Pastoral der kleinen Schritte

Kolloquium im “Institut Johannes Paul II. für Studien über Ehe und Familie” in Rom zum Thema “Eucharistie und Ehe”

Institut Johannes Paul II. für Studien über Ehe und Familie

Von Claudia Kock

Eine eucharistische Seelsorge, die tiefer an das Mysterium führt, täte allen Gläubigen gut – nicht nur jenen, die bewusst die geistliche Kommunion pflegen.

Rom, Die Tagespost, 27. April 2015

“Eine Gewohnheit, die aus Unwissen oder Einfalt entstanden ist, erstarkt oft zum Gewohnheitsrecht und wird so gegen die Wahrheit zum Rechtsanspruch erhoben”, schrieb der christliche Schriftsteller Tertullian zu Beginn des dritten Jahrhunderts, und fügte hinzu: “Unser Herr Christus sagte jedoch: ‘Ich bin die Wahrheit‘, und nicht: ‘Ich bin die Gewohnheit‘.” In der gegenwärtigen Debatte um die bevorstehende Familiensynode mit ihrer – vor allem von deutscher Seite erhobenen – Forderung nach einer Anpassung der kirchlichen Disziplin an die heutige Lebensrealität von Ehepaaren klingen diese Worte sehr aktuell. Wie aktuell sie sind, machte in der vergangenen Woche ein Kolloquium zum Thema “Eucharistie und Ehe: zwei Sakramente, ein Bund” deutlich, das am römischen “Institut Johannes Paul II. für Studien über Ehe und Familie” stattfand.

Bis vor wenigen Jahrzehnten, so Joseph Atkinson von der US-amerikanischen Zweigstelle des Instituts, “wurde die Ehe als Teil der natürlichen Ordnung und Grundbaustein der Gesellschaft betrachtet“. Seitdem habe sich die westliche Welt immer mehr einem radikalen Individualismus verschrieben, der die Ehe “auf eine persönliche Entscheidung und ein individualistisches Konstrukt reduziert“ – im Gegensatz zur biblischen Sichtweise, in der die Ehe sowohl persönliche als auch gemeinschaftliche Dimensionen besässe. Das allgemeine Priestertum der Getauften schenke ihnen Anteil an der Heiligkeit Gottes durch das Kreuzesopfer Christi. “Eine Legitimierung des Ehebruchs“, so Atkinson, “widerspräche der Einheit von Gottes eigenem Wesen, der Logik der Menschwerdung und dem ehelichen Bund zwischen dem Gottesvolk und Christus.“ Sie würde das Sündhafte, das Christus überwunden hat, wieder in die Schöpfung hineinbringen – so als wollte man “das Kreuzesopfer rückgängig machen und gleichzeitig mit Gott in Gemeinschaft bleiben“. Die ontologische Beziehung zwischen Ehe und Eucharistie als Teilhabe am Leib Christi sei, auch wenn sie sich der heutigen Welt nicht mehr unmittelbar erschliesse, in der Bibel begründet.

Jose Granados DCJM – er wird das Institut auf der kommenden Synode offiziell vertreten – sagte, die Beziehung zwischen den Sakramenten der Ehe und der Eucharistie sei nicht nur symbolisch zu verstehen, sondern als echte Teilhabe, die in der Konkretheit des menschlichen Leibes geschehe und auch alle weiteren zwischenmenschlichen Beziehungen des Ehepaars einbeziehe: “So überwindet man die ständige gnostische Versuchung eines Christentums, das den Menschen von seinen konkreten Beziehungen und seinem Dienst am Gemeinwohl trennt.“ Dies sei auch eine “gute Botschaft“ für all jene, die nicht nach dieser Verheissung Christi leben – also etwa die wiederverheirateten Geschiedenen: Die Erkenntnis, dass zwischen dem Fleisch Christi und ihrem eigenen Fleisch ein Widerspruch bestehe und sie daher das für den Kommunionempfang notwendige “Amen“ nicht sprechen könnten, sei ein erster Schritt auf einem Weg der Busse und der Umkehr, der zur Heilung ihrer Situation führen kann.

