Hoffnung stirbt nicht
Trotz Papstbesuch: Christen im Heiligen Land blicken auf ein schwieriges Jahr
Israel: Netanjahu versichert Christen seiner Unterstützung
Die Tagespost, 23. Dezember 2014
Von Oliver Maksan
Müssig steht Ronny im Türrahmen. Hinten in seinem Laden hängen dutzendweise Kreuze und zahllose Rosenkränze, stapeln sich Krippen, stehen Madonnenfiguren in kleinen Gruppen. “Es ist nichts los. Dieses Jahr war fürs Geschäft sehr schlecht. Erst der Gaza-Krieg im Sommer, dann die Gewalt in Jerusalem im Herbst: Die Leute haben Angst und bleiben weg. Ich habe in dieser Weihnachtssaison bisher kaum die Hälfte von dem eingenommen, was wir normalerweise vor Weihnachten umsetzen.” So wie Devotionalienhändler Ronny vom Krippenplatz klagen derzeit viele Ladenbesitzer, Taxifahrer und Fremdenführer rings um Bethlehems Geburtskirche. Die Stimmung ist keine gute in der Geburtsstadt Christi.
Das hat nicht nur mit dem schlechten Geschäft zu tun, sondern auch mit der politischen Situation. “Wir haben uns vom Papstbesuch keine Wunder erwartet. Aber dass es danach noch schlimmer werden würde, damit hatten wir auch nicht gerechnet”, sagt Ronnys Kollege George. Die Entführung dreier jüdischer Jugendlicher, der Rachemord an einem Palästinenser, der Gaza-Krieg und dann die Gewalt rings um die Al-Aksa-Moschee in Jerusalem, das alles kam erst nach dem Papstbesuch im Mai und dem folgenden Friedensgebet zwischen Papst, Peres und Abbas in Rom. Zuvor waren die Friedensgespräche zwischen Israelis und Palästinensern im April krachend gescheitert. Es ist ein Gefühl der Perspektivlosigkeit, das sich unter Palästinas Christen breitmacht. 19 christliche Familien haben Bethlehem wegen der Mischung aus wirtschaftlichem Druck, israelischer Besatzung und der zunehmenden Gleichsetzung von Palästinensertum und Islam in den letzten Monaten verlassen.
Christen schauen nicht auf die Religion des Leidenden
Ein paar Kilometer weiter, in Beit Dschalla, einem christlichen Ort nahe Bethlehem, ist die Stimmung nicht besser. Jeden Tag erwarten sie dort das letztinstanzliche Urteil des Obersten Gerichtshofs Israels in Sachen Mauerbau durch das Cremisantal. Bekommt die israelische Armee ihren Willen, verlieren 58 christliche Familien dort ihr Land oder haben nur noch erschwerten Zugang dorthin. Auch zwei katholische Klöster des Salesianerordens wären von der Landkonfiskation für den Bau des Sperrwalls betroffen, der Israel von den palästinensischen Gebieten trennen soll. Die Olivenhaine, Weinberge und Obstbäume in dem friedlichen Tal südlich von Jerusalem stellen für viele Familien eine wichtige, für manche gar entscheidende Einkommensquelle dar.
Israels Armee steht auf dem Standpunkt, das fehlende Verbindungsstück zwischen zwei Abschnitten der Mauer müsse aus Sicherheitsgründen so und nicht anders verlaufen. Die Palästinenser glauben, Israel wolle sich durch den Verlauf möglichst viel Land einverleiben. Israel sei es unbenommen, so die Bischöfe des Heiligen Landes kürzlich, die Sperranlage auf der sogenannten Grünen Linie zu bauen. Das ist die Waffenstillstandslinie von 1949, die international als Grenze Israels betrachtet wird. Tatsächlich aber verläuft die umstrittene Mauer grossenteils auf palästinensischem Territorium – und ist damit nach Auffassung des Internationalen Gerichtshofs völkerrechtlich illegal. Längst hat die Cremisan-Sache internationale Dimensionen angenommen. Das amerikanische Konsulat in Jerusalem hat versprochen, sich der Sache anzunehmen. Andere Botschaften wie die Frankreichs haben Beobachter zum Prozess entsandt. Die Betroffenen haben sich gar in einem Brief an Papst Franziskus gewandt. “Wir geben die Hoffnung natürlich nicht auf, dass die Richter im Sinne der Gerechtigkeit entscheiden”, sagte Weihbischof William Shomali vom Lateinischen Patriarchat kürzlich.
Ein Einschnitt für die Christen des Heiligen Landes, sei es in Palästina, sei es in Israel, war dabei der Gaza-Krieg im Sommer diesen Jahres. Mehr als 2 000 Palästinenser starben bei israelischen Luftangriffen, darunter auch eine Christin der orthodoxen Kirche Gazas. Mehrere Christen wurden teils schwer verletzt. Der Friedhof der dortigen orthodoxen Kathedrale wurde ebenso beschädigt wie andere kirchliche Gebäude in Gaza-Stadt, darunter ein katholischer Schwesternkonvent. Dennoch konnten die Christen angesichts der Not ein wertvolles Zeugnis geben: Tausende durch die Bombardements obdachlos gewordenen Muslime fanden in kirchlichen Gebäuden Unterschlupf. “Wir Christen schauen nicht auf die Religion eines Notleidenden. Gott liebt alle, deswegen helfen wir allen”, sagte Erzbischof Alexios, Haupt der griechisch-orthodoxen Kirche in Gaza. Noch heute leistet die Caritas Hilfe für die vom Krieg Getroffenen.
