Identität

Impuls zum 12. Sonntag im Jahreskreis C — 19. Juni 2016

Zenit.org, 17. Juni 2016, Peter von Steinitz

Wieder begegnet uns im Sonntagsevangelium die Frage nach der Identität Jesu. Der Herr selber will wissen, was die Leute von ihm sagen: „Für wen halten die Leute den Menschensohn?“ (Lk 9,18) Eigentlich kein Wunder, denn er selber sagt selten oder nie, wer er wirklich ist. Er möchte, dass wir von selbst darauf kommen, so wie er immer dieses pädagogische Prinzip verfolgt, den Menschen bei allem zu beteiligen.

Die Jünger sagen ihm:  „Einige halten dich für Johannes den Täufer, andere für Elija und wieder andere sagen: Einer der alten Propheten ist auferstanden“ (Lk 9,19).

Umgekehrt haben sich auch schon bei Johannes viele gefragt, ob nicht vielleicht er selbst der Messias ist.

„Ihr aber, für wen haltet ihr mich?“ fragt Jesus anschliessend die Jünger, worauf sie ihn als Messias bekennen. Aber er will nicht, dass sie es öffentlich sagen.

Johannes selbst ist ein Mann der klaren Ansagen. Bei ihm geht es immer ums Ganze, um die Erfüllung des Willens Gottes. Dabei ist er manchmal ausgesprochen kompromisslos. Würde er heute leben, würde er sich mit Sicherheit die Ungnade der Medien zuziehen.

Wenn er schon mit grosser Schärfe das ehebrecherische Verhältnis des Herodes mit der Frau seines Bruders tadelt, was hätte er wohl zu den Kapriolen gesagt, die heute in der öffentlichen Diskussion als eheähnliche und akzeptable Verbindungen angesehen werden?

Jesus hat eine andere Art zu sprechen als der Täufer. Allerdings ist für ihn Johannes immerhin “der grösste der von einer Frau Geborenen” (Mt 11,11), also der grösste aller Menschen. Und der Sache nach sagt der Herr das gleiche wie sein Vorläufer: “Jeder, der seine Frau entlässt und eine andere heiratet, begeht Ehebruch“ (Lk 16,18).

Gleich darauf spricht Jesus zum wiederholten Male von seinem bevorstehenden Leiden und Kreuzestod. Zeugnis geben für die Wahrheit kann also grösste Schwierigkeiten mit sich bringen.

Aber der Herr empfiehlt seinen Freunden nicht, Schwierigkeiten aus dem Weg zu gehen. Im Gegenteil, er fordert jeden – auch uns – auf, das tägliche Kreuz aufzunehmen und mit ihm zu tragen.

In der letzten Zeit erlebt die westliche Welt eine Zunahme von terroristischen Anschlägen. Menschen werden da mit dem Kreuz konfrontiert, die das gar nicht gesucht haben und mit Sicherheit nicht wollen. Umso mehr gehört ihnen unser Mitgefühl.

Die Schuldigen zu suchen und der gerechten Strafe übermitteln, ist natürlich das Gebot der Stunde. Den unschuldigen Opfern soweit wie möglich helfen und sich mit ihnen solidarisch zu erklären, ist ebenfalls selbstverständlich. Allerdings sollten wir durch die Medien nicht genötigt werden, uns mit den Besonderheiten der Ermordeten zu identifizieren. Dass die Opfer des Anschlags auf die Redaktion einer Satirezeitschrift in Paris Leute waren, die das religiöse Gefühl anderer beleidigten – das ist nicht die Grundlage für eine Solidarität mit ihnen, sondern einzig und allein die Tatsache, dass sie unschuldige Menschen waren, die von einer Verbrecherorganisation ermordet wurden.

Und ebenso die Opfer des Massakers in Orlando. Nicht ihre sexuelle Identität muss uns in unserem Mitgefühl herausfordern, sondern einzig und allein die Tatsache, dass sie von üblen verirrten Menschen (in diesem Falle wohl einem einzigen), die sich ihrer eigenen religiösen Identität nicht bewusst sind, brutal umgebracht worden sind.

Wie tief erkannten das doch die alten Griechen, die an ihrem Apollo-Tempel in Delphi die Inschrift anbrachten: ‚Erkenne dich selbst!’ Das Problem sehr vieler Menschen auch heute, dass sie sich selbst nicht wirklich kennen, dass sie sich oft nicht bewusst sind, welche Abgründe in ihren Herzen verborgen sind.

Jesus geht uns wie immer mit seinem Beispiel voran. Er weiss selbstverständlich, wer er ist. Aber er möchte, dass wir sowohl ihn als auch uns selbst in der Tiefe erkennen. Denn wie sollen wir heilig werden – das will er ja – wenn wir uns selbst nicht kennen?

Wenn wir so wollen, kann uns hier das klassische Stossgebet einfallen: Jesus, sanftmütig und demütig von Herzen, bilde unser Herz nach deinem Herzen!

Msgr. Dr. Peter von Steinitz war bis 1980 als Architekt tätig; 1984 Priesterweihe durch den hl. Johannes Paul II.; 1987-2007 Pfarrer an St. Pantaleon, Köln; seit 2007 Seelsorger in Münster. Er ist Verfasser der katechetischen Romane: „Pantaleon der Arzt“, „Leo – Allah mahabba“ (auch als Hörbuch erhältlich) und „Katharina von Ägypten“.

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