“Visionen” ohne Gott

Die Schweizerische Gemeinnützige Gesellschaft will die Landeshymne ersetzen

Quelle
Hl. Bruder Klaus
Die Jubla feiert den 1. August 2014 auf dem Rütli
Jungwacht/Blauring Jubla: Aufruf der Stellvertretung der Schweizer Jugend zur Demo gegen einen Schweizer Bischof
Rütli 66
Hl. Karl Borromäus: Protector Helvetiae

Die Schweizerische Gemeinnützige Gesellschaft will die Landeshymne ersetzen.

Faktisch wird der arrogante Plan zum Fiasko, doch er fügt sich nahtlos in die Tendenz, die tradierte Marke Schweiz zu schwächen.

Von Urs Paul Engeler

Hätten die Verwalter des Vereins, der sich Schweizerische Gemeinnützige Gesellschaft (SGG) nennt und über 76 Millionen Franken hortet, sich nur ein wenig mit der Geschichte der Landeshymne befasst, so hätten sie ihre ­bizarre Idee, der Schweiz eine neue Hymne zu verordnen, niemals öffentlich gemacht. Sie wären bestimmt auf die Rede gestossen, die der Luzerner Komponist und Musikpädagoge Johann Baptist Hilber 1954 zum hundertsten Todestag des Komponisten des Werks, Alberik Zwyssig, gehalten hat: «Eine Landeshymne wächst nicht am Spalier. Sie entsteht nicht auf Befehl. Sie entspringt nicht dem Vorsatz eines Komponisten: ‹Nun schreibe ich eine Landeshymne!› Sie liegt still bereit in der Truhe der Vorsehung, um, je nach Wink und Regie, einem auserwählten Musiker in die Feder zu fliessen.”

Im Falle der Schweizer Hymne haben 1841 – mitten im erbitterten Kultur- und Bruderkampf – eine Melodie des katholisch-konservativen Mönchs Alberik Zwyssig und eine Ode des radikalen Zürcher Protestanten Leonhard Widmer sich zum «Schweizerpsalm» gefunden, der am ersten Eidgenössischen Sängerfest, 1858 in Zürich, erstmals einem grossen Publikum vorgestellt wurde – nicht mit dem Anspruch, zur Landeshymne zu werden, sondern als überkonfessioneller und überparteilicher Lobgesang auf die gewaltige Schöpfung, die alle Menschen vereint. Das begeistert aufgenommene Lied ­ohne Schlachtenlärm gehörte bald zum Standardrepertoire helvetischer Chöre. Nach verschiedenen Anläufen erklärte der Bundesrat 1961 das bereits 120-jährige und traditionell gewordene Werk zur provisorischen Nationalhymne, 1981 wurde der Beschluss definitiv.

Sämtliche Versuche, den patriotischen Festgesang zu ersetzen oder ihm einen anderen Text zu unterlegen, endeten im peinlichen ­Fiasko. Das Gemeinschaftswerk kann nicht aufgetrennt werden; zur pathetischen Melodie will kein banaler Text passen. Am 14. Mai 2008 erklärte der Bundesrat, dass die heutige Nationalhymne die vielfältigen Erwartungen an eine Landeshymne erfülle und dass er keinen Grund sehe, sie zu verändern.

Gerbers halboffizieller Plan

Als Botschaft zum 1. August erklärten die gemeinnützigen Damen und Herren der Leitung der SGG trotzdem, der Text sei veraltet, vor ­allem der «Fokus auf Gott» dürfe heute nicht mehr gelten. Eine neuzeitliche Hymne müsse, ganz im Gegenteil, von «geteilten Werten» und von «Visionen» reden; die Melodie müsse mit den Parolen aus der Präambel der Bundesverfassung («Solidarität und Offenheit gegenüber der Welt» et cetera) unterlegt werden. So befiehlt der Verein allen, die sich berufen fühlen: «Nun schreibt eine Nationalhymne, und zwar eine ganz andere!» Die beste Version, ­ermittelt durch eine noch anonyme eminente ­Jury, werde neuer Nationalgesang.

Die Idee stammt offenbar vom neuen Präsidenten der Gesellschaft, Jean-Daniel Gerber, Dr. h. c., alt Chef des Bundesamtes für Migra­tion, alt Staatssekretär für Wirtschaft (Seco), heute Verwaltungsrat der Credit Suisse, zudem Verwaltungsrat der Chemiefirma Lonza Group AG sowie Inhaber der Beratungsfirma Consartes GmbH. Gerber erklärt, dass man das Projekt durchaus ihm zuschreiben dürfe und dass er «voll dahinter» stehe; er wirbt dafür mit Verve und Ausdauer. Und er hat in Gesprächen mit namentlich nicht genannten Leuten in Bundesbern bereits vorgespurt und spricht von «guten Chancen». Auch wenn das zuständige Bundesamt für Kultur (BAK) noch nicht eingeweiht wurde, ist Gerbers Plan offenbar schon halb offiziell.

Das positive Echo aus dem Bundeshaus erstaunt nicht. Als am 13. November 2011 die Gönnervereinigung Widmer/Zwyssig im Berner Münster eine Feier zum 50-Jahr-Jubiläum der Hymne veranstaltete, weigerten sich der Reihe nach alle drei angefragten Mitglieder der Landesregierung, in einer kurzen Rede das Werk und dessen Bedeutung für die Schweiz zu würdigen: Micheline Calmy-Rey (SP), damals Bundespräsidentin, sowie Simonetta Sommaruga (SP) und Doris Leuthard (CVP). Nach dem Bekenntnis von 2008 hat das Gremium begonnen, sich zu distanzieren.

