“Sie wollen genmanipulierte Menschen schaffen” UPDATE
“Sie wollen genmanipulierte Menschen schaffen. Hören wir auf damit” – Wissenschaftler fordern weltweites GVO-Moratorium
Rom, 25. März 2015
“Sie wollen genmanipulierte menschliche Organismen schaffen und damit die Zukunft der Menschheit aufs Spiel setzen. Hören wir auf damit”. Diesen dramatischen Appell richtet der Forscher und Professor für Biologie an der Universität Mailand-Bicocca, Angelo Vescovi, an seine Wissenschaftler-Kollegen, an Politik und Gesellschaft. Der “Agnostiker” warnt vor den Techniken zur DNA-Veränderung an menschlichen Embryonen, die in den vergangenen Wochen veröffentlicht wurden.
“Sie wollen genmanipulierte menschliche Organismen schaffen und damit die ganze Spezies Mensch gefährden. Ich übertreibe nicht.” Ein ähnlicher Appell gegen diese Art von Experimenten ist vor kurzem in einer der bekanntesten naturwissenschaftlichen Fachzeitschriften Nature erschienen. Es heisse zwar, diese Experimente würden dazu dienen, Krankheiten zu heilen, doch in Wirklichkeit “bringen sie die Zukunft der Menschheit in Gefahr”, so Vescovi.
Das Interview führte Benedetta Frigerio und wurde von der Wochenzeitschrift Tempi veröffentlicht.
Der Appell in Nature stammt von Fyodor Urnov, Professor für Genetik und Genforschung am Institut für Molekular- und Zellbiologie der Universität von Kalifornien in Berkeley und Leiter eines Sangamo-Forschungsteams. Urnov ist führend in der Stammzellforschung tätig. Er und seine Fachkollegen Edward Lanphier, Sarah Ehlen Haecker, Michael Werner und Joanna Smolenski gehören alle dem Fachverband Alliance for Regenerative Medicine (ARM) an oder arbeiten an Projekten der genome-editing company Sangamo. Mit anderen Worten, sie wissen genau, wovon sie sprechen. Sie fordern ein weltweites Moratorium für die genetische Veränderung menschlicher Embryonen.
Der Appell stammt vom Vorsitzenden der Alliance für Regenative Medicine (ARM) und weiteren vier Forschern, darunter auch Fyodor Urnov, einem der Pioniere in diesem Bereich. Wie kommt das?
Vescovi: Die Techniken zur Veränderung des genetischen Erbes werden bereits angewandt, um das Genom einer Zelle zu editieren. Dieser Prozess ist wie die Kernfusion zu beurteilen, die für gute, aber auch für verheerende Zwecke verwendet werden kann. Er kann sehr nützlich sein bei somatischen Zellen des Körpers, um Problematiken zu korrigieren zu versuchen, die nicht den ganzen Organismus beeinflussen, sondern nur bestimmte Zelltypen. Ein Problem aber wird es, und daher der Appell, wenn man die sogenannte Keimbahn verändern will und damit jene Strukturen, die direkt oder indirekt zur Veränderung der ganzen Abstammung führen.
Warum ist es problematisch, wenn die DNA verändert wird, um Krankheiten zu bekämpfen?
Wenn man es grundsätzlich betrachtet, scheint es im engeren Sinn noch ein Heilungsversuch zu sein. In Wirklichkeit ist dem aber nicht so, denn bei diesen Experimenten wird ein krankes Individuum gezeugt, das dann geheilt werden soll, indem man seien DNA verändert. Das ist, als würde man sagen: “Keine Sorge, ich lass dich krank zur Welt kommen, aber dann versuch ich dich zu heilen”, das aber mit unvorhersehbaren Folgen. Sind wir uns dessen bewusst, was wir hier tun?
Warum unvorhersehbare Folgen?
Um das Gen A zu korrigieren, muss ich Fehler oder intrinsische Verluste wegen der Natur des Verfahrens in Rechnung stellen. Dieselben Enzyme, die auf natürliche Weise die DNA reparieren, machen Fehler. Dadurch erschwert sich die Situation. Man produziert im Labor ein krankes Individuum, um dann zu versuchen, es zu heilen, ohne zu wissen, ob das gelingt und obwohl man weiss, dass man auf alle Fälle Fehler machen wird, deren Konsequenzen unbekannt sind. Dieser Prozess hat einen Namen: brutaler Determinismus gegenüber den Ungeborenen.
Wie kann man eine solche Technik rechtfertigen?
Man sagt, dass auch die Enzyme, die auf natürliche Weise die DNA eines jeden Individuums reparieren, in einer neuen Generation rund 50 Mutationen anhäufen. Nun gut, wenn dem schon von Natur aus so ist, was tun wir dann? Wir fügen einfach absichtlich noch weitere hinzu? Das ist eine sinnwidrige Argumentation. Zudem kennen wir die Spezies Mensch sehr genau: diese auf die Keimbahn angewandte Editing-Techniken können angewandt werden, um Gene zu verändern, die nichts mit der Krankheit zu tun haben. Zum Beispiel, um die Widerstandsfähigkeit gegen einige Infektionen zu heben. Wir sind damit bereits beim nächsten Schritt, wo ich nicht mehr eine Krankheit heilen will, sondern nur mehr stärker werden will. Stärker als es unserer Natur entspricht. Wenn ich aber zum Beispiel die DNA mutiere, um sie HIV-resistent zu machen [ein Forschungszweig, in den derzeit viel Geld investiert wird] mit viralen oder bakteriellen Populationen, die sich viel schneller verändern als die menschlichen, könnte der Virus zwar vielleicht nicht mehr bei diesen Patienten Wurzel fassen, aber sich auch auf eine solche Weise verändern, dass er in Zukunft auch die Mutation überbrückt. Das aber würde bedeuten, dass man durch die von Menschenhand geschaffene Mutation HIV noch tödlicher gemacht hätte, als er bereits ist. Und dies auf einen beachtlichen Teil der Bevölkerung angewandt, würde die gesamte Spezies Mensch gefährden.
