Das Programm des Aufbruchs
Das “Jahr des Glaubens” ist vorbei
Die Tagespost, 27. November 2013, von Markus Reder
Das “Jahr des Glaubens” ist vorbei. Doch an seinem Ende steht ein Papst-Schreiben, das der Kirche den Weg in die Zukunft weist.
Erstmals ertönt mit “Evangelii Gaudium” die Stimme von Franziskus in einem päpstlichen Dokument im Original. In Ton und Stil ist das deutlich zu spüren. Die Enzyklika “Lumen fidei” war im Wesentlichen bereits von Papst Benedikt vorbereitet. “Evangelii Gaudium” ist die kraftvolle, programmatische Grundsatzerklärung von Papst Franziskus. In weiten Teilen kann man darin eine Ausfaltung und Vertiefung jener Brandrede sehen, die der Pontifex noch als Kardinal Bergoglio im Vorkonklave gehalten hat. Dieses Schreiben ist ein flammender Appell, ein lauter Ruf nach Erneuerung.
“Evangelii Gaudium” ist ein Sturmwind, der den Staub von den Schreibtischen einer in Bürokratie und Selbstverwaltung erstarrten Kirche bläst. Dieses Schreiben ist eine Kampfansage an jene Apparatschiks in Ordinariaten, Kurien, Gremien, Behörden und Sekretariaten, die Kirche und sich selbst nur mehr verwalten, statt Verkündigung zu gestalten. Die Antwort des Papstes ist eindeutig: Raus aus der Selbstgefälligkeit, rein ins Leben, mit all seinen Sorgen und Leiden, Hoffnungen und Freuden. Nicht Akten auf den Weg, sondern Christus zu den Menschen bringen! Die Kirche der Zukunft wird missionarisch sein oder sie wird nicht mehr sein. So lässt sich das Dokument von Papst Franziskus zusammenfassen. Was den Blick auf Christus verstellt, was verhindert, dass Menschen in Berührung mit ihm kommen, darf keinen Platz in der Kirche haben. Das ist der Massstab franziskanischer Reform. Revolution von oben sei das, heißt es jetzt oft. Das stimmt so nicht. Das ist die Revolution des Evangeliums. Franziskus geht es um eine radikale Erneuerung von innen, aus der Mitte des Glaubens. Der Papst schleift nicht die Doktrin. Er will, dass der Glaube leuchtet. Durch das Leben derer, die ihn verkünden. Durch die Freude jener, die Christus begegnen.
In einer Zeit, in der selbst Bischöfe das Wort “Mission” nur noch zurückhaltend in den Mund nehmen, wirkt dieses Dokument wie ein Paukenschlag: Eine Kirche, die sich nicht aufreibt, um das Evangelium bis an die Ränder der Gesellschaft zu tragen, weil sie stattdessen um sich selbst kreist, hat ihren Auftrag verfehlt. Davon ist Franziskus überzeugt. Doch der Papst spricht nicht nur über die Kirche, sondern auch über die Welt. Sein Schreiben ist die schärfste Abrechnung mit dem Kapitalismus, die je aus dem Mund eines Papstes zu hören war. Und das, obwohl bereits Johannes Paul II. und Benedikt XVI. nicht zimperlich waren mit ihrer Kritik an einem Wirtschaftssystem, das – wie auch der Sozialismus – den Menschen von sich selbst entfremdet und ihm Freiheit und Würde nimmt.
Die Armen, das unterstreicht dieses Dokument, werden unter Franziskus zu einem neuen Topos der Theologie. Dies mit Befreiungstheologie gleichzusetzen, zeigt wenig Kenntnis von der Vielgestaltigkeit befreiungstheologischer Ansätze und verkennt zudem die Grundlage der “Option für die Armen” im Zweiten Vatikanum. An manchen Stellen von “Evangelii Gaudium” bleiben Fragen offen. Das gilt etwa für eine Neugestaltung des Petrusamtes. Eine Idee, die bereits Johannes Paul II. mit Blick auf die Ökumene thematisiert hat. Das gilt mehr noch für die von Franziskus angesprochene Ausstattung der Bischofskonferenzen mit “authentischer Lehrautorität”.
Man kann nur hoffen, dass der Schwung, mit dem Franziskus die Kirche zum Aufbruch ruft, nicht dadurch an Kraft verliert, dass man sich bruchstückhaft an diesem Text bedient, um sich selbst bestätigt zu fühlen und Reformbedarf dann nur bei anderen zu sehen.
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