Adieu, Entzauberung!

Wie wunderbar wäre es, wenn ich tief drin wüsste:

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Gebetshaus

Wie wunderbar wäre es, wenn ich tief drin wüsste: Ich sättige mich von einer Nahrung, um die keiner weiss, der mich von aussen sieht, dem Zauberreich eines echten verborgenen Lebens in Gott.

Augsburg, 03. Mai 2014, kath.net, Von Johannes Hartl

“Schläft ein Lied in allen Dingen,
Die da träumen fort und fort,
Und die Welt hebt an zu singen,
Triffst du nur das Zauberwort.”

Irgendetwas an diesem Gedicht von Joseph von Eichendorff spricht mich tief an. Ja, das Zauberwort, das alles zum Singen bringt. Doch irgendwie tun wir uns doch heute zunehmend schwer mit dem Märchenhaften und dem Zauber, oder? Sollte ich den Zustand der modernen in einen Ausdruck fassen, so griffe ich wahrscheinlich zu dem Wort “Entzauberung”.

Als “Entzauberung der Welt” wurde erstmals 1917 von Max Weber in seinem Vortrag “Wissenschaft als Beruf” das bezeichnet, was die modernen Wissenschaften mit dem Weltbild des Menschen tun. Wo vormals mystisches Halbdunkel und die Geheimnisse der Fabelwelten zu Hause waren, erstrahlte nun das kalte Licht der Rationalität.

Die gesamte europäische Epoche seit der Aufklärung kann nicht unzutreffend unter das Leitwort der Entzauberung gestellt werden. Auf einmal ist alles erklärt, beschrieben und durchleuchtet. Und vorbei ist es mit den Geheimnissen.

Entzauberung gibt es aber nicht nur kulturgeschichtlich, sondern auch biographisch. Tatsächlich ist sie geradezu Kennzeichen eines jeden Lebens: als Kind erscheint alles noch ganz wunderbar, nach und nach jedoch werden wir realistischer…

Auch wir als Christen. Und auch: wir als Leiter, als Christen in Verantwortung. Die Entzauberung eines christlichen Leiters – notwendiger Vorgang, schrecklicher Vorgang. Da gibt es die spezifische Aura, die einen geistlichen Leiter, einen Priester oder Ordenschrist ohnehin umgibt. Wer selbst kein solcher ist, mutmasst, dieser Mensch müsse gewiss ein ganz besonderer sein. Doch dann…

Leitung, entzaubert

Noch gut erinnere ich mich persönlich an diese Mutmassung. Als Jugendlicher war ich zu einer ganz neuen persönlichen Glaubensentscheidung gekommen. Und zunächst dachte ich, der Leiter meines Jugendgebetskreises müsse ein geistlich überaus tiefer Mensch sein. Sprach er doch so überzeugend von Gott – keine Frage, dass er ihn persönlich kennt! Wie gut er ihn kennen müsse!

Nun erfuhr ich von einem Netzwerktreffen mehrerer Leiter. Innerlich erbebte ich: welche spirituelle Superpower müsse hier wohl versammelt sein! Sind hier doch so viele höchst Heilige versammelt! Nur noch in meinen kühnsten Phantasien konnte ich mir schliesslich ausdenken, wie es wohl bei einem Treffen von Leitern auf nationaler Ebene zugehen müsse. Unausdenkbar!

Egal ob auch Sie auch mit solch unrealistischen Erwartungen gestartet sind oder nicht: der Macht der Entzauberung von Leiterschaft konnten Sie wahrscheinlich auch nicht entfliehen. Vielleicht war damit auch eine echte Enttäuschung vom geweihten Amt in der Kirche verbunden.

Mich persönlich traf es hart. Herauszufinden, wie viele Priester oder Laien in Verantwortung geistlich ihre intensivsten Jahre lange hinter sich haben und eigentlich nur noch aus der Reserve leben, hört bis heute nicht auf, mich zu erschüttern. Doch das Problem reicht tiefer als eine gewisse Erschöpfung. Es ist etwas, das ich erst recht benennen lernte, als ich es mit dem verglich, wovon ich in der Schrift las.

Mehr innen als aussen

Die Geschichte ist schnell erzählt. Im ersten Buch der Könige lesen wir in Kapitel 10 über den Besuch der Königin von Saba bei König Salomo. Der Ruf dieses weisen, reichen und kultivierten Herrschers war bis zu ihr ins ferne Afrika gedrungen. Salomo nun empfang und bewirtete sie.

