Der Papst und die Tugenden

Impuls zum 5. Fastensonntag im Jahreskreis C — 13. März 2016

Rom, Zenit.org, 11. März 2016, Peter von Steinitz
Vatikan: Die Göttlichen Tugenden: Katechismus der katholischen Kirche

Im Evangelium des 5. Fastensonntags begegnet uns die feinfühlige Liebe Jesu zu allen Menschen, auch und besonders zu den Sündern. Er will nicht, dass die im Ehebruch ertappte Frau von diesen Heuchlern, den Pharisäern, die selber viel mehr Dreck am Stecken haben, gesteinigt wird.

Dabei ist interessant, was er macht und was er nicht macht. Die Pharisäer hatten sich schon gefreut, weil sie dachten: in seiner Gutmütigkeit wird er ihre Sünde als gering hinstellen, damit sie ungeschoren davon kommt. Aber wenn er das wirklich tut, haben wir ihn gepackt, denn er hätte dann dem göttlichen Gesetz widersprochen.

Und wenn er sie schuldig spricht, verschliesst sich sein Zugang zu den Sündern.

Wie so oft sind sie aber seiner Klugheit nicht gewachsen. Wie er vorgeht („Wer von euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein“), ist göttlich genial. Er will erreichen und erreicht es auch, dass die Frau nicht öffentlich abgestraft wird, und dass dennoch das Verbot des Ehebruchs nicht angetastet wird.

Und noch ein Drittes will er erreichen: auch die übelmeinenden Pharisäer werden nicht öffentlich blamiert. Jesus bückt sich nach vorn und schreibt mit dem Finger irgendetwas in den Sand, was bewirkt, dass die Pharisäer sich still zurückziehen können, ohne dass sie dem Blick des Herrn begegnen müssen.

Zu allen Zeiten sind die Menschen schwach und bedürfen der Güte – nicht Gutmütigkeit – Gottes. Seiner Barmherzigkeit, die auch für uns Menschen eine nachahmenswerte Tugend ist.

Aber bekanntlich geht es nicht nur darum, das Böse nicht zu tun, sondern gefälligst das Gute zu tun.

Sonntag, der 13. März, ist auch der Jahrestag der Wahl des Papstes. Viele fragten sich damals – vor drei Jahren, aber es scheint schon sehr viel mehr Zeit seitdem vergangen zu sein – warum Jorge Mario Bergoglio den ungewöhnlichen und noch nie gebrauchten Papstnamen Franziskus gewählt hat. Neben der persönlichen Verehrung für den Heiligen von Assisi, mag es dem Heiligen Vater vor allem darum gegangen sein, die manchmal vergessenen christlichen Tugenden wieder neu zum Leuchten zu bringen.

Im Jahr der Barmherzigkeit will der Heilige Vater daran erinnern, dass die barmherzige Liebe Christi nicht nur die Menschen aus der Sünde befreien will, sondern viele Hilfestellungen gibt, damit wir möglichst zu Heiligen werden.

Wenn der Papst einen Mann oder eine Frau selig bzw. heilig spricht, dann geht diesem Akt ein regelrechter Prozess voraus. Die Kirche muss genau prüfen, ob der Betreffende wirklich ein Heiliger, eine Heilige war. Untersucht werden da nicht in erster Linie die aussergewöhnlichen Phänomene wie Erscheinungen, Wunder und Prophezeiungen, sondern, ob diese Person die Tugenden in heroischem Mass gelebt hat.

Da ist zunächst einmal die Tugend der Armut, für die der Name Franziskus beispielgebend steht. Der Papst aus dem Kontinent, der wirkliche Armut kennt, wollte alle Menschen, nicht nur die Christen, daran erinnern, dass der Wohlstand des Westens zahlreiche moralische Gefahren mit sich bringt und meist von Gott entfernt. Und dass umgekehrt, die Tugend der Armut den Menschen Gott näher bringt. Allerdings geht das nicht automatisch. Dann müsste jeder Bettler ein Heiliger sein.

Armut, im Sinne des hl. Franziskus, oder besser im Sinne des Herrn, heisst nicht ‚nichts besitzen‘, sondern das Herz nicht an die Dinge hängen, denn dann ist es nicht mehr frei für Gott und den Nächsten. Diese Dinge können materielle Gegenstände sein, wie Auto, Computer, Handy oder Kleidung, aber auch Gewohnheiten oder ‚fixe Ideen‘. Armut bedeutet also Loslösung.

