühlen sie sich denen, die sich zur Einzigkeit Christi bekennen, weit überlegen. Wenn doch Gott ganz anders sei -und hier berufen sie sich (zu Unrecht) auf die Tradition negativer Theologie und christlicher Mystik -, als wir es uns vorstellen, dann könne doch keine menschliche Aussage über Gott beanspruchen, die allein richtige zu sein. Viel vernünftiger wäre es doch, alle menschliche Aussagen über Gott ” (auch dann, wenn sie einander diametral entgegengesetzt sind!) als die begrenzten Spiegelungen eines unendlichen Lichtes anzusehen, das die Herzen der Menschen wärmt und verbindet. Da der Mensch prinzipiell unfähig sei, den göttlichen Weltgrund zu erkennen (gleich ob er sich ihn als eine, drei oder mehrere Personen oder als namenlosen Urgrund jenseits aller personalen Züge vorstellt), sei der Skeptizismus gegenüber allen Offenbarungsaussagen die vernünftige und allein anständige Haltung.
In diesem Zusammenhang wird die so genannte “Ringparabel”, der Gotthold Ephraim Lessing in seinem “Nathan der Weise” zu grosser Popularität verholfen hat, wie ein geheimes Evangelium ausgegeben. Der wahre Ring, den der Fürst einem seiner drei Söhne zu geben sich nicht entscheiden konnte und von dem er daher zwei dem Original vollkommen gleichende Kopien anfertigen lässt, ist durch kein Kriterium unterscheidbar. Der Anspruch jedes der drei Söhne auf das wahre Erbe erweist sich als verkappte Selbstliebe und ungerechtfertigter Überlegenheitsanspruch. Zum Schluss soll herauskommen, dass alle drei Ringe nur Kopien sind, und der wahre Ring vorher schon verloren gegangen ist.
Dieses “Hohelied” der Toleranz ist in Wahrheit das Manifest des Skeptizismus, der sich erkenntnistheoretisch als Relativismus gegenüber der Wahrheitsfrage äussert. Diese Theorie führt zwangsläufig dazu, entweder die Religion auf ihre Funktion als moralischer Kitt der Gesellschaft und zum Ort esoterischer Jenseitserlebnisse zu beschränken, oder zur Religionskritik bis hin zum militanten Atheismus. Eine plausible Erklärung des (angeblich bloss scheinbaren) Gegensatzes von Judentum, Christentum und Islam wie auch der anderen religiösen Grundüberzeugungen in der Wahrheitsfrage bietet die Ringparabel nur dem, der die erkenntnistheoretischen Implikationen des Relativismus nicht durchschaut, den Lessing als selbstverständlich voraussetzt, ohne ihn zu begründen. Wenn er am Ende im Gestus der Bescheidenheit dem ewigen Vater im Himmel allein den Zugang zur Wahrheit zugesteht, dann ist dies nur die Vortäuschung kreatürlicher Demut, weil hier definitiv und absolut Gott die Möglichkeit abgesprochen wird, sich dem Menschen verständlich zu machen.
Der Relativismus, der sich als Voraussetzung von Toleranz und friedlichem Zusammenleben der Menschen ins Szene setzt, ist nichts weiter als Tarnung der Arroganz der Kreatur, die ihre Begründung durch Gott und ihre definitive Ausrichtung auf Gott als Wahrheit und Leben für alle Menschen negiert. Ein solcher Relativismus sagt: um ein gerechtes Zusammenleben der Menschen zu ermöglichen und um die im Verstand und Herzen jedes Menschen schwelende Sehnsucht nach Wahrheit und Liebe zu erfüllen, brauchen wir keinen Gott, der zu uns spricht und der gar in der Menschwerdung dieses Wortes in Jesus Christus den Weg unseres Lebens mit uns geht. Dem Hörer der Ringparabel wird unter der Tarnkappe der Toleranz eine totalitäre Religionstheorie untergejubelt. Es wird ihm suggeriert, er sei geheimer Zeuge eines tatsächlichen Vorgangs im Himmel, so dass er aus der Perspektive Gottes die Selbsttäuschung des Wahrheitsanspruchs der drei Weltreligionen durchschauen kann, während Lessing doch zugleich betont, dass wir von Gottes Wahrheit eigentlich nichts wissen können. Sollte er der einzige Mensch gewesen sein, dem Gott in einer geheimen Offenbarung doch den Zugang zu seinem Innersten gewährt hat? Die zwischenmenschliche Toleranz wird damit durch eine bis zum äussersten gesteigerte Intoleranz gegenüber Gott erkauft und zugleich verspielt. Denn niemand hat sich autoritärer gezeigt als der relativistische Liberalismus des neunzehnten Jahrhunderts mit seinem antikirchlichen Furor. Keine andere Bewegung war je menschenfeindlicher als der Atheismus des zwanzigsten Jahrhunderts, wo im Namen der Befreiung des Menschen von Gott und seinen angeblich menschenfeindlichen Geboten, die sich die Kirchenleute nur ausgedacht hätten, Millionen von Menschen wegen ihres Glaubens an die Offenbarung Gottes verfolgt und ermordet wurden.