Ihre Reaktion erscheint nur auf den ersten Blick gewöhnlich. Stockenden Atems ruft sie aus: schon viel habe ich über dich gehört, Salomo, doch in Wirklichkeit bist du noch viel wunderbarer. Oder anders gesagt: deine innere Realität übersteigt deinen äusseren Ruhm bei weitem. Das, wie Salomo tatsächlich war, war eindrucksvoller als sein ohnehin schon beachtlicher Ruf.

Die ganze Tragweite dieser Aussage erschliesst sich erst, wenn man bedenkt, wie oft es einem ganz genau anders herum geht. Man hat Gewaltiges über jemanden oder über eine Veranstaltung, eine Gemeinde, einen Ort gehört. Doch einmal persönlich besucht muss man feststellen: die Realität ist weniger atemberaubend als das, was man darüber gehört hat. Die grosse Entzauberung: es ist doch nicht alles Gold, was glänzt.

Das grosse Geheimnis

Seit ich diese Episode aus dem Leben Salomos gehört habe, lässt er mich nicht los. Der Traum von einem Leben als Leiter, bei dem das Innen wirklich interessanter, faszinierender und “grösser” ist als das nach aussen Sichtbare.

Tatsächlich erscheint mir das Leben als Leiter, bei dem es anders herum ist, zunehmend als furchtbar. Ständig etwas geben, obwohl das Innere weit hinter dem zurückbleibt, was man gibt. Für diesen schrecklichen Zustand wähle ich neben dem Wort “entzaubert” nun das Wort “entheimlicht”. In dem Wort klingt nämlich Bedeutsames an. Jeder Mensch hat Dinge, von denen kein anderer weiss. Und jeder Mensch hat Dinge, die er im Verborgenen tut. Das, was er “heimlich” tut, ist sein Ge-heimnis. Dort ist er im Tiefsten Da-heim.

Leben kann der Mensch allgemein und der Leiter im Besonderen niemals nur im “Aussen”. Das Aussen, das Tun, das Geben speist sich notwendiger Weise aus einem Innen. Einem Verborgenen. Einem Geheimnis, in dem man sein Heim hat.

Das grösste Vorbild eines Leiters, der aus dem verborgenen Ort heraus leitet, ist Jesus. Wie muss es um sein Gebetsleben bestellt gewesen sein, dass die Jünger ihn nach Stunden des einsamen Betens an einem geheimen Ort beknieten, er möge sie beten lehren (Lk 11,1). Waren es doch allesamt fromme Juden, die schon als Kind beten gelernt hatten! Dennoch wollten sie von Jesus wissen: aus welchen Quellen nährst du dich? Was ist das Geheimnis deines Betens?

Nie wieder entzaubert

Als geistlicher Leiter gebe ich Menschen das Kostbarste und Persönlichste weiter, das ich habe: meinen persönlichen Glauben. Welch unermessliches Vorrecht, doch auch: welche Gefahr! Denn wird meine innerste Quelle, mein ganz persönlich Eigenes auf einmal und mehr und mehr etwas, das ich weitergebe, worüber ich im Aussen spreche, gerät es dadurch in Gefahr, seinen Glanz zu verlieren.

Weshalb seinen Glanz zu verlieren? Weil das kalte Licht des Sichtbaren für jeden Menschen auf Dauer tödlich ist. Das Innenleben des geistig gesunden Menschen lebt von den Bereichen des inneren Rückzugs, die eben nicht verzweckt sind.

Die einleuchtende Analogie: wie viel Spass macht das Liebesleben eines Ehepaares, das zunehmend frustriert versucht, ein Kind zu zeugen? Aber heute Nacht muss es unbedingt klappen! Die sicherste Form, die Freude an der Sexualität zu vernichten, ist ihre Verzweckung. Doch gibt es etwas Paralleles auch im geistlichen Leben, auch bei geistlichen Leitern? Ja, das gibt es. Überall.

Zwei brennende Fragen

Worum also geht es und was kann die Antwort sein? Lassen sich mich zunächst eine Frage stellen: Gibt es bei ihnen noch ein Geheimnis? Oder sind sie als Leiter oder Christ zum Funktionär geworden, der für die richtige Sache kämpft? Der all das Richtige tut? Dabei jedoch vergisst, dass es keine Sache ist, um die es geht, sondern eine Person, die es zu kennen gilt?

