„Das Ziel nicht aus den Augen verlieren“

Was bleibt nach der Begegnung des Papstes mit dem Moskauer Patriarchen Kyrill?

Ein Gespräch mit Kurienkardinal Kurt Koch.

Von Regina Einig und Guido Horst

Die Tagespost, 26. Februar 2016

Seit Juli 2010 steht der aus der Schweiz stammende Kurienkardinal Kurt Koch an der Spitze des Päpstlichen Rats zur Förderung der Einheit der Christen. Die historische Begegnung zwischen Papst Franziskus und dem Patriarchen der russisch-orthodoxen Kirche am 12. Februar ist auch eine Frucht seiner diskreten und unermüdlichen Arbeit. Ein Gespräch über ein ökumenisch spannendes Jahr, dessen nächster Höhepunkt das erste panorthodoxe Konzil seit der Spaltung der Ost- und Westkirche im Jahr 1054 werden dürfte.

Eminenz, wie würden Sie den Schritt einordnen, den Papst Franziskus und Patriarch Kyrill auf Kuba gemacht haben – sowohl was die Ökumene angeht als auch mit Blick auf die Weltlage und die besondere Bedeutung Russlands für den Mittleren Osten?

Für die Ökumene war das ganz sicher ein grosser Schritt, dass der Papst und der Patriarch der russisch-orthodoxen Kirche sich zum ersten Mal in der Geschichte begegnet sind. Ich hoffe, dass damit eine Tür geöffnet ist für weitere Beziehungen in der Zukunft. Von beiden Seiten ist stark betont worden, dass ein gemeinsames Anliegen darin besteht, gegen die Verfolgung der Christen weltweit und ganz besonders im Mittleren Orient anzugehen. Wenn hier beide Kirchen gemeinsam ein Wort einlegen können, hat das natürlich ein besonderes Gewicht. Ich hoffe, dass die schwierige, fast hoffnungslose Situation der Christen im Mittleren Osten intensiver zur Kenntnis genommen wird, vor allem in Europa.

Ist aus Ihrer Sicht auch ein Besuch des Papstes in Moskau denkbar? Oder halten die Orthodoxen Russlands doch noch sehr an der Vergangenheit fest?

Von einem Besuch in Moskau ist jetzt nicht die Rede gewesen und es ist auch wichtig, dass zunächst dieses Ereignis vertieft wird. Aber sicher ist auch: Da dieses erste Treffen stattgefunden hat, wird ein zweites oder drittes Treffen einfacher sein. Das hat ja auch Patriarch Kyrill kurz nach der Begegnung öffentlich erklärt, und das ist ein sehr positives Zeichen.

Wie kann man Patriarch Kyrill einschätzen? Ist er so voll freundschaftlicher Gefühle für den Papst und die lateinische Kirche wie zum Beispiel der ökumenische Patriarch Bartholomaios?

Ganz sicher sind beide sehr verschiedene Persönlichkeiten. Man muss auch einen Unterschied beachten: Mit dem Ökumenischen Patriarchat in Konstantinopel haben wir seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil, also seit über fünfzig Jahren, intensive geschwisterliche und freundschaftliche Beziehungen. Mit dem russisch-orthodoxen Patriarchen war es dagegen die erste Begegnung mit unserem Heiligen Vater. Von daher ist es schwierig, Vergleiche zu ziehen, weil diese Erfahrungen zu unterschiedlich sind.

Haben Sie als Präsident des Rates zur Förderung der Einheit der Christen einen ständigen Draht zu Metropolit Hilarion? Rufen Sie sich manchmal an?

Einen ständigen Draht zu Metropolit Hilarion hatte ich vorher schon, weil es immer wieder Fragen gibt und gab vor dem Treffen zwischen Patriarch und Papst, die geregelt werden mussten. Der Kontakt war immer sehr intensiv und wird auch so bleiben und vielleicht noch vertieft werden.