Der Relativismus fusst auf der Intoleranz gegenüber Gott. Toleranz kommt vom lateinischen tolerare, das heisst ertragen und sich vertragen. Der Liberalismus mag es nicht ertragen, dass Gott sich dem Menschen offenbart und dass das endgültige Heil des Menschen vom Glauben an das konkret an ihn ergangene Wort und von der Nachfolge Jesu Christi abhängen soll. Wer aber tolerant ist gegenüber Gottes Wort, das sich an uns richtet und uns in unserer ganzen geistigen und moralischen Existenz in Anspruch nimmt (das heisst wer letztlich sein Kreuz trägt und es mit Jesus erträgt), der wird nicht unversöhnlich und intolerant gegenüber den Mitmenschen. Der Christ ist nicht im Besitz der Wahrheit, über die er verfügt. Er ist der Wahrheit Gottes als Zeuge verpflichtet bis zum Einsatz seines Lebens. Er hat das ewige Heil nicht als Garantieschein in der Tasche. Er ist gefährdeter in seinem Heilsweg als der Nichtchrist, denn wem viel gegeben wurde, von dem wird umso mehr zurückverlangt. Der christliche Missionar zieht nicht in die Welt, um zu unterjochen und auszubeuten, sondern um anderen Menschen durch die Liebe zu dienen. Er sieht sich in die Sendung Christi vom Vater her zu den Menschen hin einbezogen. Er kann als Zeuge der Wahrheit nur Botschafter Christi sein, der gekommen ist, um den Menschen die Versöhnung mit Gott und untereinander anzubieten.
Er rechnet auch damit, dass nicht alle bereit sind, diese Botschaft von der Versöhnung anzunehmen, dass er wie Stephanus Empörung, oder wie Paulus auf dem Areopag Gelächter auf sich ziehen wird, wenn er davon spricht, dass Gott sein ewiges Wort und seine Wahrheit in die ärgerliche Konkretheit eines einzelnen Menschen in Palästina zur Zeit der Kaiser Augustus und Tiberius inkarniert hat und dass man nur durch diese kleine Pforte dieses einzelnen Menschen in die unendlichen Weiten des Himmels religiöser Erfahrungen gelangt. Wer Gottes ewige Wahrheit in der geschichtlichen Wahrheit Jesu von Nazaret toleriert, der wird auch die Intoleranz der Relativisten gegenüber Gott ertragen und dies in der Nachfolge Christi als Zeugnis der Treue Gottes verstehen, die grösser ist als die Untreue und der Widerstand der Menschen.
Jesus – nicht Gott, sondern nur ein religiöses Genie?
Gott hat diese geschichtliche Konkretheit in seinem fleischgewordenen Wort angenommen, nicht um eine Religion auf Kosten der anderen zu verabsolutieren, sondern um alle Religionen, die nichts anderes sind als die Manifestation der Gottgerichtetheit des Menschen, zu ihrem Ziel zu bringen: der realen Begegnung des Menschen mit Gott, die gemäss der leibhaftigen und sozialen Natur des Menschen sich nicht jenseits von Raum und Zeit, sondern gerade in ihr ereignen soll. Die Religions-pluralisten christlicher Provenienz wollen nur eine allgemeine, mit der Schöpfung gegebene Offenbarung Gottes anerkennen. Offenbarung sei also nichts weiter als ein Innewerden der Allgegenwart und Allwirksamkeit Gottes in jedem Menschen.
