Inhumane Experimente
‘Mit Personen aber dürfen nur Experimente durchgeführt werden, denen sie entweder selbst zugestimmt haben, oder die ihnen, wenn sie nicht-zustimmungsfähig sind, mehr nützen als schaden’
Von Stefan Rehder
Die Tagespost, 03. Februar 2016
Das erklärte Ziel der Forscher um Kathy Niakan vom Londoner Francis Crick-Institute ist es, in menschlichen Embryonen jene Gene ausfindig zu machen, die dafür verantwortlich sind, dass diese zu gesunden Menschen heranreifen. Das klingt gut, ist es aber nicht. Weil kein noch so guter Zweck auch schon die Mittel heiligt, lassen sich als “gut” nur solche Handlungen qualifizieren, bei denen nicht bloss das anvisierte Ziel, sondern auch die dazu verwandten Mittel “gut” genannt werden können. Das ist bei den Experimenten, die Niakan und ihr Team planen, nicht der Fall. Die Mittel, mit denen sie ihr Ziel erreichen wollen, sind “schlecht“. Wobei “schlecht“ sogar noch untertrieben ist. “Schlecht“ ist auch ein versalzenes Gericht oder eine nicht mehr ausreichende Leistung in einer Mathematik-Klausur. So gesehen sind die Experimente, die Niakan plant und die die britische Aufsichtsbehörde HFEA (Human Fertilisation and Embryology Authority) Anfang der Woche genehmigte, nicht bloss “schlecht“; sie sind schlicht inhuman.
Und das gleich aus mehreren Gründen. Um dies einzusehen, lohnt es, sich zunächst vor Augen halten, dass es sich bei den geplanten Experimenten um “fremdnützige Forschung” handelt. Was immer Niakan und ihr Team herausfinden werden, wird niemals den “beforschten” Embryonen selbst zugute kommen, sondern allenfalls ihren ebenfalls in der Petrischale erzeugten Artgenossen. Für fremdnützige Forschung aber existieren klare Regeln. Zu ihnen gehört die Einwilligung der Probanten. Sich derer zu versichern ist in diesem Fall unmöglich. Anders als bei komatösen Patienten muss auch der ohnehin wenig taugliche Versuch, den mutmasslichen Willen nicht-einwilligungsfähiger Probanten zu ermitteln, hier von vorneherein scheitern. Herausfinden zu wollen, was jemand wollen würde, der noch nie ein Wollen artikulieren konnte, wäre bestenfalls grotesk. Dass die HFEA sich damit bescheidet, dass die Gametenspender – von Eltern mag man in einem solchen Fall gar nicht reden – ihre im Labor erzeugten Nachkommen der Forschung zur Verfügung gestellt haben, degradiert diese zu einer Sache. Dies wäre jedoch nur dann akzeptabel, wenn sich zeigen liesse, dass sich der Mensch nicht als Mensch entwickelt, sondern von einem “(Noch-)Nicht-Menschen” zu eben diesem. Bislang ist dies niemandem gelungen. Wer aber nicht zeigen kann, wie aus einem “etwas” ein “jemand” wird (R. Spaemann), ist moralisch verpflichtet, den menschlichen Embryo auch im frühesten Stadium seiner Entwicklung genau als das anzusehen, als das sich seine ausgewachsenen Artgenossen erweisen: nämlich als Personen.
Mit Personen aber dürfen nur Experimente durchgeführt werden, denen sie entweder selbst zugestimmt haben, oder die ihnen, wenn sie nicht-zustimmungsfähig sind, mehr nützen als schaden. Auch das ist hier nicht der Fall. Die HFEA verpflichtet die Forscher, die Embryonen zum Abschluss der Experimente zu vernichten. Damit soll verhindert werden, dass genetisch modifizierte Embryonen geboren werden und ihre modifizierten Gene vererben können. Den Tabubruch des Eingriffs in die Keimbahn folgenlos machen zu wollen, indem man die Opfer tötet, ist der Gipfel der Inhumanität. Wer sich dazu hergibt, versagt nicht bloss als Forscher. Er versagt als Mensch.
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