Die Kriegsverwüstungen, die wirtschaftliche Lage in dem Gebiet, aber auch die politische Ausweglosigkeit und der Islamisierungsdruck durch Hamas und Konsorten haben dazu geführt, dass sich die Zahl der Christen in den letzten zehn Jahren auf heute nurmehr etwa 1 300, meist orthodoxe, Christen halbiert hat. Katholiken leben sogar nur noch etwa 170 dort, Tendenz fallend. Seit dem Sommer sind es wieder weniger Christen geworden: Fünf Familien haben dem Gaza-Streifen den Rücken gekehrt, darunter in Richtung Belgien. Aber auch jenseits der Trennmauer zum Gaza-Streifen haben Christen gelitten: In in Reichweite der Hamas-Raketen gelegenen Städten wie Beer Scheva mussten die Sonntagsgottesdienste im Sommer im Bunker stattfinden, waren Kinder durch den häufigen Raketenalarm traumatisiert.
Israels arabisch-christliche Gemeinschaft – etwa 80 Prozent der 160 000 Christen des Landes – wurde in diesem Jahr zudem vor allem durch ein Thema bewegt und gespalten: die Frage des Wehrdienstes von arabischen Christen in der israelischen Armee. Wie alle arabischen Staatsbürger Israels sind auch die arabischen Christen vom Pflichtdienst an der Waffe ausgenommen. Die Armee und interessierte politische Kreise, aber auch christliche Gruppen haben verstärkte Anstrengungen unternommen, mehr Christen für den Wehrdienst zu begeistern. Israels Premierminister Benjamin Netanjahu selbst besuchte kürzlich ein Forum bei Nazareth, das sich der Förderung der Rekrutierung von Christen widmet, und zeigte damit, dass das Anliegen Chefsache ist und den Segen von höchster Stelle hat. Die Christen, an der Spitze der Nazarether orthodoxe Gemeindepfarrer Gabriel Nadaf, sagen, Israel sei Heimat der Christen des Landes. Zum vollen Staatsbürgersein gehöre nun einmal auch, loyal Verantwortung für die Sicherheit des Landes zu übernehmen. Kritiker, darunter die katholischen Bischöfe des Landes, sagen, dass Christen in einer Armee, die die Gebiete ihrer Brüder besetzt halte, nicht Dienst tun könnten. Es gehe der Regierung darum, die arabische Gemeinschaft des Landes entlang der Religionslinien zu spalten. Dennoch: Armeeangaben zufolge nimmt die Zahl junger arabischer Christen zu, die in die Armee eintreten und damit in den nationalen Schmelztiegel der israelischen Mehrheitsgesellschaft.
Palästinenser werden durch Gastarbeiter ersetzt
Einen Schritt nach vorn konnte in diesem Jahr die Seelsorge an der grossen Zahl von katholischen Migranten in Israel tun. Vor allem seit der Zweiten Intifada, dem palästinensischen Volksaufstand gegen die israelische Besatzung, wurden palästinensische Arbeiter zunehmend durch Gastarbeiter ersetzt. Auf etwa 200 000 wird ihre Zahl heute geschätzt, vor allem katholische Filipinos und Migranten aus Indien und Sri Lanka. Sie arbeiten in Pflegeberufen – und bessern durch diese positiv besetzte Tätigkeit nebenbei auch das Image des historisch negativ besetzten Christentums in Israel auf. Mit der Einrichtung eines katholischen Pastoralzentrums im Süden Tel Avivs erhielten die katholischen Gastarbeiter damit erstmals eine eigene geistliche Heimat. Die Zeit, da die Sonntagsmessen – meist am Abend des arbeitsfreien Sabbat abgehalten – in angemieteten Luftschutzkellern gefeiert werden mussten, sind damit vorbei.
Weniger gut ist indes noch immer die Situation der Asylanten in Israel. 53 000 gibt es von ihnen. Meist sind es orthodoxe Eritreer, Sudanesen oder Äthiopier. Die katholische Kirche kümmert sich auch um viele von ihnen. Pater David Neuhaus, Jesuit und im Lateinischen Patriarchat für die Migrantenseelsorge zuständig, beklagte kürzlich den prekären Status der Asylanten. Sie würden von Israel nicht als Flüchtlinge anerkannt, obwohl sie bei Rückkehr in ihre Herkunftsländer um ihr Leben fürchten müssten. Viele würden zudem in besonderen, abgelegenen Auffanglagen wie dem in der Negev-Wüste gelegenen Holot-Center interniert. “Wir dürfen unsere Brüder und Schwestern in dieser schwierigen Situation nicht vergessen.”
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