In diesem Sinn verstehen sie die historisch existierenden Religionen als die kultur- und geschichtsbedingten Ausformungen der Erfahrung der Gegenwart des Göttlichen in den Herzen der Menschen. Das schliesse nicht aus, so wird behauptet, dass einzelne religiöse Genies diese Gegenwart in besonders intensiver Weise erfassen und gestalterisch ganze Kulturräume und Epochen prägen, so wie die meisten Menschen zwar musikalisch sind, aber ihre Musikalität nur mit Hilfe von genialen Komponisten auszudrücken vermögen. Aber niemand käme auf die Idee, dass Mozart allein und universal die Inkarnation der Musik ist. Die Religionspluralisten interpretieren demnach Jesus als einen der bedeutendsten Kompositeure der religiösen Erfahrung Gottes, der aber andere Religionsstifter wie Mohammed, Buddha, Konfuzius und so weiter ebensowenig ausschliesst oder überragt, wie Mozart einen Bach oder Beethoven aussticht. Es bleibt letztlich dem einzelnen Menschen überlassen, wohin er seinen religiösen oder musikalischen Geschmack ausrichtet, im monotonen Einerlei einer Richtung oder im bunten Potpourri der “schönsten Melodien” (das heisst im Patchwork der besten Einsichten und Erfahrungen aus allen Religionen).
Im Unterschied zu diesem Ansatz geht der christliche Glaube davon aus, dass das Wort “Gott” nicht eine Chiffre oder die Projektionsfläche menschlicher Entwürfe ist, sondern dass Gott personale und relationale Wirklichkeit ist. Gott, der den Menschen als eine zum Denken, Wollen, Handeln und Empfinden fähige Person geschaffen hat, spricht den Menschen an und begegnet ihm aus der Freiheit seiner Liebe konkret in der Geschichte, indem sein ewiges Wort in Jesus von Nazaret tatsächlich unser Menschsein angenommen hat. Durch die Inkarnation und die untrennbar damit verbundene Ausgiessung des Geistes des Vaters und des Sohnes kennen wir das Geheimnis der Liebe Gottes in der Gerneinschaft der drei göttlichen Personen, in die wir hineingestellt sind und dessen Liebe uns erfüllt. Wir sind also nicht mehr wie Schiffbrüchige, denen nur kurz die Illusion der Rettung aufsteigt, wenn sich von fern ein Schiff zeigt, das ihre Rettung hätte sein können. Die Illusion hat dann nur die Funktion, noch ein bisschen ums Überleben zu kämpfen, dem Tod noch etwas Zeit abzutrotzen, ihm aber umso sicherer doch zu erliegen. Nein, dass Gott in Jesus Christus tatsächlich Mensch geworden ist, bedeutet, dass das rettende Schiff herangekommen ist und ein Boot ausgesetzt hat, das uns aufnimmt. Der Glaube an Christus zerstört nicht die Gottessehnsucht und die Erfahrung der Unbedingtheit des sittlichen Verhaltens, sondern bietet der Religiosität und Sittlichkeit, die zur geistigen Natur des Menschen gehören, eine sichere Orientierung und einen festen Halt, so wie sich die Hoffnung auf Rettung bei der Aufnahme in das Rettungsboot nicht zerschlägt, sondern erfüllt.
Nur wenn man anerkennt, dass das christliche Bekenntnis zu Jesus, dem Mensch gewordenen ewigen Sohn Gottes, nicht eine gedankliche religiöse Konfiguration ist, sondern die Anerkenntnis eines Handeins Gottes in der Geschichte zugunsten aller Menschen, kann man die universale Ausrichtung des kirchlichen Zeugnisses verstehen. Weltmission ist nicht Weltherrschaft, sondern Weltdienst.
Kann die Kirche in Christus Mittlerin des Heils sein?
