Wer keine Identität hat, tut nichts Böses

Die Katholische Akademie in München stellte die Frage nach dem Bösen in Christentum und Buddhismus

Christus Pantokrator 13. Jahrhundert, Kloster Hilandar, AthosVon Alexander Riebel

Die Tagespost, 12.06.2015

Die Katholische Akademie in München stellte die Frage nach dem Bösen in Christentum und Buddhismus.

Von Alexander Riebel

Die Religion bestimmt das Menschenbild. Diese Selbstverständlichkeit wird dann dramatisch, wenn es zu Deformationen kommt. Der Buddhismus ist dafür ein Beispiel, wie bei der Abendveranstaltung “Die Frage nach dem Bösen in Buddhismus und Christentum” am Dienstag in der Katholischen Akademie in München deutlich wurde. Denn für den Vertreter des buddhistischen Parts, Karl-Heinz Brodbeck, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Fachhochschule Würzburg-Schweinfurt sowie seit 2003 Vorsitzender des Kuratoriums der Fairness-Stiftung Frankfurt und seit 2007 Mitglied im wissenschaftlichen Beirat des Tibethauses (Frankfurt), hat der Mensch keinerlei Identität.

Das Ich ändere sich in jedem Augenblick und wenn das Ich sterbe, dann sterbe auch die Zeit: “Wir leben nicht in der Zeit, das ist befreiend.” Dass Menschen keine benennbare Identität haben, geht nach Brodbeck im Buddhismus sogar so weit, dass das einzig Identische der Name des Menschen sei. Der Glaube an ein Ich sei nach Buddha ziemlich “närrisch”: “Ich bin Mann oder Frau, katholisch oder protestantisch – man definiert seine Wahrheit immer als Mittelpunkt der Welt”, meinte der Referent. Doch verwechselt Brodbeck, der von sich sagt, kein Buddha-Experte zu sein, nicht die Realität der Identität mit der buddhistischen Lehre, nach der wir nichts als substanziell ansehen sollen und somit nichts als im Kern identisch? Denn dass wir eine Vergangenheit und eine Zukunft haben und uns in dieser Zeitspanne schämen können, hätte wohl auch Buddha nicht bestritten. Dass er unsere Wirklichkeit als Schein betrachtet, spricht dem Menschen zwar Identität als eine Wesensbestimmung ab, in der wirklichen Welt dagegen sollen wir sittlich handeln und dafür bedarf es auch des Seins der Menschen.

Die Auffassung vom identitätslosen Ich konnte natürlich nicht unwidersprochen bleiben und der Professor für Systematische Theologie an der Universität Duisburg-Essen, Ralf Miggelbrink, hatte da leichtes Spiel. Er konnte zum Beispiel zeigen, dass sich das Ich am Du bildet, dem es sich zuwendet und dass es vor sich bestehen muss, wenn es etwas Böse getan hat. Dafür ist natürlich Identität vorausgesetzt, die sich in der Zeit verwirklicht. Interessant war in diesem Zusammenhang auch der Einwurf eines Zuhörers gegen Brodbeck, wonach Kinder bereits im Alter von 18 Monaten Scham empfinden und erröten könnten und damit ein Selbstverhältnis in der Sozialsphäre ausbilden. Auch hierfür ist Identität nötig, wenn über eine zurückliegende Handlung Scham empfunden wird.

Das Thema des Abends war das Böse in Buddhismus und Christentum. Für den Monotheismus sei das Böse eine dringendere Frage als in anderen Religionen, sagte einleitend die Moderatorin des Abends, Katharina Ceming, Professorin für Fundamentaltheologie an der Universität Augsburg. In der jüdischen Tradition sei die Frage nach dem Bösen erst mit der “Ethisierung Gottes” aufgekommen. Während in den monotheistischen Religionen die Spannung zwischen Gut und Böse bestehe, gebe es im Buddhismus den Gegensatz zwischen richtigem Erkennen und nicht-Erkennen. Dem stimmte auch Brodbeck zu, der den ersten Vortrag hielt.

Brodbeck bemängelte eingangs, dass die frühen deutschen Übersetzungen durch eine christliche Sicht beeinflusst seien, im englischen Sprachraum habe es das nicht so gegeben. Die Übersetzung der Ausdrücke aus dem indischen “kusula“ mit gut und “akusula“ mit böse halte er für verfehlt. Angemessener sei die Bedeutung heilsam und unheilsam. Heilsam sei es, nicht nur nicht an den Dingen zu hängen, sondern unsere Abhängigkeit von ihnen zu durchschauen. Erkenntnis sei demnach das Schlüsselwort, warum es diese Welt gibt. Denn verhängnisvollerweise folgen wir nach Buddha Vernunftgründen, oder auch dem Schein der Wirklichkeit oder wollen einem Meister folgen. Aus solchen Gründen richten wir uns die Welt ein. Aber ist das nicht eine Trivialität, dass der Mensch die Welt ummodeln kann, wie er möchte? Der Buddhist Brodbeck hatte nur die empirisch-reale Welt im Blick, nicht aber deren unverfügbare Vor-aussetzungen, innerhalb deren Menschen die Welt verändern. Vollends problematisch wird dann der Rat Buddhas, den Brodbeck mit den Worten zusammenfasst, man solle keinen Traditionen folgen und auch nicht der Logik, selbst nicht den Worten Buddhas, wenn man sie nicht aus eigener Erkenntnis für richtig hält. Ganz aufklärerisch müssten sich alle Traditionen und Prinzipien vor dem Richterstuhl der privaten Einsichten der Menschen bewähren, was einem Aufruf zur Beliebigkeit gleichkommt. Denn nach welchen Massstäben sollen sich diese Einsichten vollziehen, wenn nicht durch die in Traditionen gelernten?

