“Der Papst ist kein Antisemit”

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03. April 2010

Der Schriftsteller Martin Mosebach gilt als ein grosser Verehrer von Papst Benedikt XVI. Vor allem dessen Kampf gegen den Werte-Relativismus und seine Liebe für die traditionelle Liturgie der katholischen Kirche sagen dem Büchner-Preisträger zu. Dabei findet Mosebach ein altes Gebet für die Bekehrung der Juden ebenso wenig anstössig wie die Annäherung Benedikts an die umstrittenen Pius-Brüder. Das Gespräch führte Alexander Görlach.

Bild: Paul Badde

The European: Wie bewerten Sie persönlich die fünf Jahre, die Papst Benedikt. im Amt ist?

Mosebach: Benedikt hat sich die schwerstmögliche Aufgabe gestellt: Er will die schlimmen Folgen der innerkirchlichen 68er-Revolution auf nichtrevolutionäre Weise heilen. Dieser Papst ist eben kein päpstlicher Diktator, er setzt auf die Kraft des besseren Arguments und er hofft, dass die Natur der Kirche das ihr nicht Gemässe von selbst überwinden wird, wenn ihr dazu gewisse kleine Hilfestellungen gegeben werden. Dieses Programm ist so subtil, dass es weder in offiziellen Erklärungen dargestellt werden noch auch in einer schier unvorstellbar vergröberten publizistischen Öffentlichkeit verstanden werden könnte. Es ist ein Programm, das seine Wirkung erst in der Zukunft, wahrscheinlich erst deutlich nach dem Ableben des Papstes, zeigen wird. Aber schon jetzt ist der Mut des Papstes erkennbar, mit dem er Versöhnung über die engen Grenzen des Kirchenrechtes hinaus stiftet – in China durch die Integration der Patriotischen Kirche und gegenüber der russischen und griechischen Orthodoxie – und durch seine neuartige Verschmelzung traditioneller und aufgeklärter Bibeltheologie, die aus den Sackgassen rationalistischer Bibelkritik herausführt.

The European: müssen wir uns nicht auch auf Missbrauchsfälle in katholischen Einrichtungen anderen Ländern einstellen und wie sollte Ihrer Meinung nach Papst Benedikt dann darauf reagieren?

Mosebach: Selbstverständlich muss die Kirche immer damit rechnen, dass in ihren Schulen und Internaten einzelne Erzieher sich an den Schülern vergreifen, das liegt in der Natur der Sache. Wo Kinder unterrichtet werden, finden sich stets auch Persönlichkeiten mit pädophilen Neigungen ein. Wir müssen uns aber fragen, wieso es in katholischen Internaten gerade in den unmittelbar auf das Zweite Vatikanische Konzil folgenden Jahren gehäuft zu Sexualstraftaten von Priestern gekommen ist. Es führt kein Weg an der bitteren Erkenntnis vorbei: das Experiment des “Aggiornamento”, der Angleichung der Kirche an die säkularisierte Welt, ist auf furchtbare Weise gescheitert. Nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil legten die meisten Priester die Priesterkleidung ab, sie hörten auf, täglich die Heilige Messe zu feiern und sie beteten nicht mehr täglich das Brevier. Die nachkonziliäre Theologie tat alles, um das überlieferte Priesterbild vergessen zu lassen. Alle Institutionen, die einem Priester auf seinem schwierigen und einsamen Lebensweg Hilfe geleistet hatten, wurden in Frage gestellt. Was Wunder, wenn viele Priester in diesen Jahren sich nicht mehr in überlieferter Weise als Priester empfinden konnten. Die priesterliche Disziplin, die gezielt verdrängt worden ist, wurde sehr weitgehend im Konzil von Trient formuliert. Auch damals war es darum gegangen, einer Verkommenheit des Klerus zu wehren und das Bewusstsein von der Heiligkeit des Priesteramtes neu zu wecken. Es ist schön, wenn jetzt die Amtsträger der Kirche die Opfer der Missetaten um Vergebung bitten, aber noch wichtiger wird es sein, die Zügel der Disziplin im Sinn des Konzils von Trient wieder anzuziehen und zu einem Priestertum der katholischen Tradition zurückzukehren.

The European: Wie sollte die katholische Kirche aussehen, die Papst Benedikt einmal hinterlassen wird?

Mosebach: Es wäre diesem Papst zu wünschen, dass er die ersten Spuren einer Gesundung der Kirche noch selbst bemerken dürfte. Aber dieser Papst ist so uneitel und bescheiden, dass er solche Spuren wahrscheinlich gar nicht als Ergebnis seines Wirkens ansehen würde. Ich glaube, dass er seinem Nachfolger undankbare, aber notwendige Arbeiten ersparen will, indem er selbst sie übernimmt – hoffentlich nutzt dieser Nachfolger die grosse Chance, die Benedikt ihm geschaffen haben wird.