Gott hat sich in Christus selbst der Menschen angenommen, und darum nimmt er Menschen in den Dienst, um die Einheit aller mit Gott und die Einheit der Menschheit zu ermöglichen und so sein Reich in der Geschichte aufzubauen und der Vollendung entgegen zu führen. In diesem Sinn ist die Kirche in allen ihren Gliedern und besonders den Aposteln und ihren Nachfolgern im Bischofsamt zusammen mit den Priestern und Diakonen Vermittlerin des universalen Heils in Christus, der im Heiligen Geist ihre Verkündigung und ihr heilsvermittelndes Handeln begleitet und wirksam macht. Als “Diener seines Heilsplans und Erbauer des Hauses Gottes” (vgl. 1 Kor 4, 1) handeln die Apostel nicht als Mittler neben Christus. Vielmehr ist die Kirche “in ~ Christus Zeichen und Werkzeug” seiner einzigen, vollen und universalen Vermittlung der Einheit der Menschen mit Gott und untereinander (Lumen gentium 1).
Wenn in den nichtchristlichen Religionen Elemente der Wahrheit und des Heils anerkannt werden, so handelt es sich nicht um Teile der geschichtlichen Offenbarung Gottes in Christus. Dies würde Christus zu einem Teiloffenbarer machen. Vielmehr erweisen sich die nichtchristlichen Religionen als Ausdruck der von Gottes zuvorkommender Gnade angestossenen menschlichen Dynamik und Selbsttranszendenz, die auf den konkreten Menschen Jesus von Nazaret und seine geschichtlich greifbare Gegenwart in seiner Kirche hindrängt. Die Religionen in ihren positiven Funktionen für die Wahrheits- und Heilssuche ihrer Anhänger bilden gleichsam die natürliche Voraussetzung des übernatürlichen Glaubensaktes an Gott in Christus. Selbstverständlich gibt es in allen Religionen nichthypothetische Überzeugungen. Christentum und Religionen treffen sich nicht auf der Ebene des Indifferentismus, das heißt der scheinbar SO toleranten Haltung, dass alles gleich gültig, im letzten aber eben gleichgültig ist.
Was Christentum und den Religionen gemeinsam ist, ist die strikte Ablehnung des Indifferentismus als gleichgültig gegenüber der Wahrheit Gottes. Der christliche Glaube versteht sich freilich nicht als Produkt menschlicher Einsicht, sondern als ein vom Heiligen Geist ermöglichter geistiger Vollzug des Menschen, durch die ihm zuallererst die Identität des Menschen Jesus mit dem absoluten Heilsbringer von Gott her aufgeht: “Niemand kann sagen: Jesus ist der Herr, Gott, ausser durch die Präsenz des Heiligen Geistes” (1 Kor 12,3).
In einem bestimmten Sinn kann auch eine Vermittlerfunktion von Religionsstiftern oder religiösen Schriften und Persönlichkeiten in anderen Religionen anerkannt werden. Sie sind freilich nicht wie Jesus Christus (und die Kirche in ihm) Mittler von Gott her auf die Menschen hin, sondern sie können zu Mittlern auf Gott hin werden, wenn sie auf ihn hin verweisen und ihn nicht verdecken. Denn kein Mensch, sei er religiös noch so genial, kann von sich aus beanspruchen, seine Mitmenschen zu Gott und zur Wahrheit zu vermitteln. Er kann nur die Menschen in die Erwartungshaltung gegenüber dem freien Handeln Gottes einüben. Christen glauben an Jesus als den universalen Mittler nicht deshalb, weil sie in ihm besonders deutlich ihre religiösen Gedanken und Wünsche auf den unbekannten Gott jenseits aller menschlichen Denkbarkeiten hin ausgedrückt sehen, sondern weil Gott ihn in der Auferstehung von den Toten als den endzeitlichen Mittler der Gottesherrschaft, die er verkündigt und verwirklicht hat, bestätigte. Er ist nicht ein Mittler, der sich zur Einheit mit Gott aufgeschwungen hat, sondern das Wort, das bei Gott war und das Gott ist, das unser Fleisch angenommen hat, damit wir alle von seiner Fülle empfangen (Joh 1, 14.18). Die Universalität und Einzigkeit der Heilsmittlerschaft des Menschen Jesus von Nazaret hat ihren Grund in der göttlichen Natur des ewigen Wortes oder Sohnes Gottes, der die menschliche Natur Jesu angenommen und sie zum Medium der Selbstmitteilung Got- tes als Wahrheit und Leben eines jeden Menschen gemacht hat.