Und die nächste Frage: gibt es in ihrem Leben noch etwas Zweckfreies, das einfach nur für Gott und Sie stattfindet und nicht für andere? Ich habe einen Verdacht: Wenn wir keine Geheimnisse mit Gott haben, werden wir – weniger gesunde – andere Geheimnisse im Verborgenen kultivieren, die dem Schrei unserer Seele Rechnung tragen, irgendwo einfach nur sein zu dürfen und nicht nur leisten zu müssen…

Die Verzauberung kultivieren

Drei kleine, ganz konkrete Tipps:

1. Zweckfreies Bleiben in Jesus

Wie beten sie? Wenn Gebet Beziehung zu Gott ist: Ist diese Beziehung dann so etwas wie eine Geschäftsbeziehung, in der sie etwas tun, damit sie etwas bekommen? Oder ist sie eine Freundschaft oder Liebesbeziehung, in der das Zusammensein schon das Ziel ist?

Ich möchte sie einladen, Zeiten im Gebet einzuplanen, in denen sie um nichts und für nichts beten. In der sie überhaupt nicht etwas Besonderes tun, sondern einfach einmal sind vor Gott. Ganze Bücher sind über solches “kontemplatives Gebet” geschrieben worden. Doch die Mitte ist ganz einfach: Beten ist ein liebendes Verweilen der Aufmerksamkeit bei Gott, so wie die Rebe am Weinstock bleibt. Dieses im Verborgenen immer neu eingeübte Bleiben ist unabdingbare Voraussetzung für jede echte Fruchtbarkeit.

2. Zweckfreies Verweilen im Wort

Leiter neigen dazu, die Bibel zu lesen, um etwas vorzubereiten. Wir lesen eine Passage, weil wir über sie demnächst predigen müssen. Halten wir uns jedoch vor Augen, dass es der lebendige Christus ist, der zu uns spricht, wenn wir seinem Wort zuhören? Gleichen wir in unserem Umgang mit dem Wort selbst nicht oft mehr der geschäftigen Marta (“es gibt ja so viel zu tun!”) als der Maria, die sich wirklich Zeit nimmt, zu den Füssen Jesu zu sitzen und seinen Worten zu lauschen? Ich möchte sie einladen, die Bibel zu lesen, zu meditieren und im Wort zu verweilen, unabhängig davon, ob “etwas daraus wird”. Psalm 1 vergleicht das vom Nachsinnen über das Wort Gottes durchdrungene Leben mit einem Baum, der am Wasser gepflanzt ist. Wie erstrebenswert!

3. Zweckfreies Staunen über Weisheit

Und schliesslich: auch unser Verstand möchte genährt sein. Lesen sie? Studieren sie? Lesen sie noch Texte, die sie nicht “brauchen”? Unser Geist wird arm, wenn er nur noch einsammelt, was er sofort danach reproduziert. Gibt es Gedanken, theologische oder philosophische, künstlerische oder geschichtliche Gedanken, von denen sie sich intellektuell nähren? Auch hier: Man spürt es einem Redner ab, aus welcher Tiefe das kommt, was er sagt. Und nicht die Fülle an Information sättigt den menschlichen Geist, nach einem Zitat von Ignatius von Loyola, sondern das “Verkosten der Dinge von innen”.

Dafür hab ich keine Zeit

Doch, das haben Sie schon. Wissen Sie, wofür Sie wirklich keine Zeit haben? Für die nur oberflächlich effiziente Tretmühle einer geistlosen Routine. Denn diese bringt schlichtweg keine Frucht.

In den Unterlagen aus einer Fortbildung für Oberärzte in Krankenhäusern las ich den Ratschlag, sich täglich eine Stunde produktive Stille zu gönnen. Eine Stunde!? Gäbe man Pastoren oder Pfarrern einen solchen Rat, so klänge es schon ambitioniert. Doch ich las es im Kontext dieser säkularen Ärztefortbildung. Mein Vater war Oberarzt in einem Krankenhaus. So kann ich in etwa ermessen, was es dort bedeutet, sich täglich eine Stunde für die Stille zu nehmen! Und doch müssen wir sehen: für einen Diener des Evangeliums ist es noch viel vernichtender als für einen Arzt, wenn seine geistlichen Quellen versiegen.

Abschied von der Entzauberung, ja eine Rückkehr in das Zauberreich eines echten verborgenen Lebens in Gott: das kostet Zeit! Doch wie wunderbar wäre es, wenn ich tief drin wüsste: ich sättige mich von einer Nahrung, um die keiner weiss, der mich von aussen sieht (vgl. Joh 4,32). Die mein ganz eigenes Ge-heimnis ist. Es wäre das Ende der Entzauberung. Und das wäre wirklich revolutionär. Und zauberhaft.

Dr. Johannes Hartl ist Theologe und leitet das Gebetshaus in Augsburg.

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