11. Februar 2013, 11:41 Uhr: ‘ingravescente aetate…’

Der Amtsverzicht und einige besondere Momente

Papst Benedikt XVI.Quelle
Der Rücktritt (benedictusxvi.org)
Wie ein Blitz aus heiterem Himmel

Benedikt XVI. ‘im Bereich des heiligen Petrus’. Das ‘für immer’ des Petrusdienstes beim Kreuz des einen Herrn.

Von Armin Schwibach

Rom, kath.net/as, 11. Februar 2014

“Conscientia mea iterum atque iterum coram Deo explorata ad cognitionem certam perveni vires meas ingravescente aetate non iam aptas esse ad munus Petrinum aeque administrandum” — “Nachdem ich wiederholt mein Gewissen vor Gott geprüft habe, bin ich zur Gewissheit gelangt, dass meine Kräfte infolge des vorgerückten Alters nicht mehr geeignet sind, um in angemessener Weise den Petrusdienst auszuüben.”

Wie Mühlsteine fielen die Worte Benedikts XVI. hinein in die Sala del Concistoro im Apostolischen Palast, wo sich die in Rom anwesenden Kardinäle versammelt hatten. Nicht alle waren da, denn: eigentlich stand nichts “Besonderes” auf dem Programm, nur die “übliche” Mitteilung an das Kardinalskollegium zu kommenden Heiligsprechungen. Aber es kam anders, und einige der Abwesenden dürften es bis heute nicht recht verwunden haben, dass sie den historischen Moment versäumten. Der 11. Februar 2013 sollte zu einem einzigartigen Tag in der Geschichte der Kirche werden, der Tag des singulären, einmaligen Ereignisses schlechthin: “Ich habe euch zu diesem Konsistorium nicht nur wegen drei Heiligsprechungen zusammengerufen, sondern auch um euch eine Entscheidung von grosser Wichtigkeit für das Leben der Kirche mitzuteilen”.

Der Papst verzichtete auf sein Amt des Bischofs von Rom, des Summus Pontifex, und kündigte an, dass “ab dem 28. Februar 2013, um 20.00 Uhr, der Bischofssitz von Rom, der Stuhl des heiligen Petrus, vakant sein wird und von denen, in deren Zuständigkeit es fällt, das Konklave zur Wahl des neuen Papstes zusammengerufen werden muss”. Ab 11:41 Uhr jenes denkwürdigen Tages ist für die Kirche nichts mehr so, wie es vorher oder wie es “immer” war.

Um 11:46 Uhr meldete Giovanna Chirri von der italienischen Nachrichtenagentur ANSA: “Benedikt XVI. tritt zurück”. Bereits vorher war auf der Twitter-Timeline Chirris Tweet erschienen: “B16 si e’ dimesso. Lascia pontificato dal 28 febbraio — B16 ist zurückgetreten. Er verlässt den Pontifikat ab dem 28. Februar”. Chirri hatte die auf Latein gehaltene Ansprache des Papstes im Vatikanfernsehen im Pressesaal verfolgt, und: sie verstand Latein (was im übrigen nicht bei allen anwesenden Kardinälen der Fall war. Von diesen hatten vorab nur Kardinalsstaatssekretär Tarcisio Bretone und der Dekan des Kardinalskollegiums, Angelo Sodano, gewusst, was auf sie zukommen sollte).

Ein paar Tweets weiter schrieb Chirri: “When #Pope announced he was resigning, I felt weak at the knees” — “The #Pope’s Latin is very easy to understand” — “It pained me that #Pope #B16 is stepping down. He is a great theologian”, und zum Schluss des aufgewühlten Tages: “Cari amici di twitter, meno di 140 battute bastano per le vere notizie. grazie a tutti per affetto. Chr — Liebe Twitter-Freunde, weniger als 140 Zeichen reichen für die wahren Nachrichten. Danke an alle für die Zuneigung. Chr”.

Und damit war der Mikroblogging-Dienst Twitter definitiv in die Geschichte der Kirche und der Welt eingetreten, gerade weil Reaktionen auf Chirris Tweet auch lauteten wie: “Rosenmontag in Rom…”, denn: eigentlich war das Unglaubliche geschehen.

Wie lange die Entscheidung in Benedikt XVI. gereift ist, wissen nur er und seine engste Umgebung. Eine wichtige Etappe auf dem Weg zum Amtsverzicht dürfte die Reise nach Mexiko und Kuba vom Vorjahr gewesen sein (März 2012), von der der Papst völlig erschöpft zurückgekommen war. Eines ist jedoch klar: es handelte sich um einen wohl erwogenen und lang geplanten Schritt, rational durchkalkuliert bis ins letzte Detail. Nichts überliess Benedikt XVI. dem Zufall, angefangen beim Datum der Bekanntgabe seines Willens. “Conscientia mea iterum atque iterum coram Deo explorata” — “iterum et iterum”, immer wieder, wiederholt hat der Papst sein Gewissen geprüft und alles vorbereitet, dass die Kirche diesen dramatischen Schritt bis zum Osterfest — dem Höhepunkt des christlichen Jahres — mit der Wahl eines neuen Papstes überwinden und eine neue Zeit anheben kann.