Das Böse ist nun nach Brodbeck, den Anhänglichkeiten an die Welt im Begehren, Irren und Hassen nachzugeben. Der Buddhismus kennt weder einen physischen Ort der Hölle, noch ein schlechthin Böses; “das Böse riecht nicht nach Schwefel noch hat es Hörner auf”, meinte Brodbeck als Seitenhieb auf das Christentum. Die Einflüsterungen des Bösen kämen nur aus dem eigenen Geist; Sünde oder Strafe kenne der Buddhismus nicht. Das schlechte Karma entsteht nach Brodbeck durch Gewohnheit: aus wiederholtem Rauchen entstehe die Gewohnheit des Rauchens und daraus eine neue Person: der Raucher. Im engeren Sinne ist es natürlich keine neue Person, Aber das nimmt der Buddhist nicht so genau. Daher klingt das so trivial wie die buddhistische Auffassung, das Gute am Bösen sei, dass es jeder selbst reinigen könne: “Wir gestalten uns selbst. Wir sind Hausmeister in unserer Wohnung und unser Schlüssel ist die Achtsamkeit.” Wer sich selbst reinigen kann, wird sich offenbar auch selbst seine Schuld vergeben. Dass wir Negatives in Heilsames verwandeln könnten, legt die metaphysikfreie bloss empirische Welt des Buddhismus offen. “Kein Bekenntnis ablegen, sondern einfach tun”, heisst die Devise nach Brodbeck, aber nach welchen Massstäben sollen wir handeln? Wie soll man den “Teufel in Engel verwandeln” können, wenn man sich nur auf das Mitgefühl als Grundlage des Handelns verlässt. Und warum sollte man Mitgefühl haben? Das hat Brodbeck nicht begründet.

Für den Theologen Ralf Miggelbrink ist das Böse zunächst einmal sündhaftes Versagen. Miggelbrink machte deutlich, dass das Problem des Erkennens des Bösen keineswegs nur eine Eigenart des Buddhismus sei. Die Furcht, die ethische Pflicht nicht zu erkennen, habe bereits seit dem Hochmittelalter Spuren zurückgelassen. Das Böse hat demnach auch den Aspekt, vor anderen nicht versagen zu wollen und gründe letztlich in der Angst, den Bund mit Gott zu zerstören. Warum aber gibt es in Gottes Schöpfung, die doch gut ist, überhaupt etwas, das gesollt wird, fragte Miggelbrink. Als Wurzel der Sünde erklärte er das falsche Erkennen. Darum ist das Böse nur durch Negation erkennbar – es verdecke das Sein, sei substanzlos, weder gut noch schön, es bestehe in Schwäche und Täuschung. Zu Brodbeck sagte Miggelbrink, er würde nie sagen, das Ich sei substanzlos; das sei es gerade nicht, vielmehr nannte er das Böse substanzlos. Doch so etwas zu erkennen setzt Metaphysik voraus.

Mit der Aufklärung hat das Böse nach Miggelbrink an Bedeutung verloren. Bei Kant werde das Böse auf den Eigennutz des Subjekts bezogen und mit der Deutung als Egoismus aufgewertet: Die Überwindung des Egoismus wird damit zur Überwindung des Bösen. Hannah Arendt wurde dem Bösen gerechter, wenn sie auf seine banale Mächtigkeit hinweist, bei dem es nicht einmal um Eigennutz gehe, sondern um ein intellektuelles und ästhetisches Phänomen.

Das Konkurrenzdenken als Menschheitsverhängnis

Wichtig für das Verständnis des Bösen ist für Miggelbrink auch die Forschung des Religionsphilosophen René Girard. Für Girard nämlich sei die Mimetik, die Nachahmung, ein “Menschheitsverhängnis”. Die Kompassnadel unseres Handelns sei das Begehren, der Neid auf das, was andere besitzen. Schon bei Kain und Abel sei das Problem der Konkurrenz aufgetreten, aber die Religion müsse die Mimetik in den Griff bekommen. Die Kirche habe das erreicht durch Vergebung und indem sie sich auf die Seite der Unterlegenen stellt.

Miggelbrink wies auch darauf hin, dass heute selbst Strafrechtler kaum in der Lage seien, das Böse zu denken, sie sprechen lieber von unerlaubten Handlungen. Während sich die Hochkultur immer mehr vom Bösen entferne, nehme dessen Bedeutung in der Subkultur zu. Einzig Papst Franziskus habe kürzlich vom Bösen gesprochen – in einer Perspektive, die man an dem Abend in München vermisste. Denn böse Handlungen, über die hauptsächlich gesprochen wurden, berühren noch nicht die Frage nach dem Bösen an sich. Wenn es sub-stanzlos und nur durch Negation des Seins erkennbar ist, kann es dann überhaupt Macht über den Menschen erlangen? Der Buddhismus hat hierzu erklärtermassen nichts zu sagen. Aber scheuen auch Theologen vor diesen Fragen zurück? Ein Tagungsbesucher warf am Ende ein, manche sagten, wer seinen Glauben bekenne, sei schon fast in der Psychiatrie. Umso mehr ist es wichtig, Klarheit über das Verständnis des Bösen zu finden.

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