Der Papst hat eine Vision für die Region
“Der Papst ist ein Freund der Gerechtigkeit”
Der orthodoxe Christ Issa Kassissieh ist seit Herbst 2013 nicht-residierender Botschafter Palästinas beim Heiligen Stuhl. Vom Papstbesuch erhofft er sich eine Stärkung der christlichen Präsenz in Palästina. Von Oliver Maksan
Die Tagespost, 21. Mai 2014
Herr Botschafter, ist Papst Franziskus ein Freund Palästinas?
Der Papst ist ein Freund der Gerechtigkeit. Der Papst weiss, dass die Palästinenser für Gerechtigkeit kämpfen und für einen eigenen Staat. Durch seinen Besuch und seine moralische Autorität gibt er ihnen neue Hoffnung.
Papst Franziskus gilt aber auch als grosser Freund des Judentums. Mit ihm reist jetzt ein Rabbiner. Ist das aus palästinensischer Sicht ein Problem?
Nein, überhaupt nicht. Ich habe den Rabbiner sogar schon getroffen. Die Stärkung des interreligiösen Gesprächs sehe ich nicht als Widerspruch zur Gerechtigkeit für Palästina. Seine Heiligkeit hat eine Vision für diese Region. Sie besteht in zwei Staaten für zwei Völker.
Das heisst, mit dem Pontifikatswechsel hat sich an der vatikanischen Palästina-Politik nichts verändert?
Nein. Die Position des Vatikans ist dieselbe geblieben. Sie orientiert sich am Völkerrecht und am nationalen Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser. Wir haben mit Johannes Paul II. ein Grundlagenabkommen schliessen können. Unter Benedikt XVI. haben wir mit den Verhandlungen über ein ausführendes Abkommen begonnen, das wir jetzt unter Papst Franziskus bald abzuschliessen hoffen. Es ist also dieselbe konsistente Politik.
Was ist Gegenstand des genannten Abkommens?
Dabei geht es vor allem um fiskale Fragen der Besteuerung der katholischen Kirche in Palästina. Ohne Verhandlungsinterna verraten zu dürfen, kann ich sagen, dass wir substanzielle Fortschritte gemacht haben. Ich glaube, dass wir nach der historischen Pilgerfahrt Seiner Heiligkeit nach Palästina ein Datum für die Unterzeichnung festsetzen können. Das ist sehr wichtig, denn Palästina ist dann der erste arabische Staat, der ein derartiges bilaterales Abkommen haben wird.
Bereitet Ihrer Regierung die Lage der Christen in Palästina Sorge?
Ich kann Ihnen versichern, dass Präsident Abbas alles tut, um die Präsenz der Christen Palästinas zu stärken. Er unterstützt beispielsweise Wohnungsbauprojekte für Christen. Ausserdem hat er mit einem Präsidialdekret eine Kommission für Kirchenangelegenheiten gegründet. Das Ziel ist, mit den Kirchen zusammenzuarbeiten, um den Christen zu helfen. Der Präsident weiss um die Lage der Christen und ist besorgt. Denken Sie an die Probleme der Christen in Ost-Jerusalem: Es gibt Schwierigkeiten bei der Familienzusammenführung oder beim Aufenthaltsrecht. Für christliche Mädchen aus Ramallah oder Bethlehem ist es schwierig, einen Christen aus Jerusalem zu heiraten. Das sind tausende Fälle. Auch ist der freie Zugang zu den Heiligen Stätten nicht gegeben. Manche Christen aus Gaza waren noch nie in Jerusalem. Der Präsident versucht die Christen auch durch Besuche zu unterstützen. Er feiert in Bethlehem dreimal Weihnachten: Mit den Katholiken, mit den Griechen und mit den Armeniern. Wie kann man seine Unterstützung deutlicher zum Ausdruck bringen?