Auf die Frage aus dem Auditorium, was man tun könne, um die Ehepaare dieser Realität anzunähern, antwortete Granados, dass jeder Menschen sich nach einer Erfüllung sehne, die der Zersplitterung unserer Zeit entgegensteht. Hier müsse man zur Neuevangelisierung ansetzen. Durch die treue Liebe seiner Eltern könne ein Kind lernen, die Verheissung des Ehebundes, die der Taufe entspringt, zu begreifen und in seinem Leben darauf zu vertrauen. Bei Ehekrisen sei die gegenseitige Vergebung der Eheleute wichtig, die als Weg des Kreuzes gelebt werden müsse, auf dem die Eheleute der pastoralen Begleitung bedürfen. Diesen Aspekt bekräftigte ein Teilnehmer aus dem Auditorium: In seiner eigenen 24-jährigen Ehe sei die Fähigkeit zur Vergebung vor allem dem Bewusstsein entsprungen, dass der Wert der Ehe das Zeitliche übersteigt. Bei seiner Eheschliessung sei es für ihn selbstverständlich gewesen, dass diese “für immer“ sei. Den neuen Generationen, die oft nur die menschliche Ebene sehen, müsste dies wieder stärker vermittelt werden.

Über Ehe, Priesteramt und Ordensleben als drei Ausdrucksformen des Bundes zwischen Christus und der Kirche sprach Noëlle Hausman SCM. Sehr emphatisch entgegnete sie auf einen Einwand aus dem Auditorium: Warum sind Ordensgelübde lösbar, Ehegelübde jedoch nicht? Die Ehe, so Hausman, sei ein Sakrament, die Ordensgelübde eine Antwort auf einen Ruf Christi. Aber auch hier sei ein Umdenken notwendig: Jedes Jahr würden etwa 3 000 Personen von Ordensgelübden entbunden, durch ein einfaches Schreiben. Dies sei “skandalös“. Thomas von Aquin gestatte die Auflösung der ewigen Gelübde nicht, und persönlich wünsche sie sich diesbezüglich eine Rückkehr der Kirche zur thomistischen Position.

Das im Rahmen der Synodenvorbereitung vieldiskutierte Thema der “geistlichen Kommunion“ wurde von Alexandra Diriart CSJ aufgegriffen. Sie sollte als “Kommunion im Verlangen“ oder “Kommunion in der Hoffnung“ verstanden werden: Für den Gläubigen, der in einer moralisch ungeordneten Situation lebt – beispielsweise ein wiederverheirateter Geschiedener – sei das Verlangen nach der vollen sakramentalen Kommunion ein erster Schritt zur Umkehr, der von der Gnade Christi inspiriert ist und dem Sakrament der Taufe entspringt. Dieser Gläubige stehe dadurch bereits in einer von der Gnade inspirierten Beziehung zur Eucharistie, auch wenn es ihm aufgrund der Lebensumstände nicht sofort möglich sei, das Hindernis zum Empfang der sakramentalen Eucharistie zu beseitigen. So beginne für ihn ein Weg, der nach einer Bereinigung der eigenen Lebenssituation – etwa dem Entschluss zur sexuellen Enthaltsamkeit – in die sakramentale Kommunion einmünden kann. In diesem Prozess, so Diriart, könne auch eine “Beichte im Verlangen“ fruchtbringend sein, also ein Beichtgespräch mit einem Priester, wenngleich dieser vorläufig keine Lossprechung erteilen könne. So finde gleichsam eine “sakramentale Pädagogik der Umkehr“ statt, um zur Einheit in Christus zurückzufinden.

