“Keine Grenze zwischen Liturgie und Leben”

Heiligenkreuz und Papst Benedikt XVI., das sei “eine Liebesgeschichte, die heute schon Früchte trägt”, bestätigte bei einem Besuch im Wienerwald Kurien-Erzbischof Georg Gänswein

Papst aus BayernVon Stephan Baier

Die Tagespost, 07. Oktober 2015

Erzbischof Georg Gänswein eröffnete das akademische Jahr in Heiligenkreuz mit einer Vorlesung zur Entweltlichungsthese Papst Benedikts XVI.

“Ein Haus voll Glorie schauet, weit über alle Land“, erscholl da in der altehrwürdigen Abteikirche des Zisterzienserstiftes Heiligenkreuz zur Gabenbereitung. Gemeint war damit natürlich weder die 1802 gegründete Philosophisch-Theologische Hochschule noch das bald neun Jahrhunderte alte Zisterzienserkloster, sondern die universale Kirche – “erbauet auf Jesus Christ allein”.

Gleichwohl erleben beide – das Kloster im Wienerwald wie auch seine Hochschule – seit einigen Jahren einen staunenswerten Boom: Die Zahl der derzeit 92 Mönche wächst kontinuierlich, der Altersdurchschnitt im Kloster sinkt stetig. Die Anzahl der Studierenden ist an der weltweit einzigen Hochschule der Zisterzienser in den vergangenen eineinhalb Jahrzehnten von 62 auf 274 emporgeschnellt.

“Erbauet auf Jesus Christ allein”, das würden die Zisterzienser von Heiligenkreuz wohl für ihr Kloster wie für ihre Hochschule in Anspruch nehmen. Doch auch einer seiner Stellvertreter auf Erden gehört zu den Baumeistern des Erfolgs: Papst Benedikt XVI. Er stand in der Vorwoche im Mittelpunkt mehrerer Feierlichkeiten, die den Abschluss des mehr als zweijährigen Hochschulausbaus bildeten. Zunächst wurde bei spätsommerlichem Sonnenschein am Fest der heiligen Kirchenlehrerin Therese von Lisieux unmittelbar vor dem Eingang der in neuem Glanz erstrahlenden Hochschule eine durchaus gewaltige Bronzestatue des Papa Emerito enthüllt. Geschaffen hat diese bisher einzige vollplastische Statue des bayerischen Papstes der an der Berliner Kunsthochschule ausgebildete Zisterzienserpater Raphael Statt, der “Künstlermönch” des Klosters.

Abt Maximilian Heim, der einst selbst über die Ekklesiologie Joseph Ratzingers promovierte, referierte fröhlich, was Heiligenkreuz mit Papst Benedikt XVI. verbindet: etwa, dass Kardinal Joseph Ratzinger bereits 1987 hierher kam, dass es dem vormaligen Abt Gregor Henckel-Donnersmarck 2007 gelang “über die Bischofskonferenz hinweg“ den Papstbesuch im Wienerwald einzufädeln, dass im nämlichen Jahr die vatikanische Bildungskongregation der Hochschule den Status “päpstlichen Rechts” verlieh und Altabt Gregor ihr den Namen des Papstes beifügte, dass Benedikt XVI. schliesslich am vorletzten Amtstag seines Pontifikats den Grundstein für den Hochschulausbau in Rom persönlich segnete. Auch finanziell habe dieser Papst durch die Zuerkennung des ersten “Premio Ratzinger” den Grundstein gelegt, sagte Abt Maximilian Heim. Freilich ohne zu erwähnen, dass der mit 50 000 Euro dotierte Preis ihm selbst zuerkannt worden war.

Dass in Heiligenkreuz die Werke des Professor Ratzinger auch studiert wurden als dies im deutschsprachigen Raum gerade nicht en vogue war, ergänzte Pater Karl Wallner, Rektor und Dogmatikprofessor der Hochschule. Dass ebendieser Ratzinger, der sich den Namen des Vaters des abendländischen Mönchtums als Papstnamen wählte und – nur sieben Kilometer jenseits der Grenze geboren – in Österreich fast als Österreicher gilt, dann 2007 als erster Papst der Klostergeschichte nach Heiligenkreuz kam, bringt Pater Karl mit dem Boom an der Hochschule spielerisch in Zusammenhang. Immer schon habe er die Vision gehabt, die Hochschule mit einem Missionszentrum zu verbinden, meinte Rektor Karl Wallner dann in die Zukunft blickend. Begründung: “Wenn wir nicht missionieren, müssen wir demissionieren!”

Die Verbundenheit zwischen dem Kloster im Wienerwald und dem emeritierten Papst in den Vatikanischen Gärten verkörperte und bestätigte gleichermassen der Präfekt des Päpstlichen Hauses und Sekretär Benedikts XVI., Erzbischof Georg Gänswein: “Heiligenkreuz und Papst Benedikt – das ist eine Liebesgeschichte, die heute schon Früchte trägt!” Und ohne Details zu verraten, meinte er, dass beim Papstbesuch 2007 im Wienerwald “der Heilige Geist irgendwie die Finger im Spiel hatte”.

