“Jetzt aber werde ich noch mal bestraft”

Betongrau und stacheldrahtbekrönt schlängelt sich die israelische Sperranlage durch das karge Land im Nordosten Jerusalems

SocietyDie katholische Menschenrechtsorganisation St. Yves in Jerusalem nimmt sich mittelloser Kläger an, die ihre Rechte durch die israelische Besatzung bedroht sehen – Die Religionszugehörigkeit spielt dabei keine Rolle – Unterwegs mit ihren Anwälten im Dorf Hizma.

Die Tagespost. 3. Juni 2013, von Oliver Maksan

Betongrau und stacheldrahtbekrönt schlängelt sich die israelische Sperranlage durch das karge Land im Nordosten Jerusalems. Die Mauer ist in dieser Gegend eine Mauer und kein Zaun wie über weite Strecken ihres Verlaufs.

Sie trennt hier das Dorf Hizma im Westjordanland von Gross-Jerusalem. Das von Juden bewohnte Wohnviertel Pisgat Zeev mit seinen Einfamilienhäusern und ihren leuchtend roten Ziegeldächern liegt dem arabischen Flecken gegenüber. Israel sieht Pisgat Zeev als Jerusalemer Stadtteil, die internationale Gemeinschaft betrachtet es hingegen als eine illegale Siedlung im Widerspruch zum Völkerrecht. Ahmad Hatib empfängt in seinem Haus in Hizma. Die Gebetsschnur – unverzichtbares Utensil arabischer Männer – lässt er nervös durch seine Finger laufen, während er seine Geschichte erzählt.

“Meine Probleme begannen vor zwei Jahren. Bis dahin hatte ich über Jahre keine Schwierigkeiten, in mein Haus auf der israelischen Seite der Mauer zu gelangen. Jeden Tag bin ich durch den Checkpoint gegangen. Der diensthabende israelische Offizier kannte mich und wies seine Soldaten an, mich und meine Familie passieren zu lassen. Vor zwei Jahren dann wurde er abgelöst. Seither komme ich nicht mehr nach drüben.” Drüben, das ist keine 150 Meter Luftlinie von der Sperranlage. Isoliert liegt hier das Haus der Familie, wo seine Frau und sechs Kinder leben. “Ich habe eine neugeborene Tochter. In meinem eigenen Haus habe ich sie noch kein einziges Mal gesehen.” Seit Ahmad auf die schwarze Liste der israelischen Grenzsoldaten kam, muss er in seinem Geburtshaus diesseits der Mauer bleiben. Die Familie kann ihn nur hier sehen, an zwei bis drei Tagen in der Woche. Auf die Frage, warum die Familie nicht einfach nach Hizma hinter die Mauer umziehe, mokantes Lächeln. So eine Frage kann wahrscheinlich nur ein Europäer stellen. Ein Palästinenser würde niemals sein Haus und Land aufgeben. Das wäre das Eingeständnis einer Niederlage. Zudem würden seine Landsleute das als Verrat an der palästinensischen Sache ansehen. Boden ist heilig im Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern um das Heilige Land. “Ich will nichts als mein Recht“, sagt Ahmad Hatib.

In seiner Not hat er sich an die in Jerusalem ansässige katholische Menschenrechtsgesellschaft St. Yves gewandt. Der frühere Lateinische Patriarch Michel Sabbah hat sie 1991 gegründet. “Hüter des Bruders“ zu sein ist das Leitbild der Organisation. Der bretonische Heilige Yves von Kermartin, der Patron der Anwälte, hat ihr den Namen gegeben. Finanziert wird sie durch Spenden, auch aus Deutschland. Misereor und Missio etwa gehören zu den Geldgebern. Über 700 Fälle behandelt die Nichtregierungsorganisation im Jahr. Es sind die unterschiedlichsten Materien, die an die Anwälte herangetragen werden. Ein grosser Teil der Fälle befasst sich mit Fragen des Aufenthaltsrechts. Die heute etwa 370 000 palästinensischen Bewohner Ost-Jerusalems, das 1967 im Zuge des Sechs-Tage-Kriegs unter israelische Souveränität gelangte, sind zwar keine israelischen Staatsbürger, haben in der Regel aber ein permanentes Aufenthaltsrecht. Dieses kann jedoch entzogen werden, wenn sich der Inhaber länger als sechs Monate ausserhalb Israels aufhält oder ein Aufenthaltsrecht in einem anderen Land beantragt. St. Yves’ Anwälte haben aber immer wieder festgestellt, dass die Behörden oft aufgrund unbewiesener Vorwürfe das Aufenthaltsrecht entziehen.

