Putins syrische Überraschung

Russlands Ankündigung, seine Truppen aus Syrien grossenteils abzuziehen, ist eine gute Nachricht, wie es zuvor die seit Ende Februar geltende Waffenruhe war

Von Oliver Maksan

Die Tagespost, 16. März 2016

Russlands Ankündigung, seine Truppen aus Syrien grossenteils abzuziehen, ist eine gute Nachricht, wie es zuvor die seit Ende Februar geltende Waffenruhe war. Moskau zeigt damit, dass es politische Spielräume für eine Lösung des syrischen Konflikts sieht, der in dieser Woche in sein sechstes Jahr ging. Putin hat zu Wochenbeginn mit seiner Ankündigung, die bereits umgesetzt wird, einmal mehr überrascht. Im vergangenen Herbst sah die verdutzte Welt dem Aufbau russischer Truppen zu. Jetzt sieht sie sie abziehen.

Dazwischen liegen für Russland grosse, vor allem politische Geländegewinne. Das Regime wurde stabilisiert. Der Opposition wurde gezeigt, dass es einen Siegfrieden infolge einer Niederlage Assads nicht geben wird. Da ist Moskau vor. Gleichzeitig hat Moskau Assad verdeutlicht, wer Koch und wer Kellner ist. Assads Träume, über kurz oder lang wieder ganz Syrien zu beherrschen, wird Russland nicht willfährig exekutieren – und schon gar nicht um den Preis, im syrischen Sumpf wie weiland die Sowjets in Afghanistan zu versinken. Zudem kann Russland um seines Weltmachtanspruchs willen eine weitere Verschlechterung zur sunnitischen Welt nicht zulassen. Die Beschädigung des Verhältnisses zu Ankara nach dem Abschuss eines russischen Jets war Moskau hier eine Warnung.

Russland dient in erster Linie seinen eigenen Interessen. Und die heissen Erhalt seines Einflusses in Syrien wie in der Region, Zurückdrängen amerikanischer Hegemonie, Festhalten am Prinzip völkerrechtlich garantierter Staatssouveränität gegen interventionistischen Regime Change. Was in Libyen geschah, wollte Moskau in Syrien nicht wiederholt sehen. Syrien ist für Moskau indes nur ein Stein in seinem weltpolitischen Spiel. Krim und Ostukraine sind den Russen dabei wichtiger und näher als die Levante. Putins beherztes Eingreifen hat geholfen, sein Land wieder zu einem Akteur auf Augenhöhe mit den Amerikanern zu machen. Die Isolation, in die Russland nach der Krim-Annexion getrieben wurde, soll durch weltpolitische Unabkömmlichkeit überwunden werden. Die bislang überschaubaren humanen und wirtschaftlichen Kosten des Einsatzes werden aus russischer Sicht also von den Gewinnen mehr als aufgewogen. Dabei bleibt Moskau militärisch im Land präsent und wird auch weiterhin auf Seiten des Regimes intervenieren können. Eine Verstärkung der Truppenpräsenz ist zudem jederzeit möglich. Doch will Moskau jetzt politisch ernten, was es militärisch gesät hat.

Und dafür stehen die Chancen derzeit nicht schlecht, wenigstens auf der internationalen Ebene. Die Genfer Syrien-Gespräche bieten dafür ein Format. US-Präsident Obama ist in die Zielgerade seiner Präsidentschaft eingelaufen. Viele Optionen hat er in dem für ihn von Anfang an lästigen Konflikt nicht mehr. Gelänge es mit Russlands Hilfe, Druck auf die regionalen Patrone der Akteure im Land aufzubauen, könnten die Dinge in Bewegung kommen – und Obamas aussenpolitische Hinterlassenschaft in dieser Frage weniger düster aussehen lassen als derzeit. Vor einem Ende des Konflikts und einer stabilen Nachkriegsordnung liegen aber noch viele Unwägbarkeiten. Russland schwebt eine Föderalisierung Syriens vor. Das sehen aber nicht nur die Türken, für die eine formelle Kurdenautonomie an ihrer Grenze nur schwer verdaulich wäre, skeptisch.

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