Daran knüpfte Georg Gänswein später in seiner Predigt in der Abteikirche nochmals an – nach der Erneuerung der Weihe an die Gottesmutter, und bevor das “Haus voll Glorie” erscholl: “Gott macht uns gross. Wir müssen nicht um Grösse buhlen”, sagte der Kurienerzbischof. Er mahnte, nicht nach Grösse zu streben, sondern der Heiligung nachzujagen. Von den Kindern könne man lernen, ganz auf Gott zu vertrauen – “jede andere Einstellung führt zum Grössenwahn und auf Abwege”.

In seinem Inaugurationsvortrag zur Eröffnung des akademischen Jahres widmete sich Erzbischof Gänswein im barocken “Kaisersaal” des Klosters dann der Freiburger Entweltlichungs-Rede von Papst Benedikt. Bereits Jahrzehnte zuvor habe Joseph Ratzinger den Weg einer Theologie, die aus Bequemlichkeit und Feigheit ihren Anspruch immer weiter herunterstuft, mit dem Märchen von “Hans im Glück“ verglichen, welcher bekanntlich seinen schweren Goldklumpen gegen immer Geringeres eintauschte. Nach der Freiburger Konzerthaus-Rede hätten sich einige beeilt, deren Brisanz zu mindern, erklärte Gänswein und erntete dafür verstehendes Lachen im Publikum: “Kaum war die Rede verklungen, bemühte man sich, zu erklären, worüber Benedikt XVI. nicht gesprochen habe.” Die gegen den Papst gerichteten Vorwürfe, er rede einer Kirche das Wort, die sich aus der Welt heraushalte und von deren Elend zurückziehe, “zielten am Anliegen von Benedikt XVI. vorbei”. Für Papst Benedikt gebe es “keine Grenze zwischen Liturgie und Leben”. Horizontale und Vertikale seien “in der Eucharistie untrennbar verbunden”.

Von Weltflucht könne im Denken Benedikts keine Rede sein: Die Kirche sei zwar in der Welt, jedoch nicht von dieser Welt. Das Anliegen des Papstes sei darum gewesen, das missionarische Zeugnis durch eine von weltlichen Privilegien befreite Kirche besser zutage treten zu lassen, ja sie glaubwürdiger zu machen. Reibungen zwischen Christsein und Welt seien unvermeidlich, doch müsse der Christ der Versuchung widerstehen, so sein zu wollen wie alle anderen. Nicht Anpassung an die jeweilige Zeit und Mode, sondern an den Willen Gottes sei sein Programm. Hinter der pastoralen Krise, die Gänswein an der Sakramentenpastoral augenscheinlich machte, gebe es eine tieferliegende Krise: Die konstantinische Epoche sei vorbei, ohne dass das Zukünftige bereits sichtbar wäre. Christsein werde kaum mehr von volkskirchlichen Strukturen getragen, ja Volkskirche sei “nicht mehr das Modell für morgen”.

Im Gegensatz zu “diesen konservativen Strukturen“, die die Illusion von Volkskirche voraussetzen, habe Benedikt XVI. dazu eingeladen, “sich dem Wandel mutig zu stellen“. Bereits vor mehr als einem halben Jahrhundert habe Ratzinger die Frage gestellt, ob hinter den Strukturen auch die entsprechende geistliche Kraft stehe – und habe die Glaubenskrise als Kern der Kirchenkrise entlarvt. “Ohne Erneuerung des Glaubens bleiben alle strukturellen Reformen wirkungslos“, sagte Gänswein und zitierte aus einem Ratzinger-Aufsatz von 1958. Hierin forderte der nachmalige Papst, den “Schein der Deckung mit der Welt” Stück um Stück abzubauen – um zu zeigen, was Kirche tatsächlich ist, nämlich die Gemeinschaft der Glaubenden. Die eigentliche Glaubenskrise liege im Verblassen des biblischen Glaubens an einen geschichtlich wirkmächtigen Gott. “Ein deistisch verstandener Gott ist weder zu fürchten noch zu lieben“ – darum habe Papst Benedikt XVI. die Gottesfrage wieder in den Mittelpunkt gerückt.

Neuevangelisierung bedeute in dieser Sicht, die Menschen neuerlich zu einem Leben mit Gott zu führen. Entweltlichung bringe nicht Rückzug aus der Welt, sondern eine glaubwürdigere und missionarischere Kirche. Für das Zweite Vatikanische Konzil sei der Gegensatz zu “konservativ“ eben nicht “progressiv“, sondern “missionarisch“, so Erzbischof Gänswein. Er lud dazu ein, den “teuren Schatz der Freiburger Rede“ zu heben und mit Entweltlichung und Neuevangelisierung einen “Perspektivenwechsel für die Gläubigen in der Kirche” zu wagen. Dass solche Appelle im Wienerwald nicht einfach verhallen, zeigte nicht bloss der Applaus. Hochschulrektor Karl Wallner meinte angesichts von 274 Studierenden, von denen 170 bereits Ordens- oder Priesteramtskandidaten sind, Heiligenkreuz müsse eine Stätte mit der Ausstrahlung von “ite, missa est“ sein. Und auch die Bronzeskulptur von Benedikt XVI., die von nun an vor dem Eingang zur Hochschule sichtbar ist, wird an den Papst der Entweltlichung und an seine Einladung zum Leben mit dem lebendigen Gott dauerhaft erinnern.

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