“Das Jahr 1968 ist ein noch überhaupt nicht genügend erkanntes Phänomen”

The European: Die Liturgiereform hat die katholische Kirche grundlegend verändert – wieso?

Mosebach: “Liturgiereform” werden die Eingriffe Papst Pauls VI. in die über 1500 Jahre lang überlieferte römisch-katholische Liturgie nur genannt – in Wirklichkeit handelte es sich hier um eine Revolution, die vom Auftrag des Zweiten Vatikanischen Konzils, die liturgischen Bücher “behutsam” durchzusehen, nicht gedeckt ist. Sie hat die auf die Anbetung Gottes ausgerichtete Feier der letzten zwei Jahrtausende auf den Menschen zentriert, sie hat das Priesteramt ausgehöhlt und die Lehre der Kirche von den Sakramenten sehr weitgehend verdunkelt.

The European: In den späten 60er-Jahren gab es auf der Welt viele Umbrüche: die Kulturrevolution in China, der Prager Frühling in der Tschechoslowakei, die Studentenunruhen bei uns, der Vietnamkrieg – und das Zweite Vatikanische Konzil. Kann man diese Umbrüche in einer Reihe nennen?

Mosebach: Das Jahr 1968 ist ein meines Erachtens noch überhaupt nicht genügend erkanntes Phänomen. Hier in Deutschland beschäftigt man sich in diesem Zusammenhang gern mit beseligenden Erinnerungen an Wohngemeinschaften und den Streit über die richtige Marx-Lektüre. In Wahrheit ist 1968 ein Achsenjahr der Geschichte mit voneinander scheinbar vollkommen unabhängigen Anti-Traditionsbewegungen in der ganzen Welt. Ich bin aber davon überzeugt, dass man eines Tages, wenn erst genügend Abstand da ist, die chinesische Kulturrevolution und die römische Liturgiereform in einem engen Zusammenhang begreifen wird.

The European: Papst Benedikt XVI. war als Konzilstheologe an diesem Aufbruch des Konzils beteiligt. Wie erleben Sie sein Engagement heute, einzelne liturgische Elemente der vorkonziliaren Kirche wiederzubeleben?

Mosebach: Benedikt XVI. sieht eine seiner Hauptaufgaben darin, das Wesen der Kirche wieder deutlicher sichtbar zu machen – den Katholiken, und dann auch den Nicht-Katholiken. Der Papst weiss, dass die Kirche unauflösbar an ihre Tradition gebunden ist. Kirche und Revolution sind unversöhnliche Gegensätze. Er versucht, dort einzugreifen, wo das Erscheinungsbild der Kirche durch einen radikalen Bruch mit der Vergangenheit verzerrt wird. Die Kirche hat eben, wie ihr Stifter, zwei Naturen: eine historische und eine überzeitliche. Sie darf nicht vergessen, woher sie kommt, und sie darf nicht vergessen, wohin sie geht. Damit tut sich speziell die Kirche im Westen gegenwärtig schwer: Sie hat weder einen Sinn für ihre historische Gewachsenheit noch für ihr Leben in der Ewigkeit.

“Die Beziehung des Papstes zum Judentum ist keine oberflächliche, politische”

The European: Die Bitte für die Bekehrung der Juden, wie sie bis zum Konzil im Gebrauch war, wurde durch die Wiederzulassung des alten Ritus wieder erlaubt. Ist das ein richtiger Schritt?

Mosebach: Mit der Wiederzulassung der unter Paul dem VI. häufig genug gewaltsam verdrängten, gewachsenen Liturgie gelangte auch die aus dem Frühchristentum stammende Bitte um die Bekehrung der Juden, die ihren Platz in den Karfreitagsfürbitten hat, zurück in die offiziellen Bücher der Kirche. Diese frühchristliche, auf einer Formulierung des Apostels Paulus basierende Bitte, enthielt die Wendung, Gott möge die Juden von “ihrer Verblendung” befreien und “den Schleier von ihren Herzen nehmen.” Da diese Formulierungen dem Papst aufgrund der jüngsten Geschichte das Missverständnis einer Geringschätzung der Juden durch die Kirche erlaubten, hat er bei seiner Wiedereinsetzung des überlieferten Ritus hier eingegriffen und eine neue Formulierung innerhalb des Alten Ritus angeordnet, die gleichfalls Gott darum bittet, die Juden zu Jesus Christus zu führen, aber die Deutung der Geringschätzung ausschliesst. Man hat dem Papst vorgeworfen, dass er überhaupt für die Bekehrung der Juden zu Jesus Christus beten lassen will – aber kann man der Kirche der Juden Petrus und Paulus ernsthaft zumuten, auf eine solche Gebetsintention zu verzichten?

The European: Wie bewerten Sie das Verhältnis des Papstes zu den Juden, zu Israel?

