“Mir blutet das Herz”: Hintergrund

Mauerbau im Heiligen Land

by CarolmooredcDie Christen Beit Dschallas warten auf das Urteil der Obersten Richter Israels.

Die Tagespost, 31. Januar 2014, von Oliver Maksan

“Hoffnung. Die Armee macht, was sie will. Unser ganzer Einsatz bringt wohl nichts.” Ibrahim Shomali, römisch-katholischer Gemeindepfarrer von Beit Dschalla, hat müde Augen, als er durch das Cremisantal nahe Bethlehem führt. Die auch im Januar bisweilen starke nahöstliche Sonne taucht die Gegend in ein strahlendes Licht. Olivenhaine, oft jahrhundertealt, und üppige Obstbäume liegen dicht beieinander auf den Terrassen des schönen Tals, das Jerusalems Süden von der Region Bethlehem trennt.

Geht es nach dem Willen der israelischen Armee, wird hier bald eine 1500 Meter lange Lücke jener umstrittenen Mauer geschlossen, die Israel von den Palästinensergebieten trennt. Aus Sicherheitsgründen, wie die Armee sagt. Um palästinensisches Land zu enteignen, wie die Palästinenser meinen. “Israel kann eine Mauer bauen, wo es will. Aber nicht auf palästinensischem Grund. Das ist unser Land. 58 christliche Familien würden ihr Land verlieren, wenn sich die Armee vor Gericht wieder durchsetzt.”

Pfarrer Shomali spielt auf den Berufungsprozess an, den die christlichen Kläger nach ihrer letztjährigen Niederlage vor einem Tel Aviver Bezirksgericht jetzt vor dem Obersten Gerichtshof Israels angestrengt haben. Seit Mittwoch wird in Jerusalem verhandelt. “Sie haben den Termin zuerst auf den 25. Dezember gelegt. Können Sie sich das vorstellen? Ich habe dem Richter gesagt, dass ich kein Problem damit habe, Weihnachten im Gerichtssaal zu feiern”, so Shomali immer noch sichtlich erregt. Das Gericht verschob den Verhandlungsbeginn daraufhin auf vergangenen Mittwoch. Wann das Urteil gefällt wird, ist noch unklar. Aber Einspruch wird es dagegen keinen mehr geben können. Es ist die letzte Instanz. Seit 2006 bereits liegen die betroffenen Einwohner Beit Dschallas, einem überwiegend christlichen Ort nahe Bethlehem, im Rechtsstreit mit der israelischen Armee.

“Das hat uns bislang ein Vermögen gekostet. Aber dieses Land ist für uns so wichtig. Das kann ein Aussenstehender vielleicht nicht verstehen. Seit dreihundert Jahren gehört es meiner Familie. Mein Vater hatte ein fast zärtliches Verhältnis zu den Olivenbäumen hier. Über hundert unserer Bäume haben sie schon zerstört. Zum Glück ist er schon tot und muss nicht erleben, dass hier möglicherweise bald alles platt gemacht wird”, sagt Grace. “Schon jetzt verwehrt uns die Armee teilweise den Zugang. Wir hätten Oliven gepflückt ohne Genehmigung. Können Sie sich das vorstellen? Mir blutet das Herz. Mein Sohn überlegt ernsthaft, das Heilige Land zu verlassen. Er hält diese Ungerechtigkeit nicht aus.“ Zusicherungen der israelischen Seite, in der Mauer Zugänge für die landwirtschaftliche Nutzung zu schaffen, schenkt George, ebenfalls ein Betroffener, keinen Glauben. “Ich kenne diese israelischen Regelungen. Man muss komplizierte Sicherheitschecks durchlaufen, ehe man überhaupt passieren darf. Und dann heisst es irgendwann einmal: Nein, du kannst heute nicht durch. Aus Sicherheitsgründen. Und irgendwann lassen sie dich dann noch seltener durch. Das ist schon tausendmal in Palästina passiert”, meint er.