Aber auch Neugeborene haben häufig Schwierigkeiten, als Jerusalemer Bürger registriert zu werden. Die Behörden verweigern die Erfassung etwa, wenn das Kind keine von einem israelischen Arzt ausgestellte Geburtsurkunde vorweisen kann. Auch DNA-Tests, dass die Eltern tatsächlich die Eltern sind, werden teilweise verlangt. Derzeit, so St. Yves, leben etwa 10 000 unregistrierte Kinder in Jerusalem. Meist ist eines ihrer Elternteile aus dem Westjordanland, was ihre behördliche Erfassung zusätzlich erschwert. Neben diesen Fällen geht es meist um Landenteignungen und Hauszerstörungen, die Nichterteilung von Baugenehmigungen oder die willkürliche Vorenthaltung sozialer Dienstleistungen.

Hauptsächlich wenden sich Menschen an die Anwälte, die sich sonst keinen Rechtsbeistand leisten könnten. Ihre Religion spielt dabei keine Rolle. So wie Ahmad Hatib. Er selbst ist frommer Muslim. Ihn und seine Sache hingegen vertritt Zvi Avni. Der Anwalt ist jüdischer Israeli. Die Ungerechtigkeiten, die die Palästinenser durch die israelische Besatzung erfahren, hat ihn politisiert. Schon als israelischer Soldat weigerte er sich mit vielen Tricks erfolgreich, in den besetzten Gebieten Dienst zu tun. Normalerweise steht auf solche Gehorsamsverweigerung eine Gefängnisstrafe. Seine juristischen Fähigkeiten bringt er seit Jahren hauptamtlich bei St.Yves ein. Viele seiner jüdischen Verwandten und Bekannten nehmen ihm das übel. Er wolle alles kaputt machen, was sie aufgebaut hätten. Er sieht das nicht als Beschimpfung. “Mir geht es tatsächlich darum, die Besatzung und ihre Folgen juristisch zu bekämpfen. Dieses bürokratische System ist zutiefst ungerecht. Wenn es gelingt, es durch unsere Eingaben ad absurdum zu führen, um so besser.“ Seine Kollegin Manal Hazzan widerspricht ihm. “Ich glaube, dieses bürokratische System zahlt sich für Israel letztlich aus. Natürlich ist ein grosser Apparat nötig. Und natürlich sind die Prozesse, die wir anstrengen, lästig. Aber Israel geht es darum, demographische Fakten zu schaffen. Das Ziel ist, möglichst viel Land mit möglichst wenigen Palästinensern zu erhalten.”

Genau das, glaubt Anwalt Avni, ist auch der Grund, warum die Mauer Ahmads Haus vom Dorf Hizma abgetrennt hat. “Die Mauer wurde hier gebaut, um die Siedlung Pisgat Zeev einzubeziehen und möglichst viel Land. Es war aus Sicherheitsgründen aus unserer Sicht nicht nötig, Ahmads Haus auf der israelischen Seite zu belassen. Wir strengen jetzt eine Klage vor dem Obersten Gericht Israels an. Wir fordern, dass Israel den Mauerverlauf ändert oder wenigstens eine technische Lösung findet, die Ahmad den Zugang zu seinem Haus ermöglicht. Aber Sicherheitsbedenken der Armee können das leicht verhindern. Die Gerichte folgen ihnen meist.“ Auch Ahmad selbst hat wenig Hoffnung: “Ich sass vor Jahren einmal in einem israelischen Gefängnisses wegen Widerstands gegen die Besatzung. Meine Haftstrafe habe ich abgebüsst. Jahrelang spielte meine Haft auch keine Rolle, und ich konnte in mein Haus. Jetzt aber werde ich noch mal bestraft.“ Anwalt Avni stimmt zu: “Es soll an Leuten wie Ahmad ein abschreckendes Exempel statuiert werden. Widerstand gegen Israel, so die Botschaft an die Palästinenser, lohnt sich nicht. Er wird ein Leben lang nicht vergeben.“

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