Unverwechselbare Marke

Eine Landeshymne ist Geschmackssache und immer umstritten. Kein Text, auch kein politisch-korrekt-weltsolidarischer, keine Melodie und auch keine Kombination dieser Elemente können je die volle Akzeptanz erlangen. Das ist auch nicht nötig, wichtig ist der Wieder­erkennungswert. Jeder Markenspezialist warnt davor, ohne Not ein Erkennungszeichen zu ändern. Auch das Logo der Weltfirma Nestlé, ein detailliert gezeichnetes Vogelnestchen mit Fütterung der Brut, ist über 150 Jahre alt, völlig antiquiert, aber global verbreitet, unverwechselbar und ungebrochen erfolgreich. Was funktioniert, muss bleiben. Nur wer das Produkt verändern will, wechselt. Das Werkeln an der Landeshymne zielt somit darauf ab, die tradierte Marke Schweiz radikal umzugestalten, nach innen und nach aussen.

Das Waschen der Gehirne liegt im Trend. Nicht verwunderlich ist, dass ausgerechnet die Schweizerische Gemeinnützige Gesellschaft die Initiative dazu ergriffen hat. Die SGG ist 202 Jahre alt und hatte früher einen Sinn. Im sich entwickelnden Bundesstaat und in dessen Anfängen war sie die wichtigste ­so­zia­le Organisation des Landes, die sich insbesondere bei der Einführung des unentgeltlichen obligatorischen Schulunterrichts Verdienste erworben hatte. Später gründete sie die Sozialwerke Pro Juventute, Pro Senectute und Pro Mente Sana. Heute ist der Sozialstaat umfassend; er hat die veraltete SGG längst zum Verein für Selbst­beschäftigung degradiert.

Das berechtigt, versteht sich, die Gesellschaft keineswegs zum hochpolitischen Akt, die Hymne umzukrempeln. Ihre «Legitimation», argumentiert die SGG reichlich gewunden, beziehe sie aus dem Recht, seit 1860 mit einer Sonderkommission das Rütli verwaltet zu haben. Das stille Gelände am See gehört allerdings nicht der SGG. 1859 liess sie die Schweizer Schuljugend in einer Grossaktion Geld sammeln, damit sie die historische Wiese einem Privatmann abkaufen konnte. 95 000 Franken kamen zusammen. Zum Dank und quasi als Quittung verteilte die SGG den Schulkindern insgesamt 250 000 Stiche mit einer Rütli-Zeichnung. Die Schülerschaft darf sich als wahre Eigentümerin des Grundstücks fühlen. Die Gesellschaft selbst schenkte die steile Matte 1860 der Eidgenossenschaft als «unveräusserliches National­eigen­tum» – nicht ohne Hintergedanken: Sie sicherte sich im Gegenzug das Exklusivrecht zur Nutzung der Stätte.

«Diese gewachsene Nähe zur nationalen Tradition» befähige sie, die «verschiedensten Formen nationaler Identität» zu reflektieren, mithin die Nationalhymne, folgert die SGG in eigener Sache. Für den Wettinger Musiker ­Hubert Spörri, Kopf der Gönnervereinigung Widmer/Zwyssig, ist dies «die reine Arroganz». SGG-Präsident Gerber relativiert, die Legitimation sei «symbolisch zu verstehen».

Seit die Multimillionärin SGG keine Auf­gabe mehr hat, politisiert sie, nicht immer offen­sichtlich, aber stetig. Unter dem umtriebigen Geschäftsführer Herbert Ammann, Soziologe, lösen an der Spitze linke Bürgerliche sich ab: alt CVP-Nationalrätin Judith Stamm (1998–2007), alt FDP-Bundeskanzlerin Annemarie Huber-Hotz (2007–2011) und nun Jean-Daniel Gerber. Der jährliche Entscheid zum Gebrauch der Plattform «Rütli» zur 1.-August-Manifestation macht den Drall öffentlich sichtbar. In den letzten 25 Jahren durfte als einziger SVP-Vertreter der dissidente Bundesrat Samuel Schmid die offizielle Ansprache halten. Gezielt wurde 2006 der über Insider-Delikte gestolperte alt Swisscom-Präsident Markus Rauh aufgeboten, um in ­einer Racherede gegen Christoph Blocher, der die Swisscom teilprivatisieren wollte, Propaganda gegen dessen Asyl- und Ausländer­gesetz zu machen. Den Reigen schliessen der unvermeidliche ­Georg Kreis, Micheline Calmy-Rey (SP) oder heuer Nationalrat und der Genfer Grüne-Frak­tionschef Antonio Hodgers (GE).

Hinter den Kulissen agiert die SGG, die sich so unpolitisch gibt, noch direkter. Sie managt Abstimmungskämpfe. Ohne dies publik zu machen, koordinierten 2002 Stamm und ­Ammann unter dem Titel «Gemeinschaft zur Unterstützung der Stiftung solidarische Schweiz» die Kräfte, die sich mit Millionen für die universelle «Solidaritätsstiftung» einsetzten, die der Bundesrat aus dem Erlös des verkauften Nationalbank-Goldes einrichten wollte. Obwohl die SGG für ihre verdeckte politische Aktion von den Grossbanken CS und UBS finanziell unterstützt wurde, verwarfen Volk und Stände im September 2002 auch dieses gutmenschliche Vorhaben.

Als nationale Umerziehungsanstalt ist die Gesellschaft, die einmal über 10 000 Mitglieder zählte und heute noch 2500 Personen in der Kartei führt, entbehrlich.

 

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