Die unterdrückten Gläubigen befreien

Sehnsucht nach Versöhnung in einem geteilten Land

foto privatDie Anfänge des christlichen Korea

Sehnsucht nach Versöhnung in einem geteilten Land: Ein Gespräch über die Situation der koreanischen Katholiken heute mit Pfarrer Byoungil Kwone.

Die Tagespost, 11. August 2014, Von Michela Koller

Seit 2013 ist Pfarrer Byoungil Kwon für die koreanischen katholischen Gemeinden in Erlangen, Würzburg, Regensburg und München zuständig.

In Asien ist Korea das Land mit dem drittgrössten Bevölkerungsanteil an Christen. Wieso ist das Christentum dort so gewachsen?

Für das Wachstum gibt es drei Gründe: Das Märtyrium Tausender zwischen 1791 und Ende des 19. Jahrhunderts, das Eintreten für die Gerechtigkeit während der Zeit der Militärherrschaft in den Jahrzehnten nach dem Koreakrieg sowie zwei Papstbesuche in den Jahren 1984, als Papst Johannes Paul II. 103 Märtyrer heiligsprach, und 1989.

Wie erklären Sie sich den immer noch grossen Anteil Glaubensloser in Südkorea?

Ich denke, alle Koreaner sind anonyme Christen. Sie sind, ob sie eine Religion haben oder nicht, sehr religiös. Wegen der langen wissenschaftlichen Besetzung des Konfuzianismus haben fast alle erkannt, dass der Höchste im Himmel existiert. Aus demselben Grund zollen alle den Eltern und Alten Respekt. Diese Punkte sind die Brücke zum christlichen Glauben. Bis jetzt kommen viele Erwachsene in die Kirche, um den Glauben kennenzulernen und sich dann taufen zu lassen.

Welche Rolle spielt der Glaube im Alltag junger Menschen in Ihrer Herkunftsheimat?

Ähnlich wie in Europa haben wir auch Probleme mit den Jugendlichen, die nicht mehr in die Kirche kommen. Nicht wegen der Enttäuschung, sondern wegen des Zeitmangels können sie nicht in die Kirche. Manche Jugendliche lernen nämlich in der Schule über vierzehn Stunden pro Tag. Auch am Wochenende ist das keine Ausnahme. Deswegen haben wir versucht, sie in der Schule zu besuchen und die Eltern zu überzeugen, wie gut und schön man mit dem Glauben lebt. Tatsächlich ist die Zahl der jugendlichen Selbstmörder am höchsten in Korea, wegen des Stresses. Allerdings ist das Glück im Unglück, dass die katholischen Jugendlichen die niedrigste Zahl besitzen. Die Jugendlichen, die die Sonntagsschule in der Gemeinde besuchen, lernen, wie man glücklich und zufrieden lebt, was die Bedeutung des Lebens mit Gott ist, wie man sich entscheiden kann. Mit diesen Lehren, die in der Schule noch fehlen, könnten sie sich wahrscheinlich besser verhalten. Aber es gibt eben die Jugendlichen und Eltern, die nur den Erfolg für wichtig halten. Wir haben viele Programme für Jugendliche wie Katechismusunterricht und Ferienfreizeiten. Im Winter machen sie auch Exerzitien, in denen sie über ihren Glauben im Alltag nachdenken können.

Ist die Realität in der Auslandsgemeinschaft ähnlich?

Jede Situation ist anders. Die Jugendlichen, die jetzt ausserhalb Koreas wohnen, haben mehr Freiheit vom Stress. Auf der anderen Seite haben sie auch Probleme mit der Kultur. Der kulturelle Unterschied kann zu Verwirrung in der Identität führen. Manchmal überwinden sie die Situation klug. Die Jugendgruppen im Ausland sind kleiner als in Korea, aber sie engagieren sich mehr. Sie versuchen herauszufinden, was das wahre Leben ist. Antwort entdecken sie im Zusammenleben im Glauben in der kleinen Gemeinschaft.

