Den Gottesdienst im Liegestuhl mitfeiern

“Ich habe gemeint, ich sei in einer Brockenstube

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Kirche St. Johannes in Luzern: Den Gottesdienst im Liegestuhl mitfeiern

Von Andrea Moresino / Kipa

Luzern, 6.9.13 (Kipa)

Ein grüner Liegestuhl, ein rot-beiges kariertes Fauteuil, mehrere Plastikstühle für Kinder, ein Gymnastikball, Sitzsäcke und mittendrin einige dunkelblaue Holzliegestühle mit dem Aufdruck der Katholischen Kirche im Kanton Luzern. Dort, wo gewöhnlich die mehrere Meter langen Kirchenbänke aus Holz stehen, haben rund 100 verschiedene Sitzmöbel den Kirchenraum der katholischen Kirche St. Johannes in Luzern erobert – für vier Wochen. Ingrid Bruderhofer, Pastoralassistentin, freut sich über “diese Individualität, diese Vielfalt und Farbigkeit” in der Kirche.

Wer in diesen Wochen die katholische Kirche in Luzern Würzenbach betritt, dem bietet sich ein ungewohntes Bild: Esszimmerstühle, Sofa, Campingsessel und bemalte Schulsessel stechen dem Kirchenbesucher ins Auge. Mit mehr oder weniger Abstand zueinander stehen die Sitzgelegenheiten im Halbrund in dem grauen Betonbau – nicht geordnet, aber doch zum Altarraum ausgerichtet.

“Die Menschen haben sich schon im Vorfeld Gedanken darüber gemacht, in welchem Stuhl sie den Gottesdienst mitfeiern möchten”, erzählt Ingrid Bruderhofer und zeigt auf einen Holzstuhl, dessen Lehne von gelben Plastikblumen umrankt ist und an den eine Kopie des Liedes “Brot des Lebens” angebracht wurde. Und doch ist keiner der Stühle reserviert. Die Mitfeiernden sind aufgerufen, verschiedene Sitzmöbel auszuprobieren und nicht auf den eigenen Stuhl zu beharren.

Von Würde und Vielfalt

“Nimm deinen Stuhl und komm” steht an einer Wand im Eingangsbereich der Kirche. Doch nicht überall hat die Idee, Kirchenbänke raus und Sofas rein, Anklang gefunden. Von Beginn weg habe es kritische Stimmen gegeben und einige Kirchgänger besuchen während des 18. August und dem 15. September einen Gottesdienst in einer anderen Luzerner Kirche. Dies ist auch auf der Stellwand im Eingangsbereich der Kirche nachzulesen.

Dort können die Besucher ihre Gefühle, Anregungen und Gedanken auf Zetteln an die Wand heften. “Als ich in die Kirche reingekommen bin, habe ich gemeint, ich sei in einer Brockenstube. Schade um diesen Kirchenraum” steht auf einem gelben Papier. In anderen Bemerkungen werden dem Kirchenraum die Würde und die Sakralität abgesprochen und zu mehr Respekt gegenüber dem Raum aufgerufen. “Mut, die starren Formen aufzubrechen” oder “diese Unordnung spricht von einer bunten Vielfalt, die tut mir gut” sind einige der positiven Rückmeldungen.

Eine Gruppe aus Winterthur, die zufällig hier reinkam, sei von der Idee so begeistert gewesen, dass sie dies auch gerne in ihrer Pfarrei machen möchten, erzählt Mark Steffen, Sakristan von St. Johannes. “Einige läuten auch beim Pfarrhaus, um mit uns darüber zu sprechen”, meint die Pastoralassistentin. In anonymen Briefen seien sie aber auch für diese Art der Kirchenraumgestaltung angegriffen worden, sagte Alois Metz, Pfarreileiter gegenüber der Presseagentur. Man könne diese Personen aber an einer Hand abzählen.

In Bewegung setzen

Das Hauptziel der Aktion, “das sich etwas bewegt”, habe das Pfarreiteam erreicht. “Das nicht alles so starr bleibt, dass man sich Gedanken auch über andere Formen macht”, erklärt Ingrid Bruderhofer. Die Aktion habe bisher zu vielen Begegnungen und guten Gesprächen geführt, es bewege sich etwas, nicht nur äusserlich, sondern auch innerlich bei den Menschen, die sich damit auseinandersetzen, sagt sie. “Kann ich denn nur beten, wenn alles geordnet ist oder wenn ich in einer Kirchenbank sitze”, fragt sich die Theologin.

Es sei eine viel grössere Herausforderung die Beziehung zu Gott aufrechtzuerhalten, wenn es unruhig ist. Ein Firmling habe mal zu ihr gesagt: “Gott ist für mich wie ein Sofa – da kann ich sein, da kann ich mich wohlfühlen, da kann ich mich ausruhen”. Ein schönes Bild, schwärmt sie. Doch es gehe nicht nur ums Wohlfühlen, noch sei der Glaube eine Wellness-Religion, sondern es gehe darum, sich in Bewegung zu setzen. Vielleicht bekommt der eine oder die andere auch einen neuen Blickwinkel während des Gottesdienstes, wenn er oder sie nicht am angestammten Platz sitzt, sondern sich mal auf einen neuen Sitzplatz einlässt.

Dazugehören

Doch nicht nur die Gemeindemitglieder setzen sich mit dieser Form der Kirchenbestuhlung auseinander. In Leserbriefen in der Neuen Luzerner Zeitung wird über mangelnde Ehrerbietung vor Gott und das Fehlen der liturgischen Haltung geschrieben. Sehr positiv aufgenommen wurde die Aktion von einer Rollstuhlfahrerin: “Für einmal können alle dazugehören. Niemand muss mehr neben der Kirchenbank sitzen, oder in irgendeiner schmalen Ecke, niemand ist im Weg, wenn die Kommunion ausgeteilt wird”, schreibt sie in ihrem Leserbrief.

Dieser Brief könnte der Anstoss zu etwas Grösserem gewesen sein. So hat das Behindertenforum Zentralschweiz eine Rundmail verschickt, in welcher Rollstuhlfahrer aufgefordert werden, den Gottesdienst in der Johanneskirche zu besuchen, erzählt Ingrid Bruderhofer. Beim Team habe dieser Brief und auch die Mail nicht nur Betroffenheit “ausgelöst”. Mittlerweile gibt es eine Beschilderung, die Rollstuhlfahrern den leicht verschachtelten Weg in die Kirche weist.

Eine Verlängerung oder eine spätere Wiederholung der Aktion sei nicht geplant. Nach dem Ende am Dank-, Buss- und Bettag kommen die Kirchenbänke aus ihrem Zwischenlager wieder zurück. Und wenn der Rücken sich dann wieder an der harten Holzlehne der Kirchenbank reibt, wird sich vielleicht so mancher an seinen Sitzsack, das Sofa oder den Liegestuhl während des Gottesdienstes erinnern.

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