Lamm und Hirte zugleich

Paradoxon des göttlichen Liebenden: Lamm und Hirte zugleich

Impuls zum 4. Sonntag der Osterzeit, Lesejahr C — 17. April 2016

Rom, Zenit.org, 5. April 2016, Peter von Steinitz

Im Evangelium des vierten Ostersonntags kommt uns – trotz der Kürze der Perikope – wieder einmal zu Bewusstsein, dass das Leben mit Gott vielfältiger und reicher ist als das zweidimensionale Leben der Menschen, die sich mit den sichtbaren Gegebenheiten dieser Welt begnügen.

Aus den Worten Jesu hören wir ja immer wieder heraus, dass er uns über den blossen Anschein der Dinge hinausführen will. Die Welt ist viel tiefer als gedacht.

Ausserdem scheint die Welt aus Widersprüchen zu bestehen, die aber ebenfalls das Bild vertiefen. In der Lesung aus der Geheimen  Offenbarung des Johannes ist heute die Rede von den Heiligen, die ihre Gewänder im Blut des Lammes weiss gewaschen haben – geht das? Blut färbt rot, nicht weiss. Erstes Paradox.

Oder von dem Lamm, das die Menschen weiden will. Weiteres Paradox.

Das grösste Paradoxon, auch im Sinne von Widerspruch, finden wir in der Person Jesu Christi selbst. „Ich und der Vater sind eins“ (Joh 10,30), sagt er im heutigen Evangelium, und doch sind sie zwei.

Die menschliche Sprache ist einfach zu kurz, um die Geheimnisse Gottes adäquat auszudrücken. Erst recht im höchsten aller Geheimnisse: Gott ist einer in drei Personen.

Dieser vierte Ostersonntag wird auch „Sonntag vom Guten Hirten“ genannt. Im Tagesgebet heisst es nämlich: „Allmächtiger, ewiger Gott, dein Sohn ist der Kirche siegreich vorausgegangen als der Gute Hirt. Geleite auch die Herde, für die er sein Leben dahingab, aus aller Not zur ewigen Freude!“ Ebenso wie bei den vergangenen Sonntagen haben wir wieder den Eindruck, dass die Liturgie der Kirche so etwas wie ein Kommentar zum „Jahr der Barmherzigkeit“ ist.

Und als vor wenigen Tagen der Vatikan das postsynodale Schreiben des Papstes vorstellte, hiess es, der „Schlüssel zur Lektüre“ von Amoris Laetitia sei die „Logik der pastoralen Barmherzigkeit“. Auch und gerade die Barmherzigkeit hat oft in unserer unbarmherzigen Welt den Anstrich des Unlogischen und Paradoxen.

In der Liturgie der Karwoche sahen wir Jesus als das „Lamm, das man zum Schlachten führt“. In jeder hl. Messe beten wir: „Lamm Gottes, du nimmst hinweg die Sünden der Welt…“ Wie kann er denn gleichzeitig das Lamm und der Gute Hirt sein? Schliesst das eine nicht das andere aus?

Scheinbar ja, in Gottes Wirklichkeit aber nicht. Er ist wirklich beides. Vieles wäre auch zu sagen über die anderen Vergleiche aus der Tierwelt, die einander scheinbar ausschliessen, und doch alle wahr sind. Jesus ist der „Löwe aus Juda“, zugleich der „Pelikan“, der sein Herzblut opfert, um seine Jungen zu nähren, der „Fisch“ (Ichthys (Ἰχθύς) auf Griechisch: Jesus Christus, Sohn Gottes, Erlöser). Um die himmlische „Menagerie“ zu vervollständigen sind da die Taube als Symbol des Heiligen Geistes, der Adler des hl. Johannes, der Hahn des hl. Petrus, ferner der Pfau als Symbol des ewigen Lebens und auch der Hase hat unvermuteterweise einen christlichen Bezug, ist er doch ein Symbol – besonders in der byzantinischen Kirche, – für die Auferstehung.

Aber schauen wir noch einmal auf den Guten Hirten.

Dieses Motiv zu gestalten, ist in der Tat für jeden Künstler eine wahre Freude, denn es gibt kaum ein friedlicheres und anmutigeres Bild als das der ruhig weidenden Herde und des fürsorglich wachenden Hirten. Und das ist auch die Absicht des göttlichen Hirten, dass wir uns an dem Bild freuen.

Aber dann geht es weiter, nach der Freude (früher sagte man Erbauung) kommt eine Aufforderung. Natürlich wie immer bei voller Wahrung der menschlichen Freiheit. Christus verpflichtet uns nicht, sondern er lädt uns ein, und zwar, ihm zu folgen.

Zuerst sagt er: „Ich stehe vor deiner Tür und klopfe an…“ (Off 3,20). Er tritt nur ein, wenn wir aufmachen. Dann etwas später erfolgt die nächste Einladung: „Wenn einer mir dienen will, folge er mir nach; und wo ich bin, dort wird auch mein Diener sein“. (Joh 12,24). Und schliesslich: „Wer mein Jünger sein will, der verleugne sich selbst, nehme täglich sein Kreuz auf sich und so folge er mir nach“ (Lk 9,23).

Unsere Berufung als Christen ist also die Christus-Nachfolge, oder wie Thomas von Kempen es im Original seines berühmten Büchleins nennt: Imitatio Christi. Ja, wir sollen, wir dürfen Christus nachahmen, sein Leben auf Erden „imitieren“.

Das bedeutet also im Hinblick auf das Evangelium des heutigen Sonntags: auch wir sollen, so wie er, sowohl Lamm als auch Hirte sein. Ein Lamm, das auf die Stimme des Guten Hirten hört. Aber gleichzeitig sollen wir auch Hirt für andere sein, indem wir Christus auch darin so weit wie möglich nachahmen. Sein Tun als Hirt wird charakterisiert durch den Begriff „weiden“. So hörten wir es am vergangenen Sonntag, als er Petrus anwies, seine Lämmer und Schafe zu weiden. In der Nachfolge Christi werden wir die uns Anbefohlenen, Kinder, Schüler, Kollegen, Mitarbeiter etc. nicht befehligen oder gar reglementieren, sondern sie „weiden“, das heisst uns ihnen widmen, ihnen helfen und sie pflegen.

Mit der Hilfe der Gottesmutter wird uns ein solches scheinbar paradoxes „Doppelleben“ reich und froh machen: „Wenn einer mir dient, wird der Vater ihn ehren“ (Joh 12,26).

Msgr. Dr. Peter von Steinitz war bis 1980 als Architekt tätig; 1984 Priesterweihe durch den hl. Johannes Paul II.; 1987-2007 Pfarrer an St. Pantaleon, Köln; seit 2007 Seelsorger in Münster. Er ist Verfasser der katechetischen Romane: „Pantaleon der Arzt“, „Leo – Allah mahabba“ (auch als Hörbuch erhältlich) und „Katharina von Ägypten“.

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