Erheben und inspirieren
Eigentlich wollte er Schauspieler und Dichter werden, dann wurde er Priester und Papst. Doch die Liebe zum Wort und zur Poesie behielt Johannes Paul II. (1920–2005) bei
Von Stefan Meetschen
Die Tagespost, 22. Januar 2016
Hl. Papst Johannes Paul II. (162)
Poet, Priester und Prophet – dies alles und noch viel mehr war der am 18. Mai 1920 im südpolnischen Wadowice geborene Karol Wojty³a alias Papst Johannes Paul II., den die Weltkirche seit dem 27. April 2014 offiziell als Heiligen verehrt.
Bereits als Schüler las er die Dramen und Gedichte William Shakespeares, Stanis³aw Wyspiañskis, Adam Mickiewiczs und anderer bedeutender Schriftsteller. Seine erste Sammlung eigener Gedichte nannte er in Anspielung an das Gebirge, welches Polen von der Slowakei trennt, “Beskiden Balladen” (Ballady beskidzkie). Diejenigen, denen er die Gedichte vortrug, erinnerten sich später an die dramatischen und folkloristischen Elemente dieser Gedichte, sowie an die marianischen Motive, die in ihnen anklangen (Vgl. Karol Wojty³a: Poezje. Nachwort von Krzysztof Dybciak, 2011).
So war es nicht überraschend, dass Wojty³as Studienwahl nach dem Abitur auf die polnische Philologie fiel. Was ihn damals vor allem faszinierte, war, wie er es selbst im Erinnerungsbuch “Geschenk und Geheimnis” (Dar i tajemnica, 1996) ausgedrückt hat: “das Geheimnis des Wortes”, die Schönheit der Sprache und des Theaters. Diesem Geheimnis widmete er sich nicht nur wissenschaftlich, sondern auch künstlerisch: Als Schauspieler und Dramatiker (Jeremia, 1940; Der Bruder unseres Gottes, 1944–1950; Der Laden des Goldschmieds, 1960) bei der Theatergruppe “Studio 39” in Krakau und als Dichter. Im Frühjahr des Jahres 1939 beendete Wojty³a, wie der polnische Literaturwissenschaftler Krzysztof Dybciak schreibt, die Arbeit an der Gedichtsammlung “Slawisches Buch” (Ksiêga S³owiañska), in Polen auch bekannt unter dem Titel “Der Renaissance Psalter” (Psa³terz renesansowy).
Wie beide Titel zusammen betrachtet nahelegen, handelt es sich bei diesen frühen Sonetten um ein beschwingtes Spiel mit verschiedenen kulturellen Traditionen: west- und osteuropäische Einflüsse, christliche, antike, aber auch heidnische Riten, Bilder und Themen finden in diesen Gedichten ebenso eine Einheit, wie Lebensfreude und Melancholie. Christus taucht darin als der”weisse Gast der Sehnsucht” auf, die “Seele” des lyrischen Ichs wird ausdrücklich als “slawisch” bezeichnet. Sie betrachtet die “Schönheit“, besitzt eine “Sehnsucht nach dem Paradies“ aus einer “ewigen Angst“ heraus (Sonett VIII). Es fällt auf, dass Gott in diesen Gedichten, wie Dybciak zu Recht hervorhebt, oft als Künstler (“allmächtiger Bildhauer“, “Vater der grossen Poesie“, “Schnitzer heiliger Figuren“) dargestellt wird.
Ein Brief Wojty³as aus dem gleichen Jahr an seinen Kommilitonen Mieczys³aw Kotlarczyk zeigt, dass es dem Papst als jungem Mann tatsächlich nicht darum ging, ein paar gefällige religiöse Verse von der Hand zu lassen. Er besass ein poetisch-künstlerisches Programm, in welchem die Heimat ebenso wie die Metaphysik keine unwichtige Rolle spielte. “Das lateinische Polentum, das auf dem Christentum fusst, ist eine grosse Macht, ein Reich des Geistes, eine Idee, welche die leidenschaftlichste Liebe verdient. (…) unsere Kunst stammt von unserer Nation und soll unserer Nation dienen.” Die Kunst müsse ein “Führer auf dem Weg zu Gott sein“, das Theater solle den Menschen “erheben und inspirieren“, ihn gar in ein “engelhaftes Wesen verwandeln“ (Brief von Karol Wojty³a an Mieczys³aw Kotlarczyk vom 14. November 1939, zit. nach Dybciak). Ein solcher religiös-patriotischer Idealismus war unter den jungen künstlerischen Zeitgenossen Wojty³as in Polen durchaus nicht selbstverständlich, gab es damals doch auch junge Künstler, die sich mit Wonne dem Nihilismus in die Arme warfen. Mit dem Beginn des Zweiten Weltkrieges Anfang September 1939 und dem Tod des Vaters 1941 änderte sich jedoch deutlich die Akzentuierung von Karol Wojty³as wissenschaftlich-künstlerischen Interessen.