Mosebach: Benedikt XVI. ist vielleicht seit Petrus der erste Papst, der das Christentum derart eng aus dem Judentum heraus begreift. Sein Jesus-Buch verrät über weite Strecken den Versuch, das Neue Testament mit den Augen des Alten Testamentes zu lesen. Die Beziehung des Papstes zum Judentum ist keine oberflächliche, politische, kein blosses Sympathisieren aus einem modischen Philosemitismus heraus, sondern ist tief theologisch, im Glauben verwurzelt. Man durfte gelegentlich gar den Eindruck haben: Wenn Benedikt nicht Christ wäre, wäre er Jude. Diesem Papst Antisemitismus nachzusagen verrät eine Unkenntnis und Inkompetenz, die vom öffentlichen Diskurs ausschliessen müsste.

The European: Die Kontroverse um die Pius-Brüder hat dem Vatikan bislang keinen sichtbaren Erfolg gebracht. Was bringt diese Gruppe Ihrer Meinung nach der katholischen Kirche ausser ihrer Liebe für die alte Liturgie?

Mosebach: Ausser der alten Liturgie? Was gibt es Wichtigeres als die Liturgie für die Kirche? Die Liturgie ist der Körper der Kirche, die Liturgie ist der sichtbar gemachte Glaube. Wenn die Liturgie erkrankt, erkrankt die ganze Kirche – das ist keine blosse These, sondern eine Beschreibung der gegenwärtigen Situation. Man kann es nicht krass genug darstellen: Die Krise der Kirche hat es möglich gemacht, dass ihr grösster Schatz, ihr Arkanum, aus ihrem Zentrum an die Peripherie gespült wurde. Der Piusbruderschaft, vor allem ihrem Gründer, Erzbischof Lefebvre, gebührt der historische Ruhm, dieses wichtigste Gut über die Jahrzehnte bewahrt und am Leben erhalten zu haben. Deshalb schuldet die Kirche der Piusbruderschaft zuerst einmal Dankbarkeit, und zu dieser Dankbarkeit gehört auch, dass sie sich bemüht, sie aus mancherlei Verwirrungen und Radikalisierungen wieder herauszuführen.

“Das Christentum ist der Grundpfeiler Europas, ich sehe keinen anderen”

The European: Die Pius-Brüder scheinen nicht wirklich auf Rom zuzugehen.

Mosebach: Bei den Gesprächen mit der Piusbruderschaft geht es um eine geduldige Überzeugungsarbeit, wie sie in geistlichen Fragen angemessen ist. Die Gespräche scheinen in sehr guter Atmosphäre vor sich zu gehen. Wenn es eines Tages gelingt, die Piusbruderschaft wieder in die volle Einheit der Kirche zu integrieren, wäre dem Pontifikat Benedikt des XVI. ein Erfolg beschieden, der in seiner Bedeutung weit über die Zahl der Piusbrüder hinausginge.

The European: Das Christentum gehört zu den Grundpfeilern Europas. Wird es in Zukunft noch relevant für den Kontinent sein?

Mosebach: Das Christentum ist der Grundpfeiler Europas, ich sehe keinen anderen. Alle geistigen Strömungen der Neuzeit, auch dann, wenn sie das Christentum bekämpfen, verdanken ihren Ursprung dem Christentum, und auch die antike Philosophie und Kunst haben wir aus den Händen des Christentums empfangen. Sollte die europäische Gesellschaft sich im Ganzen vom Christentum abwenden wollen, dann hiesse das nichts anderes, als dass sie sich selbst verleugnete. Was man nicht weiss oder nicht wissen will, ist aber deswegen dennoch da. Verdrängung kann kein Fundament für eine hoffnungsvolle Zukunft sein.

The European: Sie waren einige Zeit in der Türkei – würde die Türkei als Vollmitglied die EU bereichern oder ist es schwierig, ein islamisch geprägtes Land in den abendländischen Werteverbund zu integrieren?

Mosebach: Sie verstehen sicher, dass ich Ihnen weder eine politische noch völkerrechtliche Antwort geben kann. Ich sehe nur, dass die Türkei im 20. Jahrhundert enorme Schwierigkeiten mit ihren christlichen europäischen Minderheiten hatte, und zwar gerade die antiislamische, sich modernisierende Türkei. Bis in die 50er-Jahre gab es noch ein griechisch dominiertes Konstantinopel, aber das Zusammenleben mit Christen ist den modernen Türken unerträglich gewesen, und so haben sie es denn gewaltsam beendet. Jetzt scheint man ein Heranrücken an Europa aus wirtschaftlichen Gründen erstrebenswert zu finden, ohne im Übrigen innenpolitisch die Bekämpfung der Christen zu revidieren. Von dem, was Sie “Integration in den abendländischen Werteverbund” nennen, sind wir, glaube ich, sehr weit entfernt

Hat Ihnen das Interview gefallen? Lesen Sie auch ein Gespräch mit Charlotte Knobloch: „Wir müssen die Menschen wieder in Traditionen verwurzeln“

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