Wie sieht ein Sieg aus?

Ziel der jeweiligen Kriegspartei

Während das Blutvergiessen zwischen Israel und der Hamas weitergeht, wird die Frage nach dem Ziel der jeweiligen Kriegspartei immer drängender.

Die Tagespost, 30. Juli 2014, Von Oliver Maksan

Der Montag war kein guter Tag für Israels Premierminister Benjamin Netanjahu. Fünf Soldaten kamen ums Leben. Am meisten aber beunruhigte die Öffentlichkeit, dass erneut Hamas-Kämpfer durch die Tunnel auf israelisches Territorium eingedrungen waren. Angesichts der einmal mehr erwiesenen Gefährlichkeit der Tunnel der Hamas geriet Netanjahu weiter unter Druck, die Operation in Gaza fortzuführen oder gar auszuweiten. In einer Ansprache an die Nation sagte er noch am selben Abend, dass Israel nicht aufhören werde, ehe nicht alle Tunnels der Hamas zerstört seien. Damit hat Netanjahu das vorläufige Mindestziel der Operation formuliert, eine Ausweitung aus Abschreckungsgründen ausdrücklich nicht ausgeschlossen, sondern angedroht, sich aber auch nicht festgelegt.

Netanjahu will im Grunde so fortfahren wie bisher: abwarten und seine Optionen wägen. Er weiss, wie schnell sich das Kriegsglück wenden kann, wie schnell hohe eigene Verluste die Unterstützung der Bevölkerung schwinden lassen können, wie stark der internationale Druck werden kann. Doch seit Montag ist dieses Vorgehen schwieriger geworden.

In der israelischen Armee regt sich Unmut

Die Armee beginnt bereits zu murren und will klare Zielvorgaben, um besser planen zu können. Im israelischen Kabinett bilden Premier Netanjahu und sein Verteidigungsminister Moshe Yaalon die gemässigte Fraktion. Hardliner wie Aussenminister Lieberman, Wirtschaftsminister Bennet oder Bauminister Katz drängen mit allen Kräften auf eine Ausweitung der Operation und eine Wiederbesetzung Gazas. Sie wollen Netanjahu so von rechts unter Druck setzen. Dieser widerstand dem Drängen bislang, unterstützt von moderaten Koalitionspartnern wie Tzipi Livni und Yair Lapid. Mit ihnen und seinen beiden Parteifreunden hat Netanjahu die Mehrheit im achtköpfigen Sicherheitskabinett, das über Krieg und Frieden entscheidet. Von Anfang an hatte Netanjahu in der aktuellen Gaza-Krise im Grunde stets reagiert und der Hamas das Tempo überlassen. Ruhe werde mit Ruhe beantwortet, hatte Jerusalems Parole vor dem 8. Juli geheissen, als die Militäroperation nach stetig zunehmendem Beschuss begonnen hatte. Ägyptens Waffenstillstandsangebot hatte Netanjahu ebenso rasch zugestimmt wie den folgenden Angeboten einer humanitären Waffenruhe. Netanjahus Problem ist derzeit, festzulegen, wann Israel gesiegt hat. Das hängt mit Netanjahus eigentlichem Ziel zusammen: der Wiederherstellung des Status quo ante. Dies will er durch die Abschreckung der Hamas erreichen, nicht durch ihre Vernichtung.

Daraus folgt die Frage, die sich ganz Israel derzeit stellt: Wann hat das Land gesiegt? Netanjahu kann sich auch nach erfolgter Zerstörung des Tunnelsystems nicht einseitig zurückziehen, solange der Beschuss anhält. Die Bevölkerung wie die Hamas würden dies als Niederlage Israels ansehen. Die erneute Besetzung des Gaza-Streifens und die Vernichtung der Hamas ist für Netanjahu aber aufgrund der damit verbundenen Probleme auch keine, wenigstens keine gewünschte Option.

Der Hamas geht es ähnlich. Noch kann sie auf die zähneknirschende Unterstützung der Bevölkerung zählen, die seit Jahren unter den Folgen der israelischen Blockade leidet und Israel als Aggressor betrachtet und nicht die Hamas. Die radikal-islamische Organisation kann aber angesichts der hohen Opferzahlen und gewaltigen Zerstörungen nicht mit leeren Händen vor die Bevölkerung Gazas treten.