Ferner fordert uns der Papst auf, jene beiden Tugenden zu beachten, von denen man sagen kann, sie sind nicht die allerwichtigsten, aber sie sind die zwei Tugenden ‚sine qua non‘, ohne die Heiligkeit nicht geht.

Da ist die Tugend der heiligen Reinheit, die heute von vielen, auch von Christen, missachtet, ja oft sogar lächerlich gemacht wird. Der Bildungsplan der baden-württembergischen und anderer Landesregierungen enthält sogar massive Massnahmen, um Kinder und Jugendliche ausdrücklich zur Unzucht anzuleiten.

Das sechste Gebot ist nicht das wichtigste, aber wenn man es missachtet, ist, wie die jahrhundertelange Erfahrung der Kirche zeigt, eine gute Verbindung mit Gott nicht möglich. Natürlich soll es nicht sein wie bei den Katharern, die sich selbst die ‚Reinen‘ nannten. Vielmehr geht es darum, immer wieder den Kampf mit der eigenen Schwäche aufzunehmen, in dem Wissen, dass Gott mit uns zufrieden ist, solange wir kämpfen.

In der heute berichteten Begebenheit aus dem Leben Jesu, sagt Jesus um Ende, als keiner die im Ehebruch ertappte Frau verurteilt hat, „auch ich verurteile dich nicht“, aber er fügt hinzu: „Geh und sündige von jetzt an nicht mehr!“ (Joh 8,11)

Die andere unerlässliche Tugend ist die Demut. Alle grossen und guten Dinge, die wir für Gott und die Menschen tun, verlieren sofort ihren übernatürlichen Wert, wenn der Stolz das Hauptmotiv ist. Aktuelles Beispiel: Ich helfe den Flüchtlingen, um den anderen mal zu zeigen, was für ein grossartiger Mensch ich bin.

Der christlichen Tugenden sind viele, etwa dreissig bis vierzig. Grundlage dafür lieferten schon die heidnischen Philosophen der Antike, die die vier Kardinaltugenden propagierten: Klugheit, Tapferkeit, Mass und Gerechtigkeit, von den sich die vielen anderen Tugenden ableiten wie bei einem Stammbaum, wobei es entscheidend wichtig ist, dass man die Tugenden nicht nur unter bloss menschlichen Gesichtspunkten lebt, sondern als übernatürliche Tugenden ‚um der Liebe Christi willen‘. Die Armut des hl. Franziskus war auf Christus bezogen. Sie war nicht die klug überlegte Loslösung, die dem Menschen auch dann Freiheit und Souveränität vermittelt, wenn man sie nicht ‚um Christi willen‘, sondern aus Berechnung zum eigenen Vorteil lebt.

Über allen aber stehen die drei göttlichen Tugenden, Glaube, Hoffnung und Liebe. Die Liebe ist dabei, wie Paulus sagt, die grösste von allen. Und im Gegensatz zu den anderen Tugenden hat sie kein Mass. Gerechtigkeit, Tapferkeit etc. können nach der einen oder anderen Seite übertrieben werden. Die Liebe dagegen, vor allem die Liebe zu Gott und zum Nächsten darf kein einschränkendes Mass kennen.

Nutzen wir das Jahr der Barmherzigkeit, neben der Tugend der Barmherzigkeit auch alle anderen Tugenden zu beachten.

Wunderbare und zugleich erreichbare Vorbilder: die beiden heiligsten Menschen aus der unmittelbaren Nähe Jesu, nämlich Maria und Josef, können uns dazu Anregung und Hilfestellung geben.

Msgr. Dr. Peter von Steinitz war bis 1980 als Architekt tätig; 1984 Priesterweihe durch den hl. Johannes Paul II.; 1987-2007 Pfarrer an St. Pantaleon, Köln; seit 2007 Seelsorger in Münster. Er ist Verfasser der katechetischen Romane: „Pantaleon der Arzt“, „Leo – Allah mahabba“ (auch als Hörbuch erhältlich) und „Katharina von Ägypten“.

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