“Verheerend für die Zukunft”

Missio-Referent Hans-Peter Hecking spricht von einem Bürgerkrieg im Südsudan

Missio-Projektpartner bleiben im Südsudan
Römisch-katholische Kirche im Sudan

Von Clemens Mann

Die Tagespost, 27. Dezember 2013

Herr Hecking, im Südsudan tobt ein Machtkampf zwischen Präsident Kiir und dem entlassenen Vizepräsidenten Machar. Wie hat sich die Situation über Weihnachten entwickelt?

Das, was wir zu Beginn des Konflikts nicht zu befürchten geglaubt haben, hat sich nun bewahrheitet: Die Kämpfe haben sich auf weite Teile des Landes ausgeweitet.

Im Norden im Bundesstaat Unity, der ölreichen Region des Landes, haben Truppen von Machar die Macht an sich gerissen. Auch im Bundesstaat Upper Nile und dort besonders in der Stadt Malakal gibt es Kämpfe. Die Stadt war auch in den vergangenen Jahren nach dem Friedensschluss mit Sudan 2005 immer wieder Schauplatz blutiger Machtkämpfe rivalisierender Volksgruppen. Präsident Kiir will nun mit seinen Truppen die Stadt von den aufständischen Machar-Soldaten wieder zurückerobern. Es gibt Hausdurchsuchungen, Plünderungen. Marodierende Soldaten dringen in die Häuser der Leute ein und bringen wahllos Menschen um. Der Konflikt ist schrecklich und unberechenbar. Das ist eine wirkliche Terrorsituation für die Menschen. Die Menschen hatten viele traumatische Erlebnisse des vergangenen Bürgerkrieges, der über drei Jahrzehnte dauerte, hinter sich gelassen. Viele, die nach Uganda und Kenia flüchteten, sind wieder nach Hause gekommen, um sich mit blossen Händen eine neue Existenz aufzubauen. Jetzt geht das Blutvergiessen erneut los. Was das in den Menschen an Schaden verursacht, ist teuflisch und verheerend für die Zukunft des jungen Landes.

Diplomaten und Politiker hofften vor Weihnachten noch, die Kämpfe zwischen den Stämmen, Dinka und Lou Nuer, eindämmen und einen Bürgerkrieg verhindern zu können. Haben wir jetzt diesen Bürgerkrieg?

Das ist eine Frage der Definition. Aber wir reden mittlerweile von über 100 000 Flüchtlingen und Kämpfen in weiten Teilen des Landes mit mehreren tausend Toten. Was ist das anderes als ein Bürgerkrieg?

Die afrikanischen Nachbarn versuchen in den Gesprächen zu vermitteln. Wie bewerten Sie diese Anstrengungen?

Es ist auf jeden Fall gut, dass die afrikanischen Nachbarn Kenia und Äthiopien Hilfe angeboten haben. Genauso wichtig ist aber, dass die Vereinten Nationen in dieser prekären Situation das Kontinent der UN-Truppe kurzfristig um 5 500 Soldaten auf 12 500 aufgestockt haben. Auch die Zahl ausländischer Polizisten wurde um etwa 400 vergrössert. Jetzt ist die Frage, wie schnell diese Sicherheitskräfte vor Ort sein können und mit welchem Mandat sie ausgestattet sind.

Wie wichtig ist die Präsenz der ausländischen Sicherheitskräfte im noch jungen Südsudan?

Sehr wichtig. Die UN-Truppen sind Anlaufpunkt für Binnenflüchtlinge. Sie suchen in den Camps nicht nur Schutz für Leib und Leben, sondern hoffen, dort auch Nahrung und Trinkwasser zu bekommen. Die Völkergemeinschaft setzt mit der Aufstockung des Truppenkontingents ein deutliches Zeichen. Sie äussert damit den Willen, dass dieser junge Staat funktionieren, ein staatlicher Apparat und rechtsstaatliche Verhältnisse aufgebaut werden sollen.

Mehr als 100 000 Menschen sind auf der Flucht. Wer hilft diesen Menschen?

Es sind noch einige humanitäre Organisationen im Land. Viele haben sich aber zurückgezogen. Auf jeden Fall aber ist die Kirche da und hilft, wo sie kann. Auf dem Grundstück der Kathedralpfarrei in der Hauptstadt Juba suchen im Augenblick zwischen fünf- und siebentausend Menschen Hilfe. Das sind hauptsächlich Frauen und Kinder. Es fehlt am Allernötigsten, an Decken, Nahrung und Trinkwasser. Das Erzbistum Juba bittet dringend um Hilfe.

Wie verhalten sich die Bischöfe?

Es gab einen ökumenischen Aufruf zu einem Waffenstillstandsabkommen über die Weihnachtstage, um die Zeit für Verhandlungen zu nutzen. Der Erzbischof von Juba rief die Priester und Vertreter von Missionsgemeinschaften am Weihnachtsmorgen zusammen, um mit ihm die Lage zu besprechen. Er gab ihnen mit auf den Weg, dass die Kirche jedem, egal welcher Rasse, Hautfarbe und Religion Hilfe gewähren muss, wenn darum gebeten wird. Und das geschieht auch. Viele ausländische Missionare, etwa die Comboni Missionare, sind trotz eines Angebotes auf Evakuierung im Land geblieben, um den Menschen in der Not beizustehen.

Besteht für die Helfer nicht selbst die Gefahr, zwischen die Fronten zu geraten?

Das wird sich noch zeigen. Käme es zu Gewalt gegen die Kirche, würde das eine neue Ebene der Verrohung bedeuten. Ich glaube aber nicht, dass das passiert. Die Kirchen haben einen hohen moralischen Stellenwert im Land. Die Menschen haben nicht vergessen, was die Kirche getan hat während der drei Jahrzehnte Bürgerkrieg.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Kategorien

Die drei Säulen der röm. kath. Kirche

monstranz maria papst-franziskus

Archiv

Empfehlung

Ausgewählte Artikel