‘Jüdisches Osterfest, auch Fest der ungesäuerten Brote’
Predigt von Bischof Vitus Huonder am Ostersonntag, 5. April 2015, in der Kathedrale in Chur
Brüder und Schwestern im Herrn,
das jüdische Osterfest, das Pascha, ist auch das Fest der ungesäuerten Brote. Die Ostertage heben sich von den übrigen Tagen durch das Essen von Broten ohne Treibmittel, ohne Gärstoff ab. Das ist eine Erinnerung an den hastigen Aufbruch des Volkes Israel aus Ägypten. Da blieb eben keine Zeit für die entsprechende Behandlung des Brotteigs.
Der heilige Paulus gibt nun dem ungesäuerten Brot eine neue Bedeutung: die Bedeutung der österlichen Freude, die Bedeutung des neuen Lebens in Christus. Es ist das Brot der Freiheit. Es ist das Brot der Wahrheit und des Guten.
Das gesäuerte Brot dagegen ist das Brot der Verderbnis und des Schlechten. Auf diesem Hintergrund müssen wir die Worte im ersten Brief an die Korinther deuten: “Schafft den alten Sauerteig weg, damit ihr neuer Teig seid” (1 Kor 5,7). Das heisst: Schafft alles Böse weg. Ändert eure Lebensweise. Passt euch nicht den Unsitten eurer Umwelt an. In 1 Kor 5, 11 wird der Völkerapostel alsdann sehr konkret: “Habt nichts zu schaffen mit einem, der sich Bruder nennt und dennoch Unzucht treibt, habgierig ist, Götzen verehrt, lästert, trinkt oder raubt”. Dabei begründet der heilige Paulus die Lebensweise des Christen mit der Beziehung zum Herrn: “Ihr seid ja schon ungesäuertes Brot; denn als unser Paschalamm ist Christus geopfert worden” ( 1 Kor 5,7).
Durch das Opfer Christi ist Ostern für den Christen ein Neubeginn, ein Neubeginn des Guten und des Heiligen. Durch den gestorbenen und auferstandenen Herrn ist der Christ “ungesäuertes Brot”. Er ist eine Neuschöpfung. Er ist geheiligt. Er steht in der Wahrheit. Er ist von der Verderbnis befreit. Deshalb darf sein Leben nicht im Widerspruch zum Herrn stehen: Passt euch nicht den Unsitten eurer Umwelt an! Dies muss unsere christliche Grundhaltung sein.
Darf ich heute auf eine Unsitte aufmerksam machen, welche die Öffentlichkeit seit Jahren beschäftigt? Dazu ein Beispiel aus einer Todesanzeige: “Deine Botschaft … an uns, die Hinterbliebenen, war: Das Alter soll mich nicht kindisch, nicht unwürdig machen … Du nahmst dir die Erlaubnis, deinen eigenen Weg einzuschlagen … Und so konntest du … zum Augenblick, an dem von dir festgelegten Lebensende sagen: Verweile doch! Du bist so schön! Niemand konnte dich in Fesseln schlagen; die Uhr blieb stehen, wann du es wolltest; die Zeiger waren gefallen, es war für dich die Zeit vorbei”.
Wir stehen heute vor einer neuen Kultur des Sterbens, vor einer neuen Ideologie des Todes. Wir sind konfrontiert mit der Ideologie, die Todesstunde selber zu bestimmen. Der Genauigkeit wegen muss ich hinzufügen: Es ist keine neue Kultur. Wir finden sie etwa schon in der Antike vor. Doch heute hat sie im so genannten Exit-Angebot ein unübersehbares Ausmass angenommen. Gleichsam vom Schöngeist geprägt, wird sie als der letzte schöpferische Akt des Menschen dargestellt, wie das in der erwähnten Anzeige zum Ausdruck kommt: “Und so konntest du … zum Augenblick, an dem von dir festgelegten Lebensende sagen: Verweile doch!” Ein solcher Gedanke, eine solche Vorstellung ist nicht nur beruhigend, nein, sie ist anregend und lädt zur Nachahmung ein. Wer möchte sich nicht bis zum letzten Augenblick seines Lebens als hochstehend und bewundernswert hervortun und sich sagen können: “Dein letztes Meisterwerk war die Festlegung deines eigenen Todes”. Wer möchte nicht, dass die Hinterbliebenen, wie in der Todesanzeige formuliert, von einem sagen: “Du warst unsere Flamme, jetzt bist du unser Licht, unser Schutzengel, unser Wegbereiter in dunklen Stunden, in endlos scheinenden Momenten”. Wie erhaben stellt sich mit diesen Worten der Freitod, die Selbstvernichtung des Menschen dar.
Dazu möchte ich nur sagen: Hängt nicht einer solchen Ideologie an! Unser Glaube lässt dies nicht zu. Die Ostertage stehen ganz im Gegensatz dazu. Sie stellen uns den Herrn vor Augen, der sich bis zum letzten Atemzug seines Lebens ganz dem Vater, dem Schöpfer der Welt, überlässt. Für uns ist Christus das Vorbild unseres Sterbens: “Vater … nicht, was ich will, sondern was du willst, soll geschehen” (Mk 14,36). Ich sterbe nicht dann, wann ich will, ich sterbe dann, wann Gott mich ruft. Ich bete um eine gute Todesstunde und überlasse mein Sterben Gott, dem Vater und Schöpfer aller Dinge. Ich sterbe aber auch im Vertrauen auf die Verherrlichung, die mir zur gegebenen Zeit der himmlische Vater schenkt, und habe immer die Auferstehung Christi vor Augen. Christus ist uns in die Herrlichkeit vorausgegangen. Hätten wir nicht sein Vorbild gehabt, könnten wir heute nicht das österliche Halleluja singen.
Amen
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