Wojty³a, der bereits im Alter von acht Jahren seine Mutter und mit zwölf Jahren seinen älteren Bruder verloren hatte, fand sich mit einem Mal als Vollwaise wieder; dadurch und durch die physische, ihn vor Deportation schützende Arbeit im Steinbruch “Zakrzówek“ und beim Chemiewerk “Solvay“ wurde ein “Prozess der Abkehr“ von seinen früheren Plänen eingeleitet, der schliesslich in dem klaren Bewusstsein gipfelte:”Der Herr will, dass ich Priester werde“. Viel ist über diese Lebenswende des späteren Papstes spekuliert worden, manche Autoren haben sie psychologisch zu deuten versucht, andere haben darin ein fast schon mystisches Geschehen zu erkennen geglaubt. Was dabei oft vernachlässigt wurde, ist die Tatsache, dass der Dichter (und Dramatiker) in Wojty³a trotz der kirchlichen Karriere in Krakau und später dann in Rom weiterlebte. Weshalb der polnische Primas Kardinal Stefan Wyszyñski mit seinem ebenso legendären wie lapidaren Urteil, es handle sich bei dem Bischof von Krakau um einen “Poeten“, eigentlich gar nicht so falsch lag.
Trotz der ungeheuer grossen und breiten Aufgabenfülle dichtete Karol Wojty³a nämlich weiter. 1946 im Jahr seiner Priesterweihe erschien auch sein Gedichtband “Der verborgene Gott“ (Pieœñ o Bogu ukrytym). Es folgten weitere Gedichtveröffentlichungen – meist für die katholische Wochenzeitschrift “Tygodnik Powszechny“ unter dem Pseudonym Andrzej Jawieñ oder Stanis³aw Andrzej Gruda.
Auch in diesen Gedichten, die von der Form her freier sind als die frühen Balladen und eher wie poetische Gedanken und Meditationen wirken, weicht Wojty³a nicht von seinem universalen Interesse am Menschen ab. Die religiösen Bilder und Symbole vermischen sich jedoch stärker mit philosophischen Reflexionen. Ohne – darin den Werken T.S. Eliots oder Czes³aw Mi³oszs ähnlich – zu kopflastig zu werden. Gut erkennbar ist dies etwa im vierten Teil des Grossgedichts “Gesang des glänzenden Wassers“ (Pieœñ o blasku wody, 1950), der von der Begegnung Jesu mit der Samariterin handelt. Einfühlsam schildert Wojty³a das prophetische Geschehen aus Sicht der Frau: “Er ging mühelos durch mich hindurch/ und erschien in mir durch meine Scham und lange unterdrückte Gedanken./ Es war, als fühlte er das Pochen meiner Schläfen, und plötzlich liess er in mir eine unsägliche Müdigkeit aufkommen…/ und sorgfältig …/ Die Worte waren einfach. Sie zogen an mir vorbei wie angelockte Schafe./ Und innen … in mir zerstoben sie im Neste schlummernde Vögel./ Alles war da, in meiner Sünde und in meinem Geheimnis.”
Keine theologische Analyse strebt Wojty³a in diesen Versen an, die übrigens auf der CD “Gedichte von Karol Wojty³a“ (2005) sehr ausdrucksstark von Peter Fitz interpretiert werden. Es geht ihm um eine Vision der Einfühlung, ein poetisches Nacherleben der Begegnung eines sündigen Menschen mit seinem wissenden Erlöser.
Wie sehr Wojty³a die eigenen biographischen Erfahrungen auf der Ebene der Dichtung beschäftigten, zeigt das Gedicht “Steinbruch“ (Kamienio³om, 1956). Dort heisst es: “Fürchte dich nicht. Menschliches Tun braucht weite Ufer./ Es lässt sich nicht lange in enge Flussbetten zwängen./ Fürchte Dich nicht. Menschliche Taten währen Jahrhunderte/ in Ihm, zu dem Du aufschaust beim Schlagen der Hämmer im Takt.” Der religiöse Charakter auch dieser körperlichen Schwerstarbeit ist unübersehbar. Wobei Wojty³a dem arbeitenden Menschen eine ungeheure Grösse und Kraft zuspricht. “Doch ist es nicht der elektrische Strom, der die Gesamtheit der Kräfte löst,/ sondern er, der sie in seinen Händen hält:/ der Arbeiter.” Schimmert in diesen Worten nicht schon das spätere soziale Programm der päpstlichen Predigten und Enzykliken durch? Wird nicht hier schon deutlich, dass es nicht die Arbeit ist, die dem Menschen Würde verleiht, sondern dass im Gegenteil der Mensch in der Auseinandersetzung mit der Materie die Arbeit adelt?