Viele Ukrainer waren ja nicht so glücklich über die gemeinsame Erklärung auf Kuba. Haben Sie im Vorfeld bei den Verhandlungen über diese Erklärung mit dem Moskauer Patriarchat die Anliegen, das geschichtliche Erbe und den Anspruch auf Anerkennung der griechisch-katholischen Kirche der Ukraine auch einbringen können?

Natürlich gibt es in der Ukraine eine sehr schwierige Situation mit geschichtlichen Wunden auf beiden Seiten. Deshalb ist in diesen Gesprächen die Situation der Ukraine auch immer präsent gewesen. Ich bin dankbar dafür, dass in der gemeinsamen Erklärung aufgenommen worden ist, dass die griechisch-katholische Kirche das Recht hat, zu existieren und alles zu unternehmen, was notwendig ist, um die geistlichen Ansprüche der Gläubigen zu befriedigen. Hier zeigt sich eine deutliche Anerkennung der griechisch-katholischen Kirche in der Ukraine auch von Seiten des russisch-orthodoxen Patriarchates. Ich hoffe, dass diese positive Bestimmung noch vermehrt zur Kenntnis genommen wird.

Welche Reaktionen der ukrainisch-katholischen Hierarchie haben Sie erreicht nach dem Treffen?

Natürlich vor allem die Stellungnahme des Grosserzbischofs Swiatoslaw Schewtschuk von Kiew. Auch die Reaktion des Apostolischen Nuntius in der Ukraine habe ich zur Kenntnis genommen. Ich bin durchaus betrübt, wenn von dort die Meldung kommt, dass sich die griechisch-katholische Kirche verraten fühlt von Rom. Das ist wirklich von niemanden intendiert; sowohl der Papst als auch die Kurie stehen zur griechisch-katholischen Kirche in der Ukraine. Vielleicht hängt diese Reaktion auch mit unterschiedlichen Erwartungen zusammen. Die gemeinsame Erklärung, die der Papst und der Patriarch abgegeben haben, sollte keine politische, sondern eine pastorale Erklärung sein. Papst Franziskus hat das im Flugzeug noch einmal unterstrichen. Ich habe den Eindruck, dass man in der Ukraine andere Akzente erwartet hat, auch auf dem Hintergrund kriegerischer Auseinandersetzungen. Wenn ganz unterschiedliche Erwartungen da sind, kann es zu solchen Reaktionen kommen.

Haben Sie auch von anderen orthodoxen Kirchen oder auch von evangelischen Gemeinschaften Reaktionen bekommen?

Die meisten Reaktionen sowohl aus der Orthodoxie wie aus anderen Gemeinschaften sind sehr positiv. Man würdigt die Begegnung als guten Schritt und hofft, dass sie gute Früchte bringt.

Im Text der gemeinsamen Erklärung heisst es: Wir sind nicht Konkurrenten, sondern Geschwister. Zieht die orthodoxe Kirche damit auch einen Schlussstrich unter die Spannungen um die Errichtung katholischer Diözesen in Osteuropa?

Dass der Patriarch und der Papst keine Konkurrenten, sondern Geschwister sind, ist aus dem Gespräch deutlich geworden: Es war ein sehr offenes und herzliches Gespräch. Die Errichtung katholischer Diözesen in Osteuropa berührt hingegen ein Grundprinzip der Orthodoxie, nach dem es in einer Stadt nur einen Bischof geben kann. Dieses Grundprinzip wird heute selbst innerhalb der Orthodoxie nicht mehr ganz aufrechterhalten, weil in der Diaspora doppelte Hierarchien vorhanden sind. Die Orthodoxen möchten aber eigentlich an diesem Prinzip festhalten. Die katholische Kirche hat dem auch Rechnung getragen, indem beispielsweise der Bischof, der in Moskau residiert, nicht Bischof von Moskau heisst, sondern Bischof der Mutter Gottes von Moskau. Beide Fragen sind aber unabhängig voneinander.

Beginnt nun zu Pfingsten das panorthodoxe Konzil?