Gibt es noch andere mögliche Folgen?
Die banalste Sache, die hypothetisch passieren könnte, wäre das Auftreten von Tumoren. Die schlimmste Sache könnte nach einigen Generationen das völlige Ausbleiben der Reproduktionsfähigkeit des Menschen sein mit dramatischen Auswirkungen auf die Fortpflanzung der menschlichen Spezies. Um ehrlich zu sein, müssen wir sagen, dass die Folgen dieses zügellosen Determinismus schlichtweg unkalkulierbar sind. Ich wiederhole: Wir haben keine Fähigkeit, abzusehen, was passieren wird. Wir können uns nur auf einige epidemiologische Studien stützen: Wir können versuchen, im Verlauf von Generationen zu beobachten, was geschehen wird. Es wird Jahrhunderte brauchen. Angesichts der Gefahren kann man nur zum Schluss kommen: Die Spezies Mensch kann und darf nicht als Versuchskaninchen missbraucht werden.
Ist es unmöglich auf diesem Weg weiterzugehen?
Es ist ein extremer Schritt. Diese Veränderungen könnten dazu gebraucht werden, um die Augenfarben oder die Körpergrösse eines Kindes zu verändern. Werden wir das verhindern? Auch wenn es gesetzliche Regeln geben sollte, wissen wir aus Erfahrung, dass es immer jemanden gibt, der bereit ist, wenn etwas technisch möglich wird, die Regeln zu verletzten. Braucht es so viel Phantasie, um sich Eltern vorzustellen, die bereit wären, Millionen zu bezahlen, um ein ‘perfektes‘ Kind zu haben? Ich möchte daran erinnern, dass es Menschen gibt, die ihre Pferde ins Flugzeug setzen und jedes Jahr Millionen Euro allein dafür ausgeben, um diese Pferde aus Atmungsgründen für die Sauerstoffzufuhr in die Höhe hinaufzubringen.
Übertreiben Sie da nicht?
Leider nicht. Erinnern wir uns, als vor 20 Jahren intensiv öffentlich über das Klonen gesprochen wurde. Ich und andere Wissenschaftler warnten, dass hier Türen zur genetischen Manipulation aufgestossen werden. Man hat uns geradezu wie Verrückte belächelt. Und heute? Heute produzieren wir bereits genmanipulierte menschliche Organismen, indem wir ihre Gesundheit aufs Spiel setzen, die Natur des Individuums, aber auch die Zukunft der ganzen Menschheit. Nein, ich übertreibe keineswegs.
Der Aufruf in Nature für ein Moratorium der Genmanipulation am Menschen wurde von einer Gruppe von Wissenschaftlern unterzeichnet, die keineswegs religiösen Kreisen nahestehen.
Hier geht es um Naturwissenschaft, nicht um Religion. Ich bin Agnostiker. Doch hier geht es um den Respekt vor dem menschlichen Wesen. Aus diesem Grund trete ich dafür ein, dass man sich weigern muss, ihn, seine Abstammung und damit die Menschheit einem so gefährlichen Risiko auszusetzen. Es geht darum, einen Wahn der Allmächtigkeit zu stoppen, der durch ideologische und vor allem ökonomische Interessen gefördert wird. Und natürlich kommen noch persönliche Ambitionen von Wissenschaftlern dazu. Wer immer es wagen sollte, zu behaupten, dass jene, die hier zur Vorsicht mahnen, Moralisten oder schlimmer noch Obskuranten oder Bigotte sind, der sollte sich nackt vor den Spiegel stellen und er wird erkennen, dass er nur einen nackten Affen sieht, der die Logik vergewaltigt. Und sollte sich schämen.
Welchen Wahn meinen Sie?
Wir meinen, dass wir alles machen und alles kontrollieren können. Das aber ist nur eine wahnwitzige Illusion, denn in Wirklichkeit ist unsere Ignoranz abgrundtief. Abgrundtief ist sogar noch viel zu wenig, um auszudrücken, was wir wirklich sind. Wir sind nicht mehr als Ignoranten, die versuchen, zu verstehen. Wenn es hochkommt, verstehen wir gerade ein Millionstel von dem, was die menschliche Physiologie ist, oder anders ausgedrückt, alle Phänomene, die Geburt, Tod und Handeln eines Menschen regeln. Der Appell meiner Kollegen hat mich daher keineswegs erstaunt. Es sind Wissenschaftler, die genau wissen, wovon sie sprechen. Sie alle haben in den Abgrund geschaut. Ich kann mich ihrem Aufruf nur anschliessen. Meine Damen und Herren, wir gehen zu weit. Gehen wir nicht weiter, halten wir inne!
Text: Tempi/Giuseppe Nardi
Bild: Nature (Screenshot)
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