Die ungerechte Kluft

Wut kann einen angesichts der Zahlen überkommen, die Oxfam Anfang der Woche zu den globalen Eigentumsverhältnissen veröffentlicht

Von Reinhard Nixdorf

Die Tagespost, 20. Januar 2016

Wut kann einen angesichts der Zahlen überkommen, die Oxfam Anfang der Woche zu den globalen Eigentumsverhältnissen veröffentlicht hat. Laut der Nichtregierungsorganisation verfügen 62 Superreiche über ein Vermögen, wie die gesamte ärmere Hälfte der Weltbevölkerung zusammen – und das sind immerhin 3,6 Milliarden Menschen. Dies kann nicht Ergebnis eines Konkurrenzkampfes sein, bei dem jeder mit einer fairen Chance antrat.

Vermutlich arbeiten Superreiche wie Bill Gates sehr hart. Doch vor allem sind sie in einer lukrativen Branche unterwegs. Und wenn in den Vereinigten Staaten die Gehälter der Konzernbosse seit Ende der 1970er Jahre neunzig Mal schneller gestiegen sind als die der Durchschnittsangestellten, hat das weniger etwas mit ihrer Leistung zu tun als mit der Entwicklung der Börsenkurse. Harte Arbeit allein macht nicht reich. Näherinnen in Bangladesh, die für einen Hungerlohn bis zur Erschöpfung schuften, werden es bestätigen.

Nun ist es nicht neu, dass produktiv eingesetztes Vermögen, also Kapital, noch mehr Vermögen produziert und es deshalb eine natürliche Tendenz gibt, dass Reiche immer reicher werden. Deshalb gibt es ja Steuern, um hier einen Ausgleich zu schaffen. Aber die reichsten Unternehmen und Privatpersonen halten dagegen und beschäftigen ein Heer von Investmentberatern und Anwälten, um ihr Vermögen vor dem Fiskus in Sicherheit zu bringen. Oxfam zufolge haben die Vermögenden der Welt derzeit rund 7,6 Billionen Dollar in Steueroasen wie der Schweiz, Luxemburg oder Singapur geparkt. Weltweit entgehen den Regierungen dadurch jährlich 190 Milliarden Dollar an Steuereinnahmen, hat der Ökonom Gabriel Zucman ausgerechnet – mehr als die gesamte globale Entwicklungshilfe.

Aber Steuersysteme schaffen eben auch nicht immer Ausgleich und steigern so die Ungleichheit – auch in Deutschland: Hierzulande werden Einkünfte aus Arbeit viel höher besteuert als die aus Kapital oder Immobilien: Löhne und Gehälter bis zu 42 Prozent, Kapitalerträge pauschal aber nur zu 25 Prozent. Diese pauschale Abgeltungssteuer hatte der damalige Finanzminister Steinbrück 2009 mit dem Argument eingeführt, sie wirke der Kapitalflucht und Steuerhinterziehung entgegen: 25 Prozent von X seien besser als 45 Prozent von nix. Zweifel an der Glaubwürdigkeit dieser Milchmädchenrechnung waren schon damals angebracht. Und sind es jetzt erst recht, wenn man die geradezu wütenden Reaktionen der Kapitalseite auf vage Überlegungen des Steinbrück-Nachfolgers Schäuble hört, die Abgeltungssteuer wieder abzuschaffen.

Letztlich haben ungerechte Steuergesetze denselben Effekt wie Steuerhinterziehung und -vermeidung. In den öffentlichen Kassen fehlt Geld für Bildung, Investitionen, Krankenversorgung, Sozialhilfe – Geld, das dazu dienen könnte, Menschen eine Chance zu geben, sich zu entwickeln und ihr Leben in die eigenen Hände zu nehmen. Es ist ein Skandal, dass sich immer mehr Geld in den Händen immer weniger Superreicher sammelt. Dieser Trend begünstigt eine Wirtschaft, von der Papst Franziskus sagt, dass sie tötet. Hier werden Menschen allein deshalb ausgegrenzt und um ihre Chance gebracht, weil sie arm sind.

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