Wie ist die Weitergabe des Glaubens geregelt? Gibt es ein festes Glaubenswissen?

Es gibt manchmal eine Zeit, in der Gläubige anderen ihren Glauben vorstellen und sie in die Kirche einladen. Auch gibt es manchmal sechs- bis zwölfmonatliche Katechese-stunden. Sie versammeln sich einmal oder zweimal pro Woche und ein Pfarrer, eine Schwester oder ein Laie hält diese Stunde. Dafür gibt es mehrere Bücher, die von Katechismus, Bibel und kirchlichem Leben sprechen. Manchen Koreanern kommt die Idee vom Höchsten und besondere Erfahrungen, die nicht mittels der eigenen Vernunft zu verstehen sind. Der Leiter oder die Leiterin des Katechesestunde verknüpft vorsichtig diese Erfahrungen mit unserem Glauben. Manche nehmen dann an, was der Leiter sagt, weil sie vorher schon vom Vorbild Glaubender bewegt sind. Nach der Taufe nehmen sie Anteil an den Angeboten von Gruppen und Geistlichen Gemeinschaften wie Legio Mariae, Cursillo, Focolare. Und so wächst der Glaube weiter.

Wie ist das Verhältnis der katholischen Ortskirche zu der Vielzahl protestantischer Gemeinschaften?

Die protestantischen Gemeinschaften in Korea sind zu facettenreich. Es gibt in Korea mehr als 200 verschiedene Richtungen. Es ist schwierig, mit ihnen zu sprechen. Mit welchen sollen wir sprechen oder gemeinsam etwas tun? Das zweite Problem liegt auch am Verhalten der Protestanten gegenüber uns. Die protestantischen Pastoren lehren ihren Gläubigen, dass die katholische Kirche eine falsche, gefallene Kirche sei. Sie wollen einfach nicht mit uns sprechen und halten die anderen Religionen für satanisch. Deswegen ist die Katholische Kirche komischerweise mehr mit Buddhisten als mit Protestanten befreundet.

Bitte beschreiben Sie die Rolle der Katholiken in der Gesellschaft.

Ich denke, dass unsere Gesellschaft krank ist. Vor 100 Tagen ereignete sich ein Schiffsunglück, bei dem tragischerweise viele Jugendliche ums Leben kamen. Bis jetzt wissen wir nichts über die Ursache. Der Regierung wird Versäumnis bei der Rettung vorgeworfen. Trotzdem entschuldigt sie sich noch nicht ehrlich. Das ist ein kleiner Teil unserer Gesellschaft. Die wirtschaftliche Entwicklung von Korea war enorm, aber die innere Reife haben wir noch nicht erreicht. Die katholische Kirche und die Gläubigen sollen davon sprechen und auch dafür beten, was die Gerechtigkeit des Herrn ist. Jeder Gläubige sollen sich im Alltag auf den Weg des Herrn machen. Als Vorbild des Herrn sollen sie wirken. Dann wird die koreanische Kirche weiter in die Nähe des Himmelreiches schreiten.

Welche Hoffnungen, welche Nöte kennzeichnen die Kirche in Südkorea?

Die gute Nachricht lautet, dass die Zahl der Gläubigen bis jetzt zunimmt. Trotzdem gibt es Menschen, die von den Gläubigen oder Priestern enttäuscht sind und sich von der Kirche zurückziehen. Deswegen hoffen und wünschen wir, dass wir in die Tiefe des Glaubens kommen und dass wir innerlich reif werden können. Der Glaube soll für uns nicht ein Accessoire sein, sondern als ein Grundprinzip und Sinn des Lebens wirken. Wir hoffen, durch den Papstbesuch die Schätze des Glaubens wieder bekannter machen zu können. Ausserdem hoffen wir, dass das koreanische Volk, Nordkorea und Südkorea, wieder vereinigt wird. Die unterdrückten Gläubigen in Nordkorea sollen befreit werden und müssen wieder menschenwürdig leben können.

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