Christen bereitet aber die Islamisierung der palästinensischen Nationalbewegung Sorgen. Ist die vereinbarte Einheitsregierung mit der Hamas ein Schritt in die falsche Richtung?
Ich würde mich zunächst auf die strategische Bedeutung der innerpalästinensischen Einheit konzentrieren. Das ist sehr wichtig, um die Zwei-Staaten-Lösung zu erreichen. Es ist auch wichtig für die Demokratisierung in Palästina. Christen können ja bei den Wahlen antreten. Ausserdem hat Präsident Arafat eine Quote für Christen verfügt, wonach die Bürgermeister bestimmter Orte Christen sein müssen. Sie sind darüber hinaus in den Organisationen der PLO repräsentiert.
Sie fürchten also nicht, dass Islam und Palästinensertum gleichgesetzt werden und für Christen da kein Raum ist?
Nein, denn unsere Verfassung definiert Palästina als einen pluralistischen Staat. Toleranz ist zudem, anders als in anderen arabischen Staaten, allgemein akzeptiert. Aber natürlich müssen wir uns vor radikalen Islamisten in der arabischen Welt schützen. Aber die sind nicht nur gegen die Christen, sondern gegen jede Entwicklung. Ihre Niederlage in Ägypten ist aber ein Schritt in Richtung mehr Pragmatismus. Wenn die moderaten Kräfte hier in Palästina mit ihrem Kampf für einen eigenen Staat erfolgreich sind, dann werden wir die Extremisten nicht nur in Palästina besiegen sondern in der ganzen Region. Wenn das aber nicht gelingt, dann wird Bin Laden vom Grund des Ozeans zurückkehren.
Im Päpstlichen Jahrbuch 2014 wurde Palästina erstmals als Staat aufgeführt. Ging das auf Ihren Druck zurück?
Nun, dieser Wandel hat mit der Anerkennung Palästinas als Beobachterstaat durch die Vollversammlung der Vereinten Nationen 2012 zu tun. Der Heilige Stuhl behandelt uns dementsprechend.
Erwarten Sie dann auch, dass der Status des päpstlichen Gesandten in Palästina zum Nuntius heraufgestuft wird? Bislang ist er ja nur Apostolischer Delegat.
Mit Fortschritten beim Friedensprozess wird der Heilige Stuhl die neuen Gegebenheiten zu einem späteren Zeitpunkt sicher berücksichtigen. Momentan üben wir deshalb aber keinen Druck auf den Vatikan aus. Wir arbeiten sehr gut mit dem Heiligen Stuhl zusammen.
Was erwarten Sie vom Heiligen Stuhl, um Ihre nationalen Aspirationen zu unterstützen?
Der Heilige Stuhl hat grosse moralische Autorität. Sie können damit fortfahren, uns auf der internationalen Ebene etwa bei den Vereinten Nationen zu unterstützen. Wir konsultieren uns hier schon jetzt und arbeiten gut zusammen. Als Palästinenser erhoffen wir uns von der katholischen Kirche aber vor allem Unterstützung, um die Lage der Christen im Heiligen Land zu verbessern, etwa durch Wohnungsbauprojekte. Aber wir dürfen auch nicht die geistliche Dimension vergessen. Dass sich der Papst und der Patriarch jetzt in der Grabeskirche treffen, ist von grösster Bedeutung für die palästinensischen Christen. Die Einheit der Kirchen ist für uns palästinensische Christen sehr wichtig.