Einen lyrischen Blick auf sich selbst und den eigenen Werdegang wagt Wojty³a auch im Gedicht “Der Schauspieler“ (Aktor, 1957), das in der Gedichtsammlung “Profile des Kyrenäers“ (Profile cyrenejczyka) und im Vorjahr seiner Ernennung zum Weihbischof von Krakau erschien. “Zum Flussbett bin ich geworden, in ihm strömt eine Kraft/ – die Mensch heisst./ Aber bin auch ich ein Mensch, / hat mich der anderen Andrang nicht auch verdreht?” Der Mann, der später Rom und den Erdkreis mit seiner Wortkraft segnen und für Christus erobern sollte, hatte seine geistliche Hirtenrolle bereits gefunden. Davon gibt auch der Zyklus “Kirche: Die Hirten und die Quellen” (Koœció³: Pasterze i Ÿród³a, 1962) Zeugnis. Geschrieben zu Beginn des Zweiten Vatikanischen Konzils fasst er die überwältigenden Eindrücke zusammen, die der Priester und Poet aus Wadowice bei diesem kirchlichen Jahrhundertereignis spürte – in gewisser Weise prophetische Eindrücke.
Zieht Wojty³a darin doch eine lyrische Linie zwischen dem Dienst des Petrus als Fels der Gläubigen und dem Priester, welcher bei der Weihe in Kreuzesform auf dem Boden liegt. “Du bist Petrus. Du willst hier der Boden sein, damit andere auf Dir wandeln/ (sie gehen voran und wissen nicht wohin), um zu gelangen, wohin Du ihre Schritte leitest,/ damit die Räume sich vereinen auf einen Blick, der die Gedanken ans Licht bringt.”
Bekanntlich wurde Wojty³a 16 Jahre später dann selbst zum Fels der Weltkirche, zum katholischen Propheten im globalen Weltdorf, der hellsichtig und unermüdlich vor der “Kultur des Todes” und diversen ideologischen Gefahren warnte. Nicht nur vor dem Kommunismus und dem Kapitalismus, sondern bei allem Sinn für die Freiheit auch vor den Gefahren eines schrankenlosen Liberalismus. “In einer Welt, in der nichts mehr wirklich wichtig ist, in der man tun kann, was man will, besteht die Gefahr, dass Prinzipien, Wahrheiten und Werte, die in Jahrhunderten mühsam erworben wurden, auf die Müllhalde eines übertriebenen Liberalismus gekippt werden.” (Ansprache im Vatikan an die bayerischen Bischöfe, am 4. Dezember 1992)
Die Zeit zum Dichten liess er sich trotz seines vollen Terminkalenders nicht nehmen. Nachdem Johannes Paul II. bereits ganz am Anfang seines Pontifikats mit dem Gedicht “Sankt Stanislaus“ (Stanis³aw, 1979; auf Deutsch veröffentlicht in: “Auf, lasst uns gehen!”, 2004) eine Hymne auf den polnischen Märtyrer-Bischof wie auf die polnische Kirche überhaupt (“Ich möchte die Kirche besingen –/ meine Kirche, gebunden an mein Land/ mein Land auf dieser Erde”) verfasst hatte, legte er 2003 neue Gedichte vor, die von der restaurierten Darstellung des “Jüngsten Gericht” in der Sixtinischen Kapelle eine entscheidende Inspiration fanden. Das “Römische Triptychon“ (Tryptyk Rzymski) sorgte in der Kirchen- und Kunstwelt für Aufsehen. “Willst du die Quelle finden, musst du hinaufsteigen, immer weiter, gegen den Strom”, schreibt der greise Papst in der ersten Tafel dieses grossen poetischen Spätwerks.
Am Ende seines Lebens wurde es der Welt deutlich, dass dieser Papst, der so viele Reisen und Rollen, Anschauungen und Appelle harmonisch verbinden konnte, was kleinere Geister in ihrer Enge zuweilen erschreckte und erschreckt, nicht nur ein grosser Poet, Priester und Prophet war, sondern sein ganzes Leben selbst, das am 2. April 2005 um 21.37 Uhr endete, die Züge eines irdisch-himmlischen Gedichts besass.
Eines Gedichtes, das sich weiterhin zu lesen und zu studieren lohnt.
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