Beit Dschallas Bürgermeister Nael Salman stimmt ihm zu. “Unsere Leute hängen wirtschaftlich von diesen Grundstücken ab. Es ist zudem der einzig verbliebene Naherholungsraum um Bethlehem. Sonst ist alles verbaut. Die israelische Apartheidsmauer macht die Geburtsstadt Christi und ihre Umgebung zur am meisten strangulierten Stadt der Welt.” Er fürchtet zudem um die Zukunft seiner Stadt. “Beit Dschalla kann sich nicht ausdehnen. Die Bevölkerungsdichte und der Verkehr werden zunehmen. Durch die Mauer ist schlicht keine Stadtentwicklung möglich. Schon jetzt haben wir sechzig Prozent unseres Stadtgebiets an die umliegenden israelischen Siedlungen verloren.” Betroffen sind vom Mauerbau indes nicht nur Familien, sondern auch zwei Klöster des männlichen und des weiblichen Zweigs der Salesianer. Ursprünglichen Plänen zufolge sollten beide Konvente auf der israelischen Seite der Mauer landen. Die Schule der Schwestern wäre dann nicht mehr erreichbar gewesen. Nach Protesten der Schwestern schlug die Armee einen Kompromiss vor: Der Konvent samt Schule sollte auf der palästinensischen Seite verbleiben. Die Mauer würde das Gelände aber von drei Seiten umgeben. Dagegen klagen die Schwestern. 2010 sind sie dem Prozess der Anwohner beigetreten. Ihr Argument: Der Schulbetrieb wäre nur eingeschränkt wenn überhaupt möglich. Viele Eltern würden ihre Kinder nicht in das potenziell gefährliche Gelände nahe der Mauer schicken. Eine bereits genehmigte Erweiterung der Schule mit über 400 Schülern wäre ausgeschlossen. Ausserdem würden die Schwestern viel Land verlieren und die Verbindung zum benachbarten Männerkloster, das nach dem Willen der Armee auf der israelischen Seite landen soll. Patres von dort versehen indes wie eh und je die Seelsorge in Konvent und Schule. Immer wieder hiess es, die Salesianer seien gar nicht so unglücklich wegen des Mauerlaufs. Nach Israel schliesslich verkauften sie einen Grossteil des bekannten von ihnen produzierten Weines. Sie haben dies immer zurückgewiesen und betont, dass sie auf palästinensischer Seite verbleiben wollten.

Jetzt liegt indes alles in der Hand der Obersten Richter Israels. “Wir brauchen die Unterstützung der Welt”, fleht Pfarrer Shomali. “Menschen, die unser Schicksal rührt, sollten sich an ihre Botschafter wenden und für uns beten. Wir hier aus Beit Dschalla haben Papst Franziskus geschrieben. Ich habe ihm den Brief im vergangenen Jahr selbst im Vatikan übergeben können. Leider haben wir noch keine Antwort erhalten. Ich hoffe aber, das uns der Heilige Vater im Mai besuchen kommt.”

Das Oberste Israelische Gericht hat den für den 29. Januar erwarteten Urteilsspruch zum Bau der Sperranlage im Cremisan-Tal verschoben. “Bei der Sitzung des Gerichts”, so der in Beit Dschalla tätige Pfarrer Mario Cornioli, “waren die Anwälte der geschädigten Parteien sehr gut und deckten die Lügen der Gegenseite und des Verantwortlichen des Entwurfs für den Mauerverlauf auf, sodass dieser ziemlich schlecht dastand. Die Verwüstung des Cremisan-Tals und die Enteignung der Grundstücke kann auf keinen Fall mit Sicherheitsgründen gerechtfertigt werden. Seit der Streit begonnen hat wurden auch Alternativen für den Verlauf der Mauer aufgezeigt. Wenn die drei Richter, die darüber entscheiden werden, gerecht und ehrlich sind, dann wird die Mauer nicht so verlaufen. Unterdessen beten wir weiter dafür.” Gegen den Bau der Mauer im Cremisan-Tal ging die katholische Menschenrechtsorganisation “Society of St Yves” vor Gericht, die den Rechtsstreit auch im Namen der Bischöfe im Heiligen Land vorantreibt. An der Verhandlung nahm auch Weihbischof William Shomali vom Lateinischen Patriarchat zu Jerusalem teil. Anwesend waren auch verschiedene Priester des Patriarchats, die Bürgermeister von Bethlehem und Beit Dschalla und Vertreter von 13 ausländischen Konsulaten. Im Vorfeld der Verhandlung hatte sich die US-Bischofskonferenz an US-Aussenminister John Kerry gewandt. Bischof Richard E. Pates, Vorsitzender des “Committee of International Justice and Peace” der amerikanischen Bischofskonferenz, hatte in einem Schreiben an Kerry Initiativen gefordert, “Israel zu einer Beendigung der unnötigen Beschlagnahmung von palästinensischen Grundstücken in der besetzten West Bank zu bewegen”. “Als ich gesehen habe, wie schön dieses Agrarland ist und mit christlichen Familien dort sprechen durfte, deren Unterhalt und die Traditionen dieses Land sichert, das nun ernsthaft gefährdet ist”, so der Bischof von Des Moines in seinem Schreiben, “war ich ganz einfach entsetzt über diese Ungerechtigkeit eines solchen Vorgehens.”

DT/Fides

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