Im Mittelpunkt des Denkens und Handelns Benedikts XVI. stand nur eines: Christus und das Wohl der Kirche. Und dieses Wohl der Kirche hatte besonders im letzten Jahr seines Pontifikats durch die sogenannte Vatileaks-Affäre lästigen Schaden gelitten. Vatileaks — die Verletzung der Unversehrtheit des Papstes und der grosse Vertrauensbruch — dass dies nichts mit der unbedeutenden Person eines Kammerdieners zu tun haben konnte, war von Vornherein klar, trotz eines noch im Sommer 2012 zelebrierten Scheinprozesses.

Dass Kräfte am Werk waren, die den Papst neben anderen und wichtigeren Gründen dann zur Erkenntnis führten, dass es eines revolutionären Einschnittes bedurfte, war keinem aufmerksamen Beobachter entgangen. Aber all dies ist zu wenig und dient im Letzten nicht dem Verständnis des singulären Ereignisses des Amtsverzichts. Dieser muss nicht weniger in seiner metaphysischen Dimension gesehen werden, jenseits aller weltlicher Oberflächlichkeit, jenseits aller weltlicher Beschränktheit, im Bereich Christi, im Bereich der Kirche und ihres Geheimnisses, das Grund und Leidenschaft des Lebens Benedikts XVI. darstellt.

In seiner Abschiedsansprache vor dem Kardinalskollegium am 28. Februar 2013 sprach Benedikt XVI. von diesem Geheimnis mit einem Wort Romano Guardinis, der gesagt hatte: die Kirche “ist keine erdachte und konstruierte Institution […], sondern ein lebendiges Wesen […] Sie lebt durch die Zeit weiter; werdend wie alles Lebendige wird; sich wandelnd […] dennoch im Wesen immer die gleiche und ihr Innerstes ist Christus”.

Im Mittelpunkt des ganzen Lebens Benedikts XVI. steht diese Erkenntnis: die Kirche ist ein lebendiger, vom Heiligen Geist belebter Leib und lebt wirklich aus der Kraft Gottes: “Sie ist in der Welt, aber sie ist nicht von der Welt: sie gehört Gott, Christus, dem Heiligen Geist”. Deshalb war für den Papst auch ein anderes berühmtes Wort von Guardini wahr und vielsagend: “‘Die Kirche erwacht in den Seelen’. Die Kirche lebt, wächst und erwacht in den Seelen, die — wie die Jungfrau Maria — das Wort Gottes aufnehmen und es durch das Wirken des Heiligen empfangen; sie bieten Gott ihr eigenes Fleisch an und gerade in ihrer Armut und Demut werden sie fähig, Christus heute in der Welt zu gebären. Durch die Kirche bleibt das Geheimnis der Menschwerdung für immer gegenwärtig”.

In seiner letzten Katechese zur Generalaudienz am 27. Februar 2013 rief Benedikt XVI. das “immer” des Petrusamtes in Erinnerung. “Immer – wer das Petrusamt annimmt, hat kein Privatleben mehr. Er gehört immer und ganz allen, der ganzen Kirche. Sein Leben wird sozusagen ganz entprivatisiert. Ich durfte erleben und erlebe es gerade jetzt, dass einem das Leben eben darin geschenkt wird, dass man es weggibt”.

Dieses “immer”, so erklärte der Papst, sei auch ein “für immer” — “es gibt keine Rückkehr ins Private. Meine Entscheidung, auf die aktive Ausführung des Amtes zu verzichten, nimmt dies nicht zurück. Ich kehre nicht ins private Leben zurück – in ein Leben mit Reisen, Begegnungen, Empfängen, Vorträgen usw. Ich gehe nicht vom Kreuz weg, sondern bleibe auf neue Weise beim gekreuzigten Herrn. Ich trage nicht mehr die amtliche Vollmacht für die Leitung der Kirche, aber im Dienst des Gebetes bleibe ich sozusagen im engeren Bereich des heiligen Petrus”.

11. Februar 2013: der Tag, an dem ein lichtreicher Pontifikat sich auf den Weg zu seinem Abschluss machte. Erst künftige Generationen werden die Tragweite dieses Schritts ermessen können. Erst künftige Generationen werden die Grösse und Tiefe des Theologen auf dem Petrusstuhl in ihrer Fülle ausloten, und die, die dabei waren, werden sich immer mehr des Privilegs bewusst werden, einem Kirchenlehrer als Papst gedient und ihn geliebt haben zu dürfen.

Das Erbe des Theologen und Nachfolgers Petri ist reich. Es ist ein Schatz, den es zu heben gilt. Ansonsten kann es kommen wie im Gleichnis von den anvertrauten Talenten und dem Diener, der aus Angst und Unfähigkeit das Wertvolle vergräbt statt danach zu trachten, es fruchten zu lassen: “Werft den nichtsnutzigen Diener hinaus in die äusserste Finsternis! Dort wird er heulen und mit den Zähnen knirschen” (Mt 25,30).

“Wo keine Schlacht ist, ist kein Christentum”, sagte der Papa emerito zu Erzbischof Luigi Negri von Ferrara-Cornacchio, der ihn am 5. Februar 2014 im Kloster “Mater Ecclesiae” in den Vatikanischen Gärten besuchte. Kein Dualismus zwischen Welt und Kirche, kein Rückzug der Kirche in eine Selbstbezogenheit, durch die sie sich selbst an den Rand drängt. Die Kirche ist ein Skandal für die Welt. Benedikt XVI. weiss dies. Deshalb sorgte er sich um die richtigen Waffen für diesen geistlichen Kampf. Seine eigene letzte Waffe ist das Gebet auf seinem Berg Tabor, seine einzige und letzte Aufgabe: für den Papst und die Kirche zu beten.

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