Die Synodendebatte, so Diriart, laufe Gefahr, sich auf den “leiblichen” Empfang der Kommunion zu beschränken. Eine einfache Zulassung der wiederverheirateten Geschiedenen zur sakramentalen Kommunion würde das Grundproblem aber nicht lösen, sondern im Gegenteil die Gefahr mit sich bringen, den betroffenen Personen die Kommunion zu spenden, ohne ihnen einen pastoralen Weg anzubieten, der ihren Glauben vertieft und sie in das Leben der Kirche einbindet. Für die Priester wäre es ausserdem ein “pastoraler Minimaldienst“, denn “allen die Kommunion zu spenden, ist nicht schwierig“, während eine “demütige Pastoral der kleinen Schritte“, die Jahre dauern könne, weitaus mehr Einsatz verlange. Es handle sich durchaus nicht um einen “aussersakramentalen Heilsweg“, der die “sakramentale Grundstruktur der Kirche in Frage stellt“, wie Kardinal Kasper in seiner Ansprache vor dem Konsistorium zu bedenken gegeben hatte, sondern dieser Weg sei, so Diriart, im Gegenteil “zutiefst sakramental“, da er”„in der Taufgnade wurzelt“ und den Gläubigen zu Bewusstsein führe, dass “ihre Taufe grundlegend auf die Eucharistie hingerichtet ist“.

Diriart wies darauf hin, dass viele, die sonntags zur Kommunion gehen, dies aus Gewohnheit täten; oft liege ihre letzte Beichte sehr lange zurück. In diesem Zusammenhang sei eine “eucharistische Pastoral“ dringend notwendig – nicht nur für Menschen in irregulären Situationen, sondern für alle Gläubigen.

Der deutschamerikanische Theologe Bernhard Blankenhorn OP erkannte das gegenteilige Problem in der Kirche in Lateinamerika, wo die Gläubigen selten die Kommunion empfingen, da sie “seit Jahrhunderten unterwiesen wurden, dass jeder Kommunion die Beichte vorangehen muss“. Gerade in der heutigen Zeit, da die Scheidungsrate durch den westlichen Einfluss stark ansteige, müssten Ehepaare aus dem regelmässigen Empfang der Eucharistie Kraft schöpfen, und ein lateinamerikanischer Papst sollte sich dafür einsetzen, diesen unter den hispanischen Katholiken zu fördern. Es gehe, so Blankenhorn, um das geistliche Wohl vieler Millionen praktizierender Katholiken und sei daher “eine weitaus wichtigere und dringendere pastorale Herausforderung als die der geschiedenen und zivil wiederverheirateten Paare“. Was Letztere angeht, so betrachtet er ihre Zulassung zur Kommunion als sakramentaltheologisch problematisch, da man in diesem Fall entweder auf das Prinzip der Ausschliesslichkeit der Ehe oder auf die Zeichenhaftigkeit von Eucharistie und Ehe verzichten müsse. Wenn ein wiederverheirateter Geschiedener – selbst nach einem persönlichen Weg der Busse, wie es von einigen vorgeschlagen wird – zur Kommunion zugelassen würde, so bliebe seine erste – sakramentale – Ehe dennoch als Zeichen intakt. Auch dürften wiederverheiratete Geschiedene nicht dazu ermutigt werden, die Vergebung in der Kommunion zu suchen, da ein fruchtbarer Kommunionempfang die Intention voraussetzt, auf objektiv ungeordnete moralische Akte – wie dem ehelichen Akt ausserhalb des existierenden sakramentalen Ehebundes – zu verzichten. Durch eine Dispens vom Ehesakrament im Sinne des oben genannten Vorschlags würde die Kirche sich ausserdem zur Herrin über das sakramentale Zeichen aufschwingen und die Sakramente auf die Ebene menschlicher Rituale herabziehen, was langfristig zu einer Schwächung des Glaubens an alle Sakramente als von Christus gestiftete Heilsmittel führen würde. Die Lösung für das pastorale Problem der wiederverheirateten Geschiedenen müsse daher eher in einer Reform der Ehenichtigkeitsprozesse gesucht werden.

Aus der Verbindung zwischen Ehe und Eucharistie entspringt die Pastoral der Kirche, nicht aus den Gegebenheiten der jeweiligen Kultur“, sagte Jose Granados in seinem abschliessenden Resümee – ganz im Sinne Tertullians, der schon vor 1 800 Jahren davor warnte, die Gewohnheit über die Wahrheit zu stellen.

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