Kroatien kommt in der Krise

Am Montag wird das mediterran-mitteleuropäische Land zum 28. EU-Mitgliedsland

Kathedrale von Zagreb by AvdaDie Tagespost, 28. juni 20134, von Stephan Baier

Die “Bild”-Zeitung fragte schon einmal vorsichtshalber, ob Kroatien “das neueste Milliarden-Grab der EU” werde, ob also neuerlich deutsches Geld eine ausländische Wirtschaft retten muss. Tatsächlich bringen schon jetzt viele Deutsche viel Geld an die Adria – und zwar als Touristen: 6,83 Milliarden Euro spülte der Tourismus 2012 ins Land, das sind 3,2 Prozent mehr als im Jahr zuvor. Die Deutschen führen die Gästeliste in Istrien, Dalmatien und auf den kroatischen Inseln an, gefolgt von Slowenen und Österreichern. Für das kleine Land mit seiner langen Küste und den vielen schönen Inseln ist der Tourismus heute ein entscheidender Wirtschaftsfaktor: 15,4 Prozent am Bruttoinlandsprodukt (BIP) machte er im Jahr 2012 nach Angaben der kroatischen Nationalbank aus. 2013 wird mit einer weiteren Einnahmensteigerung in diesem Sektor gerechnet.

Das ist angesichts der darniederliegenden kroatischen Wirtschaft notwendig. Der sozialistischen Regierung unter Zoran Milanovic ist es nämlich bisher nicht gelungen, Kroatien aus der Wirtschaftskrise zu steuern. 18 Prozent beträgt die Arbeitslosigkeit, also gut sieben Prozentpunkte mehr als im EU-Durchschnitt. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt mit 51 Prozent sogar auf spanischem Niveau, und damit doppelt so hoch wie im EU-Durchschnitt. Diese Daten markieren für die Regierung in Zagreb Handlungsbedarf, auch wenn am kommenden Montag, wenn Kroatien offiziell Mitglied der Europäischen Union wird, in Zagreb erst einmal die Korken knallen.

22 Jahre nach Ausrufung der staatlichen Unabhängigkeit hat sich zwar die kroatische Gesellschaft gefestigt und das Verhältnis zu den Nachbarn weitgehend normalisiert, doch die ökonomischen Sorgen bleiben gewaltig: Das Budgetdefizit dürfte im laufenden Jahr 4,7 Prozent erreichen, also signifikant über dem Maastrichter Referenzwert von drei Prozent liegen. Das BIP des Landes erreicht gerade 61 Prozent des EU-Durchschnitts. Das Wort Wachstumsrate ist bei einem Minus von zwei Prozent an sich schon ein Euphemismus. Die Inflationsrate liegt mit 1,8 Prozent leicht über jener der EU. Wer als Kroatien-Urlauber in die Tourismusdestinationen an der Adria reist, kulturelle Perlen wie Dubrovnik, Split, Zadar und Trogir besucht oder in Zagreb flaniert, nimmt die Armut in der Gesellschaft kaum wahr. Ein ganz anderes Bild bietet sich im Osten des Landes, etwa in Ost-Slawonien. Fast elf Prozent der Beschäftigten sind in der Landwirtschaft tätig; im EU-Durchschnitt sind es nur fünf Prozent.

In der demographischen Entwicklung hat Kroatien – leider – längst den Anschluss an das übrige Europa gefunden: Zwar liegt die Lebenserwartung der Kroaten noch immer unter dem EU-Durchschnitt, doch steuert längst auch das katholische Kroatien mit einer Geburtenrate von 1,4 Kindern pro Frau in die demographische Krise. Die Überalterung der Gesellschaft entspricht ganz dem “europäischen Niveau”. Die katholische Prägung der Gesellschaft zeigt sich wenigstens in einem Punkt: 86 von 100 Kindern werden in Kroatien innerhalb einer aufrechten Ehe geboren; im EU-Schnitt lediglich 60.

“Der Beitritt Kroatiens wird die Europäische Union stärker und sicherer machen“, meinte der zuständige Berichterstatter im Europäischen Parlament, der tschechische Sozialist Libor Roucek. Oberflächlich betrachtet ist das ein gewagtes Wort, denn die Bevölkerungszahl der EU wächst am kommenden Montag durch den kroatischen Beitritt höchst bescheiden von 502,4 auf 506,8 Millionen. Wirtschaftlich steht der kroatische Markt den Unternehmen Europas längst weit offen – viel zu weit, wie viele Kroaten meinen, die beklagen, dass es keine einzige Bank und fast kein Grossunternehmen im kroatischen Eigentum mehr gebe. Mit Ausfuhren in die EU im Umfang von knapp vier Milliarden Euro pro Jahr und Einfuhren von mehr als sechs Milliarden ist das mitteleuropäisch-mediterrane Kroatien eher ein bescheidener Wirtschaftsfaktor.

Auch bei der Abrechnung europäischer Gelder darf man die “Bild”-Zeitung beruhigen: Selbst wenn die Kroaten bereits durch die Vorbeitrittshilfen Zugang zu vielen EU-Förderprogrammen hatten und ab Montag noch mehr Zugänge haben werden, sind die bürokratischen Hürden vielfach so hoch und die Bedingungen einer nationalen Kofinanzierung so teuer, dass viele bereitstehende Mittel gar nicht abgerechnet werden können. Die mehrjährige EU-Finanzvorschau sieht für die sieben Jahre von 2014 bis 2020 für Kroatien einen theoretischen maximalen Finanzrahmen von 11,7 Milliarden Euro vor. Die tatsächlich lukrierbaren Summen dürften viel geringer sein.

Kein Zweifel herrscht in Brüssel wie in Zagreb jedoch daran, dass allein die Beitrittsperspektive dem Staat viel Dynamik und Reformen gebracht hat. Und die kroatische Gesellschaft tickt ausreichend marktwirtschaftlich, um trotz der Wirtschaftskrise und einer widerborstigen Politik mittelfristig auf europäischem Niveau erfolgreich mitzuspielen.

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