Vom universalen Heilswillen Gottes wissen wir aus dieser geschichtlichen Selbstoffenbarung Gottes. Der universale Heilswille Gottes ist ebenso Gegenstand des Glaubens wie die universale Heilsmittlerschaft Christi. Man kann darum nicht, wie es die Religionspluralisten tun, den universalen Heilswillen aus einem allgemein religiösen Gottesbegriff ableiten und ihn dann als Idee verabsolutieren, andererseits aber die Heilsmittlerschaft Christi als bloss zufälliges geschichtliches Ereignis relativieren. Sie stellen sich das Verhältnis von Gott und Welt vor wie das quantitativ Ganze, das niemals ein quantitativ gedachter Teil an ihm selbst werden könne. Sie stellen sich die menschliche Natur Jesu wie ein begrenztes Gefäss vor, das den Ozean des Göttlichen nie ausschöpfen könne. Vom Wasser dieses Ozeans sei Jesus ganz erfüllt, was aber nicht ausschliesst, dass der Ozean mit seinem Wasser auch andere religiöse Genies erfüllen könne.
In Wirklichkeit besteht die Grösse Gottes gerade darin, dass er das tun kann, was Menschen ihm nicht zumuten wollen. In der Inkarnation wird Gott nicht ein Teil der Welt, sondern er verbindet sich so mit dem menschlichen Mittler, dass Inhalt und Medium ungetrennt und unvermischt eine Einheit bilden. Gott als Mensch, der Allmächtige in der Ohnmacht des Kreuzes, das war zu allen Zeiten für die Skeptiker, die zur grösseren Ehre Gottes die menschliche Erkenntnis beschränken wollten, und für alle vernunftsstolzen Aufklärer Anlass zu Empörung und Spott, “für die Berufenen aber, Juden wie Griechen”, ist Christus “Gottes Kraft und Gottes Weisheit” (1 Kor 1, 24). Schon im zweiten Jahrhundert hat der heidnische Philosoph Kelsos einen ,… Grundsatz formuliert, der sich im Repertoire aller Kritiker der geschichtlichen Selbstoffenbarung Gottes findet, dass die Erhabenheit eines von allen menschlichen Vorstellungen gereinigten Gottesbegriffes eine Inkarnation niemals zulasse. Wie könnte sich Gott in den Schmutz und das Elend unseres verweslichen Fleisches hineinbegeben? Muss ein wirklich religiöser Mensch sich nicht aus dem Unrat dieser vergänglichen Welt erheben und bei den ewigen Ideen jenseits des Weltgetriebes eins mit Seinesgleichen seinen Frieden finden?
Kelsos mit seinen Jüngern hat Recht, dass sich die Inkarnation und die universale Heilsmittlerschaft eines konkreten Menschen nicht aus dem Gottesbegriff der Philosophie ableiten lassen. Wenn man aber mit dem auch philosophisch erreichbaren Verständnis ernst macht, dass Gott nicht am menschlichen Denken und Handeln seine Grenze finden kann, dann kann man im Glauben das Ereignis annehmen und bekennen, dass Gott sich in seiner geschichtlichen Selbstoffenbarung so mit dem Menschen Jesus von Nazaret verbunden hat, dass Jesus als Mensch durch die göttliche Person des Wortes existiert, handelt und mit uns ist.
Warum nur eine einzige sichtbare Kirche?
Da Gott der eine Schöpfer der einen Menschheit ist, existieren die verschiedenen Völker und Kulturen nicht als absolute Entitäten in völliger Abgegrenztheit nebeneinander her, so dass er sich zum Vollzug der geschichtlichen Offenbarung mehrmals inkarnieren müsste und mehrere Heilsmittler zu konstituieren hätte. Mehrere Heilsmittler bedeuteten die Zerstörung der Einheit der Menschheit. Mehrere Heilsmittler könnten die Menschheit nicht auf Gott hin vereinen, weil sie den einen Gott in mehrere Gottesbilder aufsplittern und letztlich zum klassischen Polytheismus verführen würden. Es ist nur ein Gott und Vater aller Menschen, ein Herr und Geist, und darum gibt es nur einen Mittler zwischen Gott und den Menschen. Und es gibt nur die eine Menschheit, die er zur vollen Einheit in der Liebe hinführt durch seine universale Heilsvermittlung, die von seiner Kirche geschichtlich ausgeführt wird.