Ende Januar ist von der Synaxis in Chambésy bei Genf entschieden worden, dass die panorthodoxe Synode an Pfingsten stattfinden wird. Allerdings trifft man sich nicht, wie das vorgesehen war, in Konstantinopel in der Hagia Eirene, einer alten Konzilskirche. Stattdessen soll das Konzil auf Kreta tagen, weil von Moskau deutliche Signale gekommen sind, dass der Patriarch nicht nach Konstantinopel kommen kann wegen der politischen Spannungen zwischen der Türkei und Russland. Ich bin dankbar, dass diese Synode stattfinden kann. Es ist für die ganze Ökumene ein wichtiges Zeichen, wenn die orthodoxen Kirchen ihre Synodalität leben und auch mit einer gemeinsamen Stimme sprechen können.

Wird die katholische Kirche dort auch durch einen Delegaten vertreten sein?

In Chambésy ist entschieden worden, dass Beobachter der Katholischen Kirche, des Weltkirchenrats, der Orientalischen Kirchen, des Lutherischen Weltbunds, und anderen eingeladen werden. Es liegt an den Kirchenleitungen, diese Delegaten zu bestimmen.

Werden Sie selbst teilnehmen?

Das liegt in der Hand des Heiligen Vaters. Ich denke, dass eine Einladung vom Ökumenischen Patriarchen an den Heiligen Vater ergeht und der Heilige Vater dann entscheidet, wer ihn vertritt.

Teilen Sie die Hoffnung des Apostolischen Vikars von Aleppo, Bischof Georges Abou Khazen OFM, dass die Leiden der Christen im Nahen Osten zur Einheit der Christen beitragen?

Ich teile diese Hoffnung, denn schon in der alten Kirche hat man die Überzeugung gehabt, dass das Blut der Märtyrer der Same neuer Christen sein wird. In gleicher Weise wird das Blut der Märtyrer heute der Same für die Einheit der Christen sein. Die Märtyrer im Himmel haben, wie Papst Johannes Paul II. immer wieder betonte, eigentlich die Einheit schon gefunden, die wir noch suchen müssen auf dieser Erde. Insofern werden die Märtyrer uns helfen, diese Einheit zu finden. Auch Papst Franziskus spricht immer wieder von der Ökumene des Blutes, weil die Christen heute nicht verfolgt werden, weil sie Katholiken, Protestanten oder Orthodoxe, Orientale, Pentocostale oder Evangelikale sind, sondern weil sie Christen sind. Das Blut der Märtyrer trennt nicht, sondern eint. In dem Sinne teile ich die Hoffnung von Bischof Georges, dass bei aller Tragik und aller Grausamkeit, die bei der Christenverfolgung gegeben sind, wir dennoch in der Hoffnung leben dürfen, dass es ein wesentlicher Beitrag zur Einheit der Christen sein wird. Ich bin sogar davon überzeugt, dass die Ökumene der Märtyrer eine sehr wichtige Gestalt der Ökumene heute überhaupt ist.

Auf welchen Schritt hoffen Sie als nächsten im katholisch-orthodoxen Dialog?

Wir haben im September wieder eine Vollversammlung der internationalen gemischten Kommission zwischen der katholischen Kirche und allen orthodoxen Kirchen geplant – der theologische Dialog wird nicht bilateral geführt, sondern multilateral mit allen orthodoxen Kirchen gemeinsam. Ich hoffe, dass wir nach mühsamen Phasen in den letzten Jahren vor allem bei der Grundfrage des Verhältnisses zwischen Synodalität und Primat einen Schritt weiterkommen können. Wir dürfen das Ziel nicht aus den Augen verlieren. Das Ziel muss sein, dass die Einheit der Kirche in Ost und West wiedergefunden wird, dass wir den gemeinsamen eucharistischen Altar teilen können, wie das beispielsweise der Ökumenische Patriarch Athenagoras schon in den sechziger Jahren sehr klar gesagt hat: Wir teilen denselben Glauben, wir sind Geschwister, es ist höchste Zeit, dass wir den gemeinsamen Altar wiederfinden. Ich wäre manchmal froh, wenn die Leidenschaft, die in den sechziger Jahren da war, in den heutigen Verhandlungen wieder ein bisschen präsenter wäre.

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