Durch die Mauer gehen

Diskussionen in Kirchen, Demonstrationen mit Kerzenlicht und solidarische Lieder

Redemptoris missio: Papst Johannes Paul II.:
Über die fortdauernde Gültigkeit des missionarischen Auftrages
Vom Mauerfall zur Wiedervereinigung: Meine Erinnerungen

Die Tagespost, 05. November 2014

Von Stefan Meetschen

Diskussionen in Kirchen, Demonstrationen mit Kerzenlicht und solidarischen Liedern – kein Zweifel, die friedliche Wende, die sich vor 25 Jahren ereignete und die symbolisch im Berliner Mauerfall am 9. November gipfelte, wurde ganz entscheidend vom christlichen Geist beseelt. Zumal diese Widerstandsbewegung, die über den engen Kreis der DDR hinaus auch in anderen Ostblock-Staaten wirkte, ihren Mut und ihre Inspiration nicht nur durch die “Perestroika”- und “Glasnost”-Politik des damaligen sowjetischen Generalsekretärs Michail Gorbatschow empfing, sondern auch durch eine religiös fundierte Hoffnung und Zuversicht – ein Vertrauen in die Kraft der christlichen Wahrheit. So war es beim polnischen Arbeiterführer und Muttergottes-Verehrer Lech Walesa, so war es beim tschechischen Menschenrechtler Vaclav Havel, der im Gefängnis mit dem Evangelium in Berührung kam.

Nicht wenige verantwortliche Kirchenmänner – quer durch alle Konfessionen – leiteten aus diesem Faktum und verstärkt durch die Euphorie des zeitgeschichtlichen Augenblicks eine weitere Hoffnung ab: nämlich die auf einen allgemeinen religiösen Aufschwung im Osten, eine Renaissance des Glaubens. Karl Marx geht, Jesus Christus kommt, so dachten sie.

Heute wissen wir, dass dies leider eine Illusion war. Besonders in Ostdeutschland, wo die “kirchen- und religionsfeindliche Politik der SED-Diktatur” die Religion praktisch “zum Aussterben” gebracht hat, wie es der Zeithistoriker Thomas Grossbölting vom Exzellenzcluster “Religion und Politik” der Universität Münster in einem aktuellen Gastbeitrag für die November-Ausgabe der Zeitschrift “Herder Korrespondenz” schreibt.

Seit den 1950er Jahren, so Grossbölting, habe sich in der DDR eine “Kultur der Konfessionslosigkeit” durchgesetzt, an der sich auch nach der Wende bis heute in Ostdeutschland nichts geändert hat. 1989 sei nur “das letzte Aufbäumen früherer volkskirchlicher Strukturen” gewesen. Ernüchternde, erklärende Worte, die jedoch nicht die Mitverantwortung des Westens für diese negative Entwicklung verdrängen dürfen. Schliesslich gab es für die Ostdeutschen, die damals zum ersten Mal gen Westen strömten, zwar schon bald (und dankenswerterweise) ein offizielles Begrüssungsgeld, die deutsche Kirche hat Vergleichbares, etwa eine Begrüssungsbibel oder einen Begrüssungs-Katechismus, jedoch nicht auf die Beine gestellt. Es gab – obwohl man mit etwas Hellsicht und geschult durch die eigenen Konsumerfahrungen das geistliche Defizit der frisch vom Kommunismus befreiten Schwestern und Brüder hätte erkennen können – keine konzertierte Missionsleistung. Dabei appellierte ausgerechnet der polnische Papst, der zum Fall der Mauer keinen unerheblichen Beitrag geleistet hat, bereits 1990 mit seiner Enzyklika “Redemptoris missio” an die Katholiken aller Länder, mit missionarischer Kraft den Menschen zu dienen, indem man ihnen “die in Jesus Christus erschienene Liebe Gottes aufzeigt”.

Johannes Paul II. wollte nach dem “Zusammenbruch von Ideologien und oppressiven politischen Systemen” deutlich machen, dass die Sendung “ad gentes” vor der Tür beginnt. Das ist heute, fast 25 Jahre später, nicht anders.

Jesus Christus kann tatsächlich kommen – sogar durch die Mauer der Konfessionslosigkeit hindurch. Christen müssen nur bereit sein, mit ihm und für ihn zu gehen.

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