Die Kirche repräsentiert als der eine und ungeteilte Leib Christi die Einheit des dreifaltigen Gottes, und darum ist sie die Zusammenfassung und sichtbare Darstellung der universalen Berufung aller Menschen und der Hoffnung aller auf Gott, der über allem und durch alles und in allen ist (vgl. Eph 4, 4). Die Kirche kann nur als eine und einzige existieren, weil sie Zeichen und Werkzeug des universalen, Gemeinschaft stiftenden Mittlerturns Christi ist. Diese Einheit der Kirche ist nicht vom Einheitswillen der Menschen gestiftet. Sie hat eine gottgegebene Grundlage, das Sakrament der Taufe. Weil es nur eine Taufe gibt, kann es auch nur eine Kirche geben. Weil Christus das eine Haupt der Kirche ist, kann auch die Kirche nur sein einziger Leib sein. “Ist denn Christus zerteilt?” (1 Kor 1, 13), fragt Paulus die streitsüchtigen und zu Spaltungen neigenden Korinther. Wurde etwa Paulus, Petrus oder Apollos für uns ans Kreuz geschlagen oder sind wir auf den Namen irgendeines Menschen getauft worden?
Darum ergibt sich aus dem Bekenntnis zur Einzigkeit Christi und zu seiner Heilsuniversalität das Bekenntnis zur Einzigkeit und universalen Heilssendung der Kirche. Menschen können die Einheit der Kirche ebensowenig stiften wie zerstören. Wenn die Kirche also eine Wirklichkeit ist, die aus dem Heilsmysterium der universalen Heilsmittlerschaft Christi hervorgeht und ihr dient, dann kann sie sich durch Spaltungen in der Christenheit nicht selbst in Teile auflösen, so dass dann die Zusammensetzung der Scherben des zerbrochenen Kruges wieder den ganzen Krug ergäbe.
Kirche oder kirchliche Gemeinschaft?
Der eigentliche Unterschied zwischen katholischem und protestantischem Kirchenverständnis wird in der Frage deutlich, was notwendig zur Einheit der Kirche gehört und wie sie sich darstellt. Nach evangelischer Meinung ist die Kirche als unsichtbare Gemeinschaft aller Glaubenden in der Liebe trotz aller sichtbaren Spaltungen bestehen geblieben. Wahre Kirche Christi gibt es in allen sichtbaren kirchlichen Gemeinschaften (sogar unter dem Papsttum, wie man zur Reformationszeit zu sagen pflegte), wo und wenn nur das Wort Gottes recht verkündet wird und Menschen zum Glauben kommen, der allein rechtfertigt. Es gibt nur Kriterien, woran man erkennen kann, ob die eigentlich unsichtbare Kirche manifest wird.
Im Gegensatz zu der öffentlichen Aufregung um die Frage, ob die Erklärung “Christus Jesus” den Protestanten das eigentliche Kirchesein abspricht, ergibt sich bei genauer Analyse des unterschiedlichen Kirchenverständnisses folgender Befund: Nach evangelischem Verständnis kann keine historisch existierende Konfession sich schlichtweg als Kirche bezeichnen. Es gibt nur kirchliche Gemeinschaften, die alle eine Teilhabe an der einzigen, allerdings unsichtbaren Kirche sind. Die katholische Kirche ist nach originär evangelischem Verständnis nicht die Kirche im eigentlichen Sinn, sondern nur eine kirchliche Gemeinschaft unter anderen. Nach katholischem Verständnis jedoch sind die evangelischen Konfessionen trotz der sichtbaren Getrenntheit von ihr kirchliche Gemeinschaften und auf die Gemeinschaft mit der sichtbar einen Kirche hingeordnet, an der sie schon aufgrund der Taufe real Anteil haben.
