Bei der Olivenernte im Garten Getsemani

Wie jedes Jahr helfen Freiwillige den Franziskanern am Ort der Todesangst Jesu

Ein alter Olivenbaum im Garten Getsemani Oliver MaksanVon Oliver Maksan

Jerusalem, Die Tagespost, 27. Oktober 2014

Im Heiligen Land ist die Zeit der Olivenernte gekommen. Traditionell ist dies eine Arbeit, die Gemeinschaft schafft. Palästinensische Familien versammeln sich dann in grosser Zahl um die liebevoll gepflegten Bäume, um die Früchte per Hand zu pflücken. Neben der Arbeit steht die Begegnung im Mittelpunkt. Ernte als Familienfest. Nicht anders ist das im Jerusalemer Garten Getsemani, dem wohl bekanntesten Olivenhain der Welt. Viele fleissige Hände Freiwilliger helfen den Franziskanern auch jetzt wieder, die uralten Bäume abzuernten. Die Stimmung ist gut. “Es ist etwas Besonderes, hier im Garten Getsemani helfen zu dürfen. Ich erlebe das als geistliches Ereignis”, sagt Regina, eine junge Pilgerin aus Deutschland, die für ein paar Tage bei der Ernte hilft. “So alt die Bäume auch sind, sie geben jedes Jahr neu Frucht. Ist das nicht genauso mit Jesus? Sein irdisches Leben liegt auch schon zweitausend Jahre zurück und doch ist er lebendig.”

Pater Diego weiss, wie tief die Menschen bei der Arbeit im Garten Getsemani empfinden. “Der Olivenbaum ist ja ein uraltes biblisches Symbol des Friedens, schon im Alten Testament. Der Baum und seine Frucht kann aber auch auf die Passion Jesu hin ausgelegt werden. So wie die Oliven gepresst werden müssen, um das kostbare Öl zu geben, so war es auch mit Jesus: Auch er musste leiden, gepresst werden, um uns die Erlösung zu schenken”, so der junge Franziskaner aus Italien, der die Einkehreinrichtung des Heiligtums leitet. Ruhe und geistliche Erneuerung suchende Pilger können dort für einige Tage Unterkunft finden. Wie in jedem Jahr packt er auch heuer wieder selbst mit an. “In diesem Jahr mussten wir wegen des Wetters etwas früher mit der Ernte anfangen. Das Wetter war in den letzten Wochen recht feucht. Insgesamt ist die Ernte dieses Jahr nur mittelmässig. Aber es war auch schon schlechter.” Neben den “heiligen” Bäumen direkt neben der Kirche stehen noch zahlreiche Olivenbäume auf dem weitläufigen Gelände der Franziskaner, das sich längs des Fusses des Ölbergs zieht. Aber auch im benachbarten Kidrontal, das zwischen dem Ölberg und der Altstadt verläuft, besitzen die Brüder eine ganze Reihe von Olivenbäumen.

Dem Volksglauben nach sind die Bäume des Garten Getsemanis – Ölpresse auf hebräisch – stumme Zeugen der Todesangst und des Verrats Jesu und damit mindestens 2 000 Jahre alt. Untersuchungen nach 2009 haben aber ergeben, dass die acht alten, teilweise drei Meter Stammumfang messenden Bäume aus der Kreuzfahrerzeit stammen und damit “nur” um die 900 Jahre alt sind. Dies gilt jedoch nur für ihre oberirdischen Teile. Überraschendes Ergebnis der Untersuchung war nämlich, dass die Bäume in ihren unterirdischen Teilen genetisch verwandt sind. Sie haben eine identische DNS. Die Kreuzfahrer haben wohl einen einzelnen Baum, von dem sie annahmen, dass er aus der Zeit Jesu stammte, geteilt und auf dem Gelände eingepflanzt. Darauf wurden andere Bäume eingepfropft. Die Wurzeln der acht alten Bäume sind also wesentlich älter als Stamm und Äste. Im Laufe der Jahre kamen weitere Bäume hinzu. Sie alle sind heute von einem Gitter umgeben, um sie vor den Zudringlichkeiten der vielen Besucher zu schützen, die die Kirche täglich aufsuchen.

Seit dem 17. Jahrhundert hüten die Franziskaner der Kustodie vom Heiligen Land den Garten, wo Jesus vor seiner Verhaftung in Todesangst gebetet hat. Kroatische Katholiken erwarben seinerzeit den Grund, der verlassen und öde am Fusse des Ölbergs lag. Die Kirche aus der Kreuzfahrerzeit war schon damals zerstört, ebenso natürlich die Kirche aus byzantinischer Zeit, die dem Persersturm des siebten Jahrhunderts zum Opfer gefallen war. In den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts wurde dann eine prächtige Basilika auf dem Gelände erbaut. Die Kirche aller Nationen entstand mit Spenden aus der ganzen katholischen Welt. Der Felsen, auf den der Schweiss Jesu dem Neuen Testament zufolge Blutstropfen gleich fiel, wird im Inneren des Gotteshauses verehrt. Am Gründonnerstagabend, wenn sich zahlreiche Gläubige zur Andacht versammeln, werden in Erinnerung daran Blätter roter Rosen über dem Stein verstreut. Papst Paul VI. pilgerte 1964 an diesen Ort und pflanzte einen Ölbaum. Und auch Papst Franziskus besuchte die Kirche im Mai diesen Jahres, um mit Priestern und Ordensleuten des Heiligen Landes zusammenzutreffen.

Bald wird die diesjährige Ernte abgeschlossen sein und die Verarbeitung der Früchte kann beginnen. “Es kommen jedes Jahr schon einige hundert Liter Olivenöl zusammen. Wir verkaufen das aber nicht, sondern produzieren nur zum Eigenbedarf in unseren Konventen”, sagt Pater Diego. “Mit einer Ausnahme: Ein Teil des Öls dieser Ernte wird wie schon zuvor an den Heiligen Vater nach Rom gesandt werden. Das wird für die heiligen Öle verwandt, die der Papst dann während der Chrisammesse in der Karwoche weihen wird.”

 

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