Zivilisatorischer Genickbruch

“Die Büchse der Pandora ist längst geöffnet und nichts wird das, was sie entliess, wieder unter Kontrolle bringen”

Von Stefan Rehder

Die Tagespost, 24. April 2015

Dass sich die Publikation der Keimbahnexperimente, die Wissenschaftler aus China an menschlichen Embryonen vorgenommen und die sie in der Fachzeitschrift “Protein und Cell” nun veröffentlicht haben, weitgehend als ein Dokument des Scheiterns lesen lässt, ist kein Anlass zur Entwarnung. Auch dass die beiden renommierten Journale “Nature” und “Science” die Veröffentlichung der Studie des Forscherteams um Junjiu Huang von der Sun Yat-sen Universität in Guangzhou ablehnten, ändert daran so wenig, wie der Appell des US-amerikanischen Wissenschaftlers Edward Lanphier und vier seiner Kollegen, Forscher sollten vorerst darauf verzichten, die menschliche DNA modifizieren zu wollen. Die Büchse der Pandora ist längst geöffnet und nichts wird das, was sie entliess, wieder unter Kontrolle bringen.

Nicht, weil Menschen dazu prinzipiell unfähig wären, sondern weil es faktisch zu wenige wollen. “Es ist der Traum der Biologen, die DNA-Sequenz, den Programmiercode des Lebens zu besitzen und ihn bearbeiten zu können, wie ein Dokument in einem Textverarbeitungsprogramm”, erklärte der US-amerikanische Stammzellforscher Michael West bereits zur Jahrtausendwende. Seitdem hat sich die Zahl derer, die die Evolution des Menschen in die Hand nehmen wollen, vervielfacht. Auch das Handwerkszeug, mit dem sie dem “Programmiercode des Lebens” auf den Leib rücken, ist immer leistungsfähiger geworden.

Das Entsetzen über den Misserfolg von Huangs Teams wird nicht von Dauer sein. Im Gegenteil: Huangs Konkurrenten werden ihre Anstrengungen nun zu verdoppeln suchen. Allein in China forschen mindestens drei weitere Forscherteams an der Manipulation der menschlichen DNA. Übersehen wird dabei: Selbst eine erfolgreiche Keimbahnintervention würde nicht das Ende von Krankheit, sondern das Ende der zufälligen genetischen Ausstattung bedeuten, die noch allen Menschen gemeinsam ist. Sie aufzugeben, entzöge nicht nur der Demokratie die Grundlage, sondern bräche auch unserer Zivilisation endgültig das Genick.

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