Hintergrund: Der Heilige Stuhl stand unter Papst Pius XII. dem von den Vereinten Nationen 1947 in der Resolution 181 verabschiedeten Teilungsplan für das von den Briten verwaltete Mandatsgebiet Palästina in einen jüdischen und einen arabischen Staat nicht ablehnend gegenüber. Der Resolution gemäss sollten Jerusalem und Bethlehem samt Umgebung als Corpus separatum unter internationaler Verwaltung stehen. Der Heilige Stuhl unterstützte diese Internationalisierung der Heiligen Stätten nachdrücklich. Bekanntlich lehnte die arabische Bevölkerung Palästinas die Resolution 181 ab. Noch während des israelisch-arabischen Krieges 1948 infolge der israelischen Staatsgründung veröffentlichte Pius XII. eine Enzyklika, in der er eine strikt unparteiliche Haltung einnahm, aber den Schutz der Heiligen Stätten durch Internationalisierung einforderte. Durch die Päpstliche Mission für Palästina und später die Caritas versuchte der Heilige Stuhl in der Folge, das Leid der palästinensischen Flüchtlinge von 1948 und 1967 zu lindern. Viele Christen waren unter ihnen.
Als Paul VI. 1964 das Heilige Land besuchte, standen die heute von den Palästinensern beanspruchten Gebiete unter jordanischer und ägyptischer Verwaltung. Äusserungen des Papstes bezüglich der palästinensischen Selbstbestimmung gab es damals nicht. Angesichts des Aufstiegs der in der PLO organisierten palästinensischen Nationalbewegung unter Yassir Arafat und seiner historischen Rede vor der UN-Vollversammlung 1974 nahm Paul VI. wiederholt zu den legitimen Rechten der Palästinenser Stellung. Zum ersten direkten Kontakt zwischen dem Heiligen Stuhl und der PLO kam es 1975, als Kardinalstaatssekretär Agostino Casaroli Palästinenserführer Yassir Arafat im Libanon besuchte, um eine friedliche Beilegung des beginnenden Libanesischen Bürgerkriegs zu vermitteln. Unter Papst Johannes Paul II. kam es dann 1979 bei den Vereinten Nationen in New York zur ersten Begegnung eines Papstes mit Vertretern der PLO. 1982 besuchte Palästinenserführer Arafat den Vatikan, um Papst Johannes Paul II. zu treffen. Viele weitere Treffen folgten. Mit der Ernennung des Palästinensers Michel Sabbah zum ersten arabischen Lateinischen Patriarchen von Jerusalem setzte der Papst 1987 ein wichtiges Zeichen. Die im Umfeld der ersten Intifada begonnenen Kontakte zwischen Israelis und Palästinensern, die schliesslich in die Oslo-Verträge mündeten, unterstützte der Heilige Stuhl nach Kräften.
Mit der Prinzipienerklärung von 1993, mit der sich die PLO und Israel gegenseitig anerkannten, war für den Heiligen Stuhl der Weg zur Aufnahme direkter Beziehungen mit Israel und den Palästinensern frei. Der spätere Kardinal Andrea Cordero Lanza di Montezemolo wurde in Personalunion erster Apostolischer Nuntius in Israel und Apostolischer Delegat für Jerusalem und die palästinensischen Gebiete. Johannes Paul II. verlangte bei zahlreichen Gelegenheiten eine friedliche Lösung des Nahostkonflikts im Einklang mit dem Völkerrecht. Im Jahr 2000 erfolgte die Unterzeichnung eines Grundlagenvertrags zwischen dem Heiligen Stuhl und der PLO. Darin wurde der Status der katholischen Kirche in den palästinensischen Gebieten anerkannt, eine friedliche Lösung des Nahostkonflikts betont und ein spezielles Statut für Jerusalem und die Heiligen Stätten gefordert. Eine bilaterale Kommission arbeitet an der Umsetzung dieses Dokuments. Dabei geht es vor allem um Fiskal- und Wirtschaftsfragen. Der Heilige Stuhl unterstützte den erfolgreichen Antrag der Palästinenser vor der UN-Vollversammlung 2012, als beobachtender Nicht-Mitgliedsstaat anerkannt zu werden. Das päpstliche Jahrbuch bezeichnete die Repräsentanz der Palästinenser beim Heiligen Stuhl 2014 erstmals als Vertretung des “Staates Palästina” und nicht mehr als Repräsentanz der PLO. om
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