Kirchengemeinschaft ist darum möglich auch bei entgegenstehenden lehrmässigen Ausformulierung des Glaubensbekenntnisses und bei anderer Grundverfassung der Kirche in ihrer sichtbaren Gestalt.
Der katholische Glaube geht aber von der untrennbaren Einheit der Kirche aus als unsichtbarer Gemeinschaft aller Glaubenden wie als sichtbarer Gemeinschaft in der Lehre der Apostel, in der Liturgie und der apostolisch legitimierten Autorität der Bischöfe. Kirche wird also nicht nur da und dort am Glauben an das verkündigte Wort und an der Versammlung dieser wahrhaft Gläubigen erkannt. Kirche ist eine kontinuierlich existierende und mit sich identisch bleibende sichtbare Körperschaft, die historisch auf Christus und die Apostel zurückgeht und die durch das Wirken des erhöhten Herrn im Heiligen Geist immer von Gott selbst auf der Spur ihrer Sendung gehalten wird. Menschen können den Zug der Kirche nicht zum Entgleisen bringen. Die Einsicht, dass die Kirche nicht nur ein Ort der Versammlung von Glaubenden ist, die das Wort Gott als Gericht und Gnade hören, sondern dass die Kirche selbst Sakrament ist, durch das Christus seine universale Heilsmittlerschaft gegenüber der ganzen Menschheit ausübt, die Kirche in Christus also in der Tat Heilsmittlerin ist, ergibt sich aus der Inkarnation. Wenn die Heilige Schrift die Kirche Leib oder Braut Christi, Tempel des Heiligen Geistes und Haus und Volk Gottes nennt, kann es die sichtbar getrennten Christengemeinschaften nicht alle im gleichen Sinne als Kirchen bezeichnen, weil es sonst viele Leiber, Bräute, Tempel, Häuser und Völker Gottes geben müsste. Die eine Kirche Christi ist auch in ihrer sichtbaren Gestalt als die eine und einzige Kirche sichtbar geblieben.
Die Kirche als eine und katholische, das heisst als Repräsentantin des alle vereinenden und universalen (griechisch: katholischen) Heilswillens Gottes in Jesus Christus, ist nach einem Wort des Märtyrerbischofs Ignatius von Antiochien (gest. um 110 n.Chr.) da, wo der Bischof ist. Und nur wo die Eucharistie in Einheit mit dem Bischof gefeiert wird, dort ist die Eucharistie gültig, das heisst dort wird die Einheit und Gemeinschaft mit Christus konkret und sichtbar (Brief an die Smyrnäer, 8,1f.). Zusammen mit dem Prinzip der unbedingten Bindung an die Heilige Schrift als zentraler Norm des Glaubens und an die Apostolische Überlieferung des Glaubens und Betens der Kirche hat vor allem Irenäus von Lyon gegenüber der Berufung auf private Gotteserfahrungen das Prinzip der Apostolizität der Kirche formuliert, das in der apostolischen Nachfolge der Bischöfe in Gemeinschaft mit dem Nachfolger Petri in Rom als Kriterium der vollen Kirchlichkeit der Kirche dient.
Wenn darum in der gesamten Lehrverkündigung der Kirche seit jeher und jetzt auch in der Erklärung “Dominus Jesus” nur den kirchlichen Gemeinschaften das volle Prädikat Kirche zugestanden wird, die unter anderem gerade auch die apostolische Sukzession des Episkopates bewahrt haben, geht es nicht um eine Bewertung des persönlichen Glaubens der evangelischen Christen. Es geht aber um die Bezeichnung der Tatsache, dass zwischen evangelischem und katholischem Christentum das Verständnis von Kirche die eigentliche Differenz bildet und darum aus dem ökumenischen Dialog nicht ausgeklammert oder verschämt verschwiegen werden darf, sondern gerade umgekehrt zum Gegenstand einer profunden Diskussion werden muss. Es kann aber der katholischen Kirche nicht das Recht bestritten werden, ihr eigenes Verständnis von Kirche und damit auch ihr Verhältnis zu den Kirchen und Gemeinschaften ausserhalb ihrer selbst zu formulieren. Das bedeutet keineswegs eine Aufgabe des ökumenischen Ziels einer versöhnten Verschiedenheit.