Kerrys Vorschläge galten als “Verrat” Washingtons

Diesem Umstand wollte die Initiative John Kerrys mit ihren Vorschlägen zur Besserung der humanitär-ökonomischen Lage Rechnung tragen, die in Israel über das Wochenende auf massive Ablehnung gestossen ist. Von “Verrat” war aufgrund von Kerrys Berücksichtigung der Forderungen der Hamas die Rede. Mitten im Krieg tat sich zwischen Israel und seinem wichtigsten Verbündeten Washington eine diplomatische Front auf. Jetzt ist guter Rat teuer, zumal Israel unter allen Umständen eine Wiederholung der Einbeziehung Katars und der Türkei verhindern will. Dass Kerry die beiden Aussenminister vergangene Woche in Paris als Kanäle zur Hamas empfangen hatte, galt in Jerusalem nämlich fast noch als grösserer Fehler als der Mangel an Empathie für die israelischen Sicherheitsforderungen. Die Hamas sei so ermutigt worden.

Eine Kompromisslinie zwischen Israel und der Hamas könnte sich derweil abzeichnen, wenn es gelänge, Palästinenserführer Mahmud Abbas und seine Autonomiebehörde ins Boot zu holen. Aus Sicherheitsbedenken wird Israel dem freien Personen- und Güterverkehr zwischen Gaza und Israel nicht zustimmen. Weder die Hamas-Forderungen nach einer Öffnung des Hafens von Gaza für den Schiffsverkehr noch die Wiedereröffnung des Flughafens stehen zur Debatte. Wahrscheinlich werden am Ende des Konflikts aber kleinere Zugeständnisse der Israelis stehen, etwa eine Ausweitung der Fischereizone für Gazas Fischer. Entscheidend wird aber vor allem eines sein: die kontrollierte Öffnung der Grenze nach Ägypten. Sollte nämlich der seit vergangenem Jahr fast vollständig geschlossene Grenzübergang Rafah nach Ägypten von Kräften der Palästinensischen Autonomiebehörde und nicht länger der Hamas kontrolliert werden, wäre ein gesichtswahrender Ausgang aus der Situation für alle Seiten erreicht. Die Wirtschaft Gazas würde nicht weiter stranguliert und die Hamas könnte sich als Sieger verkaufen, Israel hätte wenigstens vorläufig seine Ruhe wieder, ohne selbst allzu viel gegeben zu haben, die Palästinenser aus Ramallah hätten wenigstens wieder einen Fuss in Gaza in der Tür, nachdem sie nach einem kurzen, aber heftigen Bürgerkrieg von der Hamas von dort vertrieben wurden.

Freiwillig wird die Hamas nicht weichen

Ägypten schliesslich, das gegenüber der Hamas ebenfalls massive Sicherheitsbedenken hegt, hätte sich als Teil der Lösung präsentiert. Für Abbas gibt es kaum eine andere Variante, in Gaza wieder Relevanz zu erlangen. Denn freiwillig wird die Hamas trotz vor drei Monaten vereinbarter Einheitsregierung nicht weichen. Und auf israelischen Panzern können Abbas und die PA ebenfalls nicht nach Gaza einfahren, wollen sie nicht von Anfang an auf die Ablehnung der Menschen in Gaza und dem Westjordanland stossen.

Noch scheint die Zeit nicht reif zu sein für substanzielle Waffenstillstandsverhandlungen. Noch glauben beide Seiten, ihren Zielen durch eine Fortführung der Feindseligkeiten Nachdruck verleihen zu müssen. Aber in Bälde wird eine Entscheidung fallen müssen. Die Hardliner in Israels Regierung werden bis dahin nichts unversucht lassen, Netanjahu in eine Eskalation zu drängen. Der Hinweis, dass Ägypten und Saudi-Arabien der Hamas keine Träne hinterherweinen werden, wird dabei nicht ihr schwächstes Argument sein.

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