Ohne übernatürlichen Blick ist die Kirche nur noch ein wohltätiger Verein

Impuls zum 7. Sonntag im Jahreskreis A — 19. Februar 2017

17. februarZenit.org, 17. Febraur 2017, Peter von Steinitz

Am heutigen 7. Sonntag im Jahreskreis setzt Jesus seine so typischen Sentenzen fort, die jeweils mit den Worten beginnen: “Ihr habt gehört, dass gesagt worden ist,…” und die dann fortfahren: “Ich aber sage euch…”

Zunächst eine sehr eingängige Art und Weise, die Tradition in der Lehre und in der Moral zu bestätigen – er hebt die traditionelle Moral keineswegs auf -, gleichzeitig aber auch zum Ausdruck zu bringen, dass er, Christus, dem bisher Gesagten etwas hinzuzufügen hat. Wobei er bezeichnenderweise nicht abschwächt, sondern steigert. Im Ton ist die Autorität Jesu erkennbar, die in diesen Dingen nicht etwas zur Diskussion stellt, sondern sagt: so ist es!

Gerade das wird leicht übersehen: Jesus ist “sanftmütig und demütig von Herzen”, gleichzeitig aber ist er der Herr der Herren, dem wir Menschen Gehorsam schulden.

Eine solche Sicht der Person Jesu Christi setzt einen übernatürlichen Blick voraus. Was heisst das: „übernatürlicher Blick“? Es bedeutet, dass wir die Dinge Gottes nicht verstehen können, wenn wir sie nur unter natürlichem Blickwinkel sehen. Unsere fünf Sinne melden uns die natürliche Welt. Wir sehen und hören die Personen und die Dinge, die um uns sind, aber das ist nicht alles, es ist nur die materielle Welt. Die übernatürliche, die geistige Welt, also Gott, die Heiligen, die Engel, das Wirken der Gnade – das alles können wir nicht sehen. Aber wir nehmen sie wahr mit den Augen des Glaubens und wissen, sie sind Realität.

Wenn wir im Evangelium lesen, was Jesus tat und sagte, stellen wir immer wieder fest, dass manches schwer verständlich, ja manchmal unmöglich erscheint. Wenn es uns so ergeht, dann können wir sicher sein, dass uns der übernatürliche Blick fehlt. Die Worte der Bergpredigt werden uns dann seltsam und paradox vorkommen. Wenn Jesus sagt: „Wer Vater und Mutter mehr liebt als mich, ist meiner nicht wert“ (Mt 10,37), ist die natürliche Reaktion: Wie kann er das verlangen?

Der Verlust des übernatürlichen Blicks ist etwas, das die heutige Christenheit schmerzlich charakterisiert. Man sieht die Organisation der Kirche oft nur menschlich, man meint, man könne alles nach „vernünftigen“ Grundsätzen und neueren Erkenntnissen gestalten und – wo nötig – auch verändern. Dass man dabei oft die Dinge nicht in ihrem übernatürlichen Zusammenhang sieht, liegt fast immer daran, dass es an Gebet fehlt. Wenn nicht gebetet wird, wird der Glaube schwach, und übernatürliche Zusammenhänge verflüchtigen sich.

Ein gutes Beispiel für Mangel an übernatürlichem Blick ist die Reaktion mancher Christen auf das postsynodale Schreiben „Amoris laetitia“. Dass viele das Schreiben des Papstes so verstehen, als habe sich alles geändert, ja als wäre die Lehre der Kirche von vorher nicht mehr gültig, ist nur so zu erklären, dass man die Dinge ausschliesslich „natürlich“ sieht.

So konnte man vor kurzem in einem Podiumsgespräch im Münsteraner Franz-Hitze-Haus verschiedene Ansichten darüber hören, wie man in der Kirche mit dem überlieferten Glaubensgut und der überlieferten Moral umgehen zu können meint.

Zunächst wurde festgestellt, dass die „Ehe-Experten“ der Kirche alle zölibatär leben. Ein Faktum, das keiner bezweifelt. Aber hat nicht der Herr selbst zölibatär gelebt? Muss man alles selbst mit erleben, um etwas darüber sagen zu können? Vor allem: ist Christus nicht Mensch und Gott und hat er als solcher nicht das Recht, verbindliche Gebote zu geben? Ein Recht, das er übrigens dem Lehramt der Kirche übertragen hat.

Eine Journalistin stellte fest, dass „die Lehre der Kirche unter Druck geraten ist“. Ja und? Schon als kleinem Kind wurde Jesus – und damit seiner Kirche – prophezeit, dass er ein „Zeichen des Widerspruchs“ sein würde. Im Gegenteil: der Widerspruch der Welt wird von manchen geradezu als Gütezeichen angesehen.

Mit Genugtuung wurde von allen Podiumsteilnehmern festgestellt – überhaupt: Gegenstimmen gab es keine -, dass ‚Amoris laetitia’‪‪ eine Entsexualisierung der Moraltheologie“ gebracht habe (im Klartext: „in sexualibus gibt es keine Sünde mehr). „Das – so wörtlich – ist ein Einstieg in den Ausstieg von der Schlüsselloch- und Bettkantenmoral“. Da wird man im Dekalog das sechste und das neunte Gebot wohl entfernen müssen.

Nebenbei wurde von einem Kirchenrechtler geschwind hinzugefügt, damit gebe es auch kein kategorisches Verbot der künstlichen Empfängnisverhütung.

Soll man also „Humanae vitae“, „Veritatis splendor“ und „Familiaris consortio“ einstampfen? Nein! Es kommt ja doch noch anders.

Ist dies ein zu scharfer Kommentar? Wohl nicht. Aber es geht nicht ums Polemisieren, sondern darum, den übernatürlichen Blick zurück zu gewinnen. Zu sehen, was unser natürlicher Blick und Verstand nicht sehen kann: die Kirche ist von Gott, nicht von Menschen. Es ist absurd, wenn der Mensch meint, über das, was Gottes ist, verfügen zu können.

„Ich aber sage euch…“ bedeutet nicht, dass Jesus in Fragen der Moral weniger als früher verlangt. Im Evangelium klingt es umgekehrt. Und mit Sicherheit wird es nach diesem unseren postchristlichen Jahrhundert wieder Menschen geben, die sich mit den wohlfeilen Lösungen eines schlapp gewordenen Christentums nicht mehr begnügen wollen, sondern erkennen, dass es den Menschen gut tut, wenn sie sich von Christus, dem Herrn, fordern lassen.

Msgr. Dr. Peter von Steinitz war bis 1980 als Architekt tätig; 1984 Priesterweihe durch den hl. Johannes Paul II.; 1987-2007 Pfarrer an St. Pantaleon, Köln; seit 2007 Seelsorger in Münster. Er ist Verfasser der katechetischen Romane: „Pantaleon der Arzt“, „Leo – Allah mahabba“ (auch als Hörbuch erhältlich) und „Katharina von Ägypten“.  Der Fe-Medienverlag hat einige ZENIT-Beiträge vom Autor als Buch mit dem Titel „Der Stein, den die Bauleute verwarfen“ herausgebracht.

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