Wenn darum in der gesamten Lehrverkündigung der Kirche seit jeher und jetzt auch in der Erklärung “Dominus Jesus” nur den kirchlichen Gemeinschaften das volle Prädikat Kirche zugestanden wird, die unter anderem gerade auch die apostolische Sukzession des Episkopates bewahrt haben, geht es nicht um eine Bewertung des persönlichen Glaubens der evangelischen Christen. Es geht aber um die Bezeichnung der Tatsache, dass zwischen evangelischem und katholischem Christentum das Verständnis von Kirche die eigentliche Differenz bildet und darum aus dem ökumenischen Dialog nicht ausgeklammert oder verschämt verschwiegen werden darf, sondern gerade umgekehrt zum Gegenstand einer profunden Diskussion werden muss. Es kann aber der katholischen Kirche nicht das Recht bestritten werden, ihr eigenes Verständnis von Kirche und damit auch ihr Verhältnis zu den Kirchen und Gemeinschaften außerhalb ihrer selbst zu formmulieren.
Das bedeutet keineswegs eine Aufgabe des ökumenischen Ziels einer versöhnten Verschiedenheit. Es muss gerade die Frage gestellt werden, ob eine Versöhnung in der Wurzel (reconciliatio in radice) möglich ist, sonst bliebe es nur bei einer Addition von Verschiedenem und Entgegengesetztem. Dies wäre alles andere als ein Zeugnis der Einheit der Christen im Glauben und in der Gottesverehrung. Man kann die abgeschnittenen Blumen zu einem schönen bunten Strauss flechten, aber nach einer gewissen Zeit verwelkt der Blumenstrauss oder er wird zu Stroh. Die Aufgabe besteht darin, in der einen Wurzel wieder zusammenzukommen. Die evangelischen Kirchen konnten nicht erwarten, dass die katholische Kirche mit dem Modell der versöhnten Verschiedenheit die Grundvoraussetzungen einer protestantischen Ekklesiologie übernimmt und sich wie eine Art Teilkirche in die von der reformatorischen Theologie formulierte Verhältnisbestimmung von sichtbarer und unsichtbarer Kirche einordnet und sich somit in eine Art evangelischer Kirche mit hochkirchlichen Traditionen verwandelt.
Dinge als gleich erklären, die nicht gleich sind?
Kritisiert werden muss auch die Redewendung von der Anerkennung oder Nichtanerkennung von evangelischen Gemeinschaften als Kirche und ihrer Amter durch die katholische Kirche. Die evangelischen Gemeinschaften mit ihren Amtern können ihre Legitimität doch nicht von einer Anerkennung durch das katholische Lehramt der Bischöfe und des Papstes erwarten, das sie nur als kirchliche Instanz menschlichen Rechtes anerkennen. Vielmehr müssen sie sich von ihren eigenen Voraussetzungen her in ihrer Kirchlichkeit und der Legitimitat ihrer Amter ausweisen. Es ist einfach widersprüchlich, die Anerkennung der Gleichheit des Pastorenamtes mit dem katholischen Priesteramt zu verlangen und zugleich die Grundidee der sakramental legitimierten Repräsentanz Christi als Priester und Mittler im katholischen Priester als unvereinbar mit dem Neuen Testament zurückzuweisen.
Das Prinzip des ökumenischen Dialogs von gleich zu gleich kann nicht bedeuten, dass man Dinge, die nicht gleich sind, türgleich erklärt, sondern indem man in wechselseitiger Voraussetzung des Wahrheitsgewissens beider Seiten versucht, den anderen zu verstehen und aus gemeinsamen Überzeugungen heraus zu ermitteln, ob nicht doch ein gemeinsames Grundverständnis formuliert werden kann, das die tieferen Intentionen beider Richtungen in einer Konvergenz zum Tragen bringt. Am Ende darf nicht ein Partner des ökumenischen Gesprächs als Besiegter den Raum verlassen, sondern beide müssen bereichert durch die Kritik und Ergänzung sich im Verständnis des Wortes Gottes zusammenfinden und diese Einheit sichtbar nach innen und aussen bezeugen.
Quelle: “Die Tagespost